Der FC Ann-Katrin Berger ist gescheitert
Bis zur 113. Minute dieses EM-Halbfinales gegen Spanien war Ann-Katrin Berger eine Heldin. Jeden Ball, der auf ihr Tor zuflog, parierte sie. Per Hechtsprung, per Faustabwehr, im Stehen oder im Liegen. Und oft genug unter Schmerzen, denn eine Gegenspielerin hatte sie Anfang der zweiten Halbzeit mit dem Schuh in den Rippen getroffen.
Aber dann kam die 113. Minute, die eine unheilvolle für Berger werden sollte und für das gesamte deutsche Nationalteam: Fehlpass Sydney Lohmann, der Ball landet bei Spanien. Auf dem rechten Flügel startet Aitana Bonmatí durch, zieht in den deutschen Strafraum – und spielt nicht etwa einen Querpass, sondern zielt auf den ersten Pfosten, die sogenannte kurze Ecke. Berger jedoch hatte auf einen Pass spekuliert und gibt die Ecke frei. Schuss Bonmatí, 1:0 Spanien.
Ein Rückstand, den die Deutschen nicht mehr aufholen in den wenigen Minuten, die ihnen bleiben. Das DFB-Team scheidet aus dem Turnier aus. Ann-Katrin Berger ist fortan zwar noch immer eine Heldin, aber eine tragische.
Bergers Ehrlichkeit ist beeindruckend
Gleich nach dem Schlusspfiff bemühten sich Trainer und Spielerinnen, Berger in Schutz zu nehmen. Denn die hatte eingeräumt: "Der Ball hätte meiner sein sollen. Ich nehme die Schuld auf mich."
Diese Ehrlichkeit, diese Härte im Urteil gegen sich selbst, ist beeindruckend. Ann-Katrin Berger, 34, wird als große Spielerin aus dieser EM gehen. Sie war die bislang beste Torhüterin des Turniers; im Viertelfinale gegen Frankreich hielt sie einen abgefälschten Ball im Rückwärtsfallen – eine spektakuläre Aktion, die der britische "Guardian" als eine "der besten Paraden aller Zeiten bei einer EM" bezeichnete. Im Elfmeterschießen wehrte sie zwei Bälle ab und verwandelte selbst einen. Ohne Berger hätten die Deutschen niemals das EM-Halbfinale erreicht.

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Jede Lobeshymne, die auf sie angestimmt wurde in den Tagen danach: absolut berechtigt. Jede Aufmunterung, jeder Versuch der Mitspielerinnen, Berger zu entlasten nach dem Spanien-Spiel: angemessen und verdient.
Doch was sagt das aus über die deutsche Mannschaft, wenn Wahrnehmung und Bewertung eines kompletten EM-Auftritts sich auf eine einzige Spielerin verengen? Deutschland, das war in den zurückliegenden Wochen der FC Ann-Katrin Berger. Eine One-Woman-Show, die Bühne gehörte allein ihr.
Wo war eine zweite oder dritte prägende Spielerin? Wessen Stern ging auf beim Turnier in der Schweiz? Auf welche deutsche Spielerin schaut ab jetzt die Fachwelt? Wer steht nun ganz oben auf den Listen der Scouts?
Niemand. Und das ist ein Problem.
Bundestrainer Christian Wück bemühte sich, das EM-Aus als unglückliche Fügung darzustellen. Es sei "bitter", dass man "am Ende wegen so einem Geniestreich" ausgeschieden sei, sagte er und meinte damit den Schuss von Bonmatí.
Doch diese Worte vernebeln nur den Blick auf die Lage der deutschen Frauen-Nationalmannschaft. Das Scheitern in der Schweiz war keineswegs nur einem lucky punch der Spanierinnen geschuldet. Es hat strukturelle Gründe.
