Der Tod des rechtskonservativen US-Aktivisten Charlie Kirk wird das ohnehin gespaltene Land noch stärker polarisieren, sagt die Politologin Clüver Ashbrook. Und: Präsident Trump dürfte versuchen, aus dem Verbrechen politisch Kapital zu schlagen.

tagesschau.de: Die politischen Lager in den USA stehen sich wenig versöhnlich gegenüber, das Land ist gespalten. Auch wenn es noch keinen Tatverdächtigen gibt und dementsprechend zu Motiv nichts gesagt werden kann. Überrascht es Sie, dass jemand bis zum Äußersten geht und einen rechtskonservativen Podcaster tötet? 

Cathryn Clüver Ashbrook: Es überrascht mich nicht wirklich. Dieses grauenhafte Attentat reiht sich leider ein in drei Monate der eskalierenden politischen Gewalt in den Vereinigten Staaten. Im Juni hat ein offensichtlich christlich-national angehauchter, aber eben auch äußerst gestörter, mit einem politischen Manifest ausgestatteter Mann in Minnesota zwei Attentate auf Parlamentarier der Demokraten verübt und dabei zwei Menschen getötet. 

Man merkt, wie auf beiden Seiten des politischen Spektrums politische Gewalt zunimmt. Im Übrigen haben wir natürlich auch über die letzten sechs Monate wieder sechs große, verheerende Anschläge unterschiedlicher Art gesehen, die das FBI als sogenannten innenpolitischen Terrorismus klassifiziert. Im Fall von dem nun getöteten Charlie Kirk kommt die große Popularität des Opfers hinzu.

 

Politikwissenschaftlerin C. Clüver Ashbrook über das Attentat auf Charlie Kirk

tagesschau24, 11.09.2025 14:00 Uhr

Er war der Motivierer der Jugend

tagesschau.de: Bleiben wir noch mal kurz bei der Popularität, die Sie gerade angesprochen haben. Können Sie uns noch mal einordnen, welche Bedeutung Kirk in rechtskonservativen Kreisen hatte? 

Ashbrook: Kirk war für die MAGA-Bewegung der Motivierer der Jugend. Er war auch ein wichtiger Verbündeter für Donald Trump. Das heißt, er hat dem Präsidenten immer wieder Talente aus dem jungen Spektrum zugeführt. Neue Talente für die Bewegung. Und das ist für die Bewegung natürlich extrem wichtig.

Denn zur ersten Amtszeit Trumps haben wir uns immer wieder gefragt, ob die Bewegung einen Präsidenten Trump überdauern würde. Jetzt wird deutlich, dass die MAGA-Bewegung in der Tat so gut organisiert ist, dass es eine Figur wie Kirk geschafft hat, neue Wählerinnen und Wähler für den Präsidenten zu gewinnen. Dass Trump jetzt eine Mehrheit im Senat und im Kongress hat, liegt vor allem auch daran, dass er junge Wähler motivieren konnte. All diese Dinge machen Charlie Kirk zu einer Schlüsselfigur. Und wie wichtig er war, zeigen auch die Reaktionen des US-Präsidenten auf das Attentat.

Zur Person Cathryn Clüver Ashbrook ist Leiterin des Future of Diplomacy Projects an der Harvard Universität. Die Deutsch-Amerikanerin ist Expertin für Außenpolitik und arbeitet für die Bertelsmann-Stiftung.

Aufgeheizte Stimmung wird weiter aufgepeitscht

tagesschau.de: Dann lassen Sie uns noch mal genauer auf die Reaktionen blicken. Obwohl es noch keinen Tatverdächtigen gibt, machen US-Präsident Trump und einige rechtskonservative Vertreter die politische Linke für die Tat verantwortlich. Was ist das Ziel solcher Beschuldigungen? 

