"Das ist absichtliches Verhungernlassen"
Die Bilder der bis auf die Knochen abgemagerten Hamas-Geisel Evyatar David schockieren. Tal Shoham war gemeinsam mit David 505 Tage lang in der Gewalt der Terroristen. Im tagesthemen-Interview schildert er die grausamen Bedingungen.
tagesthemen: Herr Shoham, Sie waren 505 Tage in Gefangenschaft der Hamas. In einem Tunnel, auf wenigen Quadratmetern - mit fast keinem Licht und fast keinem Essen. Wie haben Sie es geschafft, unter solch schrecklichen Bedingungen zu überleben?
Tal Shoham: Das ist eine gute Frage. Jeden Tag musste ich die Kraft finden - aus mir selbst, aus meiner neuen Familie, die sich im Tunnel gebildet hat: mit Evyatar David und Guy Giviadatal und Omer Wenkert, der mit mir zusammen im Februar freigelassen wurde.
tagesthemen: Sie wurden mit zwei anderen Geiseln im Tunnel gefangen gehalten. Einer davon war Evyatar David, von dem die Hamas gestern ein Propaganda-Video veröffentlicht hat. Wir können ihn darin völlig abgemagert sehen, fast verhungert. Wie schätzen Sie seinen Zustand ein?
Shoham: Er ist in einem sehr schlechten Gesundheitszustand. Ich habe das Video gerade gesehen. Er sieht völlig abgemagert aus. Das ist absichtliches Verhungernlassen, was man dort mit ihm macht. Ich habe den Tunnel wiedererkannt. Das ist der Tunnel, in dem wir gemeinsam gefangen gehalten wurden - über acht Monate lang.
Tal Shoham, Geisel der Terrororganisation Hamas Oktober 2023-Februar 2025, zur Situation der Geiseln
tagesthemen, 03.08.2025 23:15 UhrIch weiß ganz sicher, dass nur ein paar Meter hinter ihm, hinter den eisernen Türen, die diesen Tunnel verschließen, eine Gruppe von Hamas-Terroristen sitzt, die jede Menge isst: Fleisch, Fisch - sie haben genug von allem, was sie brauchen.
In der Zeit, als ich im Tunnel war, haben die nicht einmal ein Kilo von ihrem Essen rübergereicht. Es war unglaublich hart - mein Magen ist dabei kaputtgegangen. Was ich dort gesehen habe, war fürchterlich. Als ich da war, hat Evyatar eine Krankheit bekommen - Skorbut, das ist ein schweres Vitamin-C-Defizit.
Wenn ich ihn jetzt sehe, dann glaube ich, dass er unter diesen Bedingungen nicht mehr als nur noch ein paar Tage zu leben hat.
"Die Hamas hat den Menschen in Gaza die Hilfsgüter gestohlen"
tagesthemen: Sie selbst haben in der Gefangenschaft 30 Kilo verloren. Wie viel Essen haben sie von der Hamas bekommen - und was?
Shoham: Während meiner Gefangenschaft haben wir nur sehr wenig Nahrung bekommen - manchmal nur ein kleines Stück Pitabrot für die nächsten 24 Stunden. Kurz bevor ich freigelassen wurde, haben sie zugegeben, dass sie uns absichtlich so wenig zu essen gegeben haben. Sie wollten, dass wir schlecht aussehen und leiden. Evyatar und Guy haben mindestens 25 Kilo abgenommen, als ich noch da war. Und jetzt, so glaube ich, noch weitere 15 oder 20 Kilo in den fünf Monaten seit meiner Freilassung.
tagesthemen: Was bezweckt die Hamas mit dem Video von Evyatar David?
Shoham: Es wird ganz deutlich, dass es sich um Hamas-Propaganda handelt - nämlich Evyatar und Rom in so schlechtem Zustand zu zeigen, um sie mit den Kindern in Gaza zu vergleichen, von denen die Hamas behauptet, dass sie das gleiche Schicksal erleiden.
Ich möchte aber eines ganz deutlich sagen: Ich habe 505 Tage in der Gefangenschaft der Hamas-Terroristen verbracht. Ich habe in dieser Zeit viele Kisten mit humanitären Hilfsgütern gesehen, die die Hamas den Bewohnern von Gaza gestohlen hat. Sie haben sich damit gebrüstet, dass sie Vorräte für Monate gestohlen haben, für ihren eigenen Bedarf, um in den Tunneln zu leben.
