Die fünfte Nacht in Folge gab es in Serbien Zusammenstöße. Präsident Vucic kündigte harte Gegenmaßnahmen an. Aktivisten berichten schon jetzt über brutale Methoden der Sicherheitskräfte - über Tränengas und Schlagstöcke hinaus.

Die Studentin und Aktivistin Nikolina Sindelic wird eine Nacht in der vergangenen Woche noch lange beschäftigen. Sie gehört zu den bekannten Regierungsgegnern in Serbien - das wurde ihr offenbar zum Verhängnis. Sie sei vor einigen Tagen nachts mit einem Kommilitonen unterwegs gewesen, erzählt sie. "Wir waren auf dem Weg nach Hause, als hinter mir unter einem grauen Gitter einige Dutzend Polizisten rausliefen."

Es seien Polizisten der Sondereinheit zum Schutz von Einrichtungen gewesen, die von Marko Kricak geleitet wird. Die Polizisten hätten sie festgenommen, geschlagen, in eine Garage gezerrt und auf den Boden geschmissen. Dann sei Kricak hinzugekommen. Er gilt als Vertrauter von Staatspräsident Aleksandar Vucic.

Schläge und grausame Drohungen

"Gleich nach der Festnahme hat man uns alle persönlichen Gegenstände genommen", erzählt Nikolina. "Als eine Polizistin meinen Rucksack durchsuchte, fand sie meine private Fotokamera, die in diesem Augenblick blinkte, weil die Batterie leer war. Ich denke, dass Kricak dachte, dass ich versucht habe, ihn heimlich zu filmen." Er habe sie daraufhin mit offener Hand gegen den Kopf geschlagen, sie beschimpft und angeschrien.

"Es folgten weitere Schläge", berichtet Nikolina. "Er zog heftig an meinen Haaren, sagte, dass er mich vor all diesen Menschen vergewaltigen werde." Er habe grausamste Drohungen ausgesprochen. Die Sondereinheit wies die Vorwürfe gegen Kricak zurück.

Berichte über Polizeigewalt mehren sich. Videos in sozialen Medien sollen zeigen, wie Einsatzkräfte mit Schlagstöcken auf am Boden liegende Demonstranten einprügeln.

Präsident Vucic wettert gegen Regierungskritiker

Für Präsident Vucic geht die Gewalt allerdings nur von einer Seite aus: von den Regierungsgegnern. "Unser Land ist in großer Gefahr", sagte er in einer Ansprache. "Nicht nur der Staat, sondern all unsere Werte, unsere Demokratie, unser normales Leben, das anständige Leben der gewöhnlichen Menschen. Sie bedrohen das alles." Regierungskritiker werfen wiederum Vucic vor, die Gewalt selbst provoziert zu haben - mit mutmaßlich staatlich gelenkten Angriffen auf die Protestbewegung.

Vucic eskaliert auch verbal. Demonstranten nannte er Terroristen sowie Schläger und Mörder, von denen man die "Städte säubern müsse". Weil Demonstranten Zentralen seiner Partei SNS in Brand setzten, verglich er sie mit der SA, den Paramilitärs der Nazis Anfang der 1930er-Jahre.

Vucic wiederholte seine Ankündigung, hart gegen die Regierungsgegner vorgehen zu wollen. "Ich verspreche den Bürgern Serbiens, dass diese Brandstiftungen ein Ende haben werden", sagte er. "Ich fürchte nur, dass - bevor wir juristisch alles vorbereitet haben für eine Reaktion des Staats - in den nächsten Tagen jemand getötet wird. Das ist alles, was ihnen noch bleibt. Alles andere haben sie bereits getan."

Keine Konsequenzen für prügelnde Polizisten

Gewalttätige Anhänger der Regierung und prügelnde Polizisten müssen wohl kaum mit juristischen Konsequenzen rechnen. Bisher sind Angriffe auf die Proteste selten geahndet worden. Bei den bisherigen Zusammenstößen wurden laut Vucic bis Sonntag mehr als 130 Polizisten verletzt. Offizielle Angaben zu verletzten Demonstranten gibt es keine.

Seit neun Monaten laufen die Proteste gegen die Regierung. Ihren Anfang nahmen sie im November als in Novi Sad, der zweitgrößten Stadt des Landes, nachdem das Vordach des gerade neu renovierten Bahnhofs einstürzte. 16 Menschen kamen dabei ums Leben.

Für die Demonstranten ist die Tragödie das Symbol für die Korruption im Land. Lange blieb es bei den Protesten weitgehend friedlich. Die jüngsten Gewaltausbrüche begannen, als vergangenen Dienstag in zwei Dörfern im Norden Regierungsgegner von Anhängern Vucics attackiert wurden. Die Polizei stand daneben und schritt nicht ein.

Seitdem gehen wieder mehr Menschen auf die Straßen. Einige von ihnen randalieren. Sie treffen auf Polizisten, von denen einige offenbar brutal vorgehen und Vucic treuen Schlägertrupps freie Hand lassen.

Jasper Ruppert, ARD Wien, tagesschau, 18.08.2025 06:08 Uhr

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