Wer den deutschen Fußballerinnen dabei zugesehen hatte, wie sie sich gegen Frankreich und Spanien in Defensivschlachten aufzehrten, wie sie einen Ball nach dem anderen ergrätschten, nur um ihn oft nach einem weiten Befreiungsschlag gleich wieder zu verlieren – der hatte Mühe, jenes Team wiederzuerkennen, das der Bundestrainer in den Monaten vor dem Turnier geformt hatte.
Dem Bundestrainer fehlte der Glaube an seinen eigenen Plan
Wück, 52, ist seit einem Jahr im Amt. Von Beginn an hatte er eine Abkehr vom Sicherheitsfußball seines Vorgängers Horst Hrubesch ausgerufen. Über Monate ließ er sein verjüngtes Team einen mutigen, offensiven Ansatz einüben. Mit Erfolg: Unter Wück entwickelte sich die DFB-Auswahl zu einem der angriffsstärksten Teams in Europa. In den letzten sechs Spielen vor dem Turnier schoss die Mannschaft im Schnitt mehr als vier Treffer pro Partie. Ein starker Wert.
Um so erstaunlicher, dass bei der EM davon nur noch wenig zu erkennen war. Schon bei den Siegen in der Gruppenphase fehlte Wucht im deutschen Angriffsspiel. Im Spiel gegen Schweden zeigte sich dann, wie riskant Wücks Ansatz ist, wenn er nicht konsequent umgesetzt wird. Die deutsche Mannschaft verteidigte hoch, aber unaufmerksam und ohne Absicherung. Wenige Pässe genügten, um sie zu überspielen. Das DFB-Team verlor mit 1:4. Und Wück scheinbar den Glauben an seinen Plan.
Das DFB-Team machte sich gegen Spanien seltsam klein
Noch vor dem Viertelfinale hatte Wück betont, dass eine defensive Ausrichtung nicht zu seinem Team passe. Doch dann bot er gegen Frankreich fünf Verteidigerinnen auf. Dabei machte erst die frühe Rote Karte gegen Kathrin Hendrich die Mauertaktik alternativlos. In Unterzahl blieb den deutschen Spielerinnen wenig anderes übrig, als die Französinnen zu nerven, sie in Zweikämpfe zu verwickeln und ihren Rhythmus mit Fouls zu stören. Den Deutschen gelang das bravourös, sie kämpften sich ins Elfmeterschießen.
Gegen Spanien aber kehrte das DFB-Team nicht zur ursprünglichen Spielidee zurück, sondern setzte die Abwehrschlacht einfach fort. Und zwar ab der ersten Minute. Wücks Mannschaft versuchte gar nicht erst, spielerisch mit den Spanierinnen zu konkurrieren. Sie machte sich seltsam klein und überließ dem Gegner den Ball. So, als beruhe ihr Plan allein darauf, sich noch einmal ins Elfmeterschießen retten zu wollen. So, als könnte ein Spiel in der K.o.-Phase einer EM nur durch die Reflexe von Torfrau Berger entscheiden werden.

Monatelang hatte Wück alles auf den Angriff ausgerichtet, um dann in den entscheidenden Spielen vor allem verteidigen zu lassen. Man kann das angesichts der vielen Ausfälle im Kader für pragmatisch halten. Oder für mutlos.
Wücks Mannschaft mag mit ihrem Kampf viele Sympathien gewonnen haben. Doch der Preis dafür ist hoch. Der Bundestrainer hat seine Spielidee geopfert. Nach der Niederlage erklärte Wück, man habe bei der EM "eine Entwicklung angestoßen". Die Frage ist allerdings: in welche Richtung? Wück sagte, man wolle "keine Blaupause von Spanien" werden, sondern eine eigene Identität entwickeln. Doch wie die aussehen soll, wofür Wück und seine Mannschaften stehen wollen, ist nach diesem Turnier unklarer als je zuvor.
Die deutsche Mannschaft verabschiedet sich mit einem großen Rätsel von dieser EM.
- Ann-Katrin Berger
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- Christian Wück
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