Ashbrook: Ich glaube, das ist ein sehr gefährlicher Moment. Wir haben auch gerade gehört, dass Trauerbeflaggung angeordnet ist an allen Botschaften auf der ganzen Welt. Drei Tage Trauerbeflaggung. Das ist nicht passiert, als die demokratische Abgeordnete in Minnesota und ihr Mann erschossen worden sind. Die Tatsache, dass die Sprache sich jetzt gleich so zuspitzt und vermeintliche Täter ausgemacht werden, ist natürlich im kriminalistischen Sinne viel zu früh. Aber es peitscht eine Stimmung weiter auf, die bereits in den letzten Wochen sehr aufgeheizt war.

So hat Stephen Miller, die Nummer zwei im Oval Office, immer wieder in den Fernsehübertragungen skandiert, in der Demokratischen Partei seien linksliberale Terroristen. Eine sprachliche Zuspitzung, die sich mit dem deckt, was nun nach dem Attentat aus unterschiedlichen Kreisen um den Präsidenten und zum Teil auch von Trump selbst zu hören war. So wurde beispielsweise angekündigt, es werde nun eine Jagd auf die Bewegungen geben, die diesen Täter vielleicht unterstützt hätten. All das ist höchst spekulativ. Aber hier wird nun ein Moment der politischen Unsicherheit genutzt, um die Stimmung weiter anzuheizen.

Und das Ganze geschieht in einer Situation, in der es viele private Waffenbesitzer gibt und viele verurteilte Kapitol-Angreifer von Trump begnadigt wurden. Das sind auch Leute, die gegebenenfalls politische Gewalt gutheißen oder dazu aufrufen. Das erinnert ein wenig an die aufgeheizte Situation in den 60er- und 70er-Jahren, also die Zeit der Bürgerrechtsbewegung. Aber damals gab es eben auch die Attentatsversuche auf Gerald Ford und Präsident Ronald Reagan. Politische Gewalt löst in den USA in der Regel immer eine Bewegung aus. Und dementsprechend ist das jetzt ein sehr volatiler Moment für die innenpolitische Situation in den Vereinigten Staaten. 

 

Gewalt auf den Straßen zu befürchten

tagesschau.de: Ein Mensch ist gestorben, erschossen worden. Inwieweit glauben Sie, dass Teile der Politik daraus versuchen werden, für sich politisch Kapital zu schlagen? 

Ashbrook: Ich glaube, das sehen wir jetzt schon. Eine quasi politische Figur, die parteipolitisch einzuordnen ist, wird bereits im Sinne einer Regierungsidee genutzt. Dazu gehört beispielsweise die bereits angesprochene Beflaggung an den Botschaften. Das ist eine neue Verquickung, die wir so noch nicht gesehen haben.

Und es wird versucht werden, dadurch die MAGA-Koalition stärker zusammenzuschweißen. Aber Präsident Trump wird das auch nutzen, um seine Pläne durchzusetzen. Das wird sich jetzt zuspitzen, das wird sehr viel schneller, sehr viel Ärger geben, mitunter eben auch mit Gewalt auf Amerikas Straßen. 

Auswirkungen auf Wahlkampf

tagesschau.de: In gut einem Jahr sind in den USA Zwischenwahlen. Welche Auswirkungen hat so ein Attentat Ihrer Einschätzung nach auf den Wahlkampf und die Wahlen selbst? 

Ashbrook: Ein amerikanischer Wahlkampf ist immer lang. Und dennoch sehen wir natürlich, wie stark besonders die Republikanische Partei in der Fläche, aber auch in Washington selbst, am Wahlrecht nacharbeitet. Sie wollen es gerne so zuschneiden, dass ihre Wählerinnen und Wähler in der Summe profitieren und stärker abschneiden. Das haben wir jetzt in Texas gesehen, aber eben auch in nationalen Änderungen des Wahlrechts. Das ist ein Punkt, auf den man sehr stark gucken muss. Aber es wird die politische Stimmