Zwei Freunde, ein Triathlon, 18.000 Höhenmeter – und eine Mission
Zwischendurch, als die Strapazen ihres Rekordversuchs sich tief in Kopf und Körper gegraben hatten, als sie weit über 24 Stunden unterwegs waren und an Höhenmetern längst mehr als den Mount Everest in den Beinen hatten, fiel es schwer, der Müdigkeit zu trotzen und wach zu bleiben. Aber ein kurzes Nickerchen, ein Fünf-Minuten-Power-Nap – und alles wäre vorbei gewesen. Denn die Regeln dieses Extremsport-Rekordversuchs besagten: wach bleiben!
Lars Wichert (38) und Stefan Kramer (44) hielten durch, Seite an Seite. Nach 36 Stunden und 17 Minuten beendeten die beiden Freunde ein sogenanntes doppeltes Everesting auf der Triathlon-Langdistanz im Ötztal. Anders ausgedrückt: Sie bewältigten dabei insgesamt mehr als 18.000 Höhenmeter und damit zweimal den Mount Everest – einmal während der 180 Kilometer auf dem Rad, einmal während des Marathons.
„Wir mussten in einen Bereich der Belastung, der uns bis dato völlig unbekannt war“, sagt Kramer, und Wichert ergänzt: „Es hat mich an meine mentale Grenze gebracht. Das kann man nur zusammen schaffen.“ Gemeinsam etwas bewältigen – und damit gleichzeitig auf den Kampf gegen Depressionen aufmerksam machen, das ist die zweite Ebene dieses Projektes. Denn beide haben jemanden an diese Krankheit verloren: Kramer seinen Vater, Wichert seinen einstigen Ruderpartner.
Der Rekord ist nun zur offiziellen Anerkennung bei Guinness World Records eingereicht. Aber was ist das genau, ein sogenanntes doppeltes Everesting auf der Triathlon-Langdistanz? Die beiden schwammen erst 3,8 Kilometer, fuhren dann 180 Kilometer auf dem Rennrad und legten dann 42,2 Kilometer zu Fuß zurück – die Ironman-Distanz also. Kombiniert haben sie das mit einem Everesting, bei dem man ein und denselben Anstieg so oft hochläuft oder fährt, bis die Gesamthöhe des Mount Everest (8848 Meter) erreicht ist.
Wichert und Kramer machten dies also nach dem Schwimmpart erst mit dem Rad, dann in Laufschuhen. Es muss dabei pro Disziplin zwingend immer dieselbe Strecke sein. Und schlafen ist verboten.
Sechs Kilometer Länge bei 615 Höhenmetern
Ausgesucht für ihr Projekt hatten sie sich die Tiroler Alpen, wo am 15. Juli der Startschuss fiel – für die beiden Athleten und ein Betreuerteam, das sich unter anderem um die Verpflegung kümmerte. Lars Wichert, Olympiateilnehmer und mehrfacher Weltmeister im Rudern sowie Ironman-Weltrekordhalter aller Altersklassenathleten, und Stefan Kramer, zehnmaliger Ironman-Finisher und viermaliger WM-Starter.
Um 6.32 Uhr legten sie an jenem Tag im Piburger See die Schwimmstrecke zurück. Dann wurde es hart: 14,5 Runden den Ötzerberg hinauf. „Der Anstieg misst dabei sechs Kilometer Länge bei 615 Höhenmetern“, erklären sie. „Das entspricht mehr Höhenmetern pro Kilometer als beim berühmten Tour-de-France-Anstieg Alpe d’Huez, der mit 13,2 Kilometern und 1120 Höhenmetern eine durchschnittliche Steigung von 8,5 Prozent aufweist.“ Bei ihnen war es eine durchschnittliche Steigung von 10,25 Prozent.