Es ist also definitiv Propaganda, wenn die Hamas die Geiseln, für die sie verantwortlich ist, mit Bildern von Kindern in Gaza vergleicht. Manche von ihnen haben Krankheiten, die sie so schlecht aussehen lassen. Und manche sind wirklich ausgehungert - aber weil die Hamas die Hilfsgüter, die Israel nach Gaza hineingelassen hat, stiehlt.
tagesthemen: Wir haben gehört, dass die Hamas Evyatar David gezwungen hat, ihre Freilassung vor ein paar Monaten anzusehen und er dann wieder eingesperrt wurde. Was glauben Sie: Wie viel Hoffnung hat er in den vergangenen Monaten noch gehabt? Hofft er noch freizukommen?
Shoham: Wenn ich jetzt seine Augen sehe, dann sehe ich das Leiden, durch das er geht. Ich glaube nicht, dass er noch Hoffnung hat. In einem anderen Video von gestern gräbt er sein eigenes Grab im Tunnel. Ich denke, er glaubt, dass er dort sein eigenes Grab aushebt. Ich fürchte, dass er auch mental und emotional in einem ganz schlechten Zustand ist.
"Die Hamas muss nur warten"
tagesthemen: Womöglich sind noch 20 Geiseln am Leben. Glauben Sie weiterhin, dass sie freikommen - und was muss dafür geschehen?
Shoham: Wir hatten vor zwei Wochen und auch noch vor einer Woche tatsächlich die Hoffnung, dass die von den Vermittlern, den Vereinigten Staaten und Israel erreichte Vereinbarung, funktioniert. Aber es scheint jetzt so, als ob die Hamas obenauf ist, da die europäischen Regierungen darauf drängen, einen palästinensischen Staat anzuerkennen.
Die Hamas weiß, dass sie jetzt überhaupt nichts tun und nur warten muss, bis die Europäer ihren Job machen. Und das wäre das Schlechteste, was Europa nun tun könnte. Denn das bedeutet eine stärkere Hamas.
Am 7. Oktober hat die Hamas nicht nur Israelis gekidnappt, sondern auch ganz Gaza in Geiselhaft genommen. Dort leiden Menschen, Israelis und die Bewohner von Gaza, weil die Hamas so agiert, wie sie agiert - weil sie eine schlimmere Terrororganisation als der "Islamische Staat" ist.
Meine Hoffnung ist, dass die Hamas an den Verhandlungstisch zurückkehrt, dass die Regierungsvertreter und die Vermittler Katar drängen, auf die Hamas Druck auszuüben, um eine Verhandlungslösung zu erreichen, die den Krieg beendet. Damit unsere Geiseln nach Hause kommen können - und zwar lebendig.
tagesthemen: Ihre Frau und zwei Kinder wurden ebenfalls entführt, und zwar getrennt von Ihnen an einem anderen Ort. Ihre Familie hat überlebt und wurde freigelassen. Wie konnten Sie mit der Sorge um Ihre Familie umgehen?
Shoham: Das war das Schwerste, was ich in meinem Leben durchgemacht habe. Also der Gedanke an meine Familie und der Versuch zu verstehen, was mit ihnen geschieht - ob sie leben oder am 7. Oktober im Kibbutz Be’eri ermordet worden sind. Das ließ mir keine Ruhe, ich habe ungeheuer gelitten.
Aber schließlich bekam ich an dem Tag, als sie freigelassen wurden, eine Nachricht: dass sie gefangen genommen, aber nun freigelassen werden sollten. Da wusste ich: Jetzt kann ich meinen eigenen Kampf ums Überleben führen. Sodass, wenn ich freikomme, meine Frau und meine Kinder ihren Mann und ihren Vater zurückbekommen können.
tagesthemen: Danke für Ihre Zeit und Kraft mit uns zu sprechen. Danke für Ihre Eindrücke.
Das Gespräch führte Helge Fuhst. Es wurde für eine bessere Lesbarkeit leicht redigiert und gekürzt.
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