Sie fuhren also immer hoch, mussten wieder nach unten fahren und kämpften sich dann wieder hoch. Teils bei Dunkelheit, Kälte und Regen. „Wenn man bei den Abfahrten richtig durchfriert und kalt unten ankommt, um dann wieder hochzufahren“, erzählt Wichert, „musste man sich schon gegenseitig sehr motivieren.“ Nach 16:12 Stunden und 9104 Höhenmetern war es vollbracht.
Dann der Marathon: siebenmal eine 6,4 Kilometer lange Strecke mit je 1300 Höhenmetern, immer vom Startpunkt an der Bergbahn Hochoetz über die Acherbergalm hinauf bis zur Bielefelder Hütte. Hinunter ging es mit dem Auto oder der Bergbahn. „Der härteste Punkt kam irgendwann beim Laufen“, erzählt Wichert, „als man realisiert hat, wie lange das Ganze wirklich dauert.“ Um 18.49 Uhr am zweiten Tag liefen sie schließlich durch den Zielbogen an der Gondelstation der Acherkogelbahn.
Das Fazit der beiden: „Erschöpft, aber glücklich und ein voller Erfolg.“ Mit „Erfolg“ meinen sie nicht nur, dass sie ins Ziel gekommen sind, sondern auch, dass sie durch das Projekt bereits mehr als 11.500 Euro Spenden für den von Wichert mitgegründeten Verein Wirfueryannic e.V. gesammelt haben. Ein Verein, der Aufklärung, Prävention und Hilfe rund um das Thema Depression und mentale Gesundheit fördert. Konkret geht es bei der Crowdfunding-Kampagne um ein Symposium für Sportler, Angehörige und Betroffene.
Yannic Corinth nahm sich im Alter von 26 Jahren das Leben
Der Name Yannic im Vereinsnamen steht für Yannic Corinth, ein ehemaliger Weltklasse-Ruderer, der danach im Radsport aktiv war. Als Leichtgewichtsruderer nahm er an vier Weltmeisterschaften teil und holte einmal Bronze. Im Juni 2016 starb Yannic Corinth im Alter von 26 Jahren durch Suizid.
„Ohne große Anzeichen“, sagt Wichert. „In der Nachbetrachtung mit der Familie hat sich herausgestellt, dass er sehr wahrscheinlich in relativ kurzer Zeit eine harte Depression entwickelt hat und nicht den Mut hatte, sich seinem Umfeld zu öffnen.“
Die Geschichte von Kramers Vater ist eine andere. „Er hat seine Depression lange mit Alkohol bekämpft, sodass er später an den Folgen des Alkoholkonsums gestorben ist.“ Im Alter von 59 Jahren. „Man muss das mal benennen“, findet der 44-Jährige. „Dann erliegt man am Ende des Tages tatsächlich der Depression, weil sie damals nicht mit vernünftigen Medikamenten eingestellt wurde, sondern derjenige dachte, es gehe schon so – und sich letztendlich mit Alkohol getötet hat.“ Es ist lange her, doch für Kramer bleibt es ein Thema. Er hat das Everesting auch für ihn gemacht.
Zwar ist mentale Gesundheit heute mehr in der Öffentlichkeit als früher, die Gesellschaft wandelt sich und einige Spitzensportler haben offen über ihre Depressionen gesprochen, aber ein Tabuthema bleibt es. „Und zwar ein riesengroßes Tabuthema“, sagt Wichert. „Es bedarf noch immer viel Arbeit und Akzeptanz nach draußen.“
Haben Sie suizidale Gedanken, oder haben Sie diese bei einem Angehörigen/Bekannten festgestellt? Hilfe bietet die Telefonseelsorge: Anonyme Beratung erhält man rund um die Uhr unter den kostenlosen Nummern 0800 / 111 0 111 und 0800 / 111 0 222.
Auch eine Beratung über das Internet ist möglich unter http://www.telefonseelsorge.de. Eine Liste mit bundesweiten Hilfsstellen findet sich auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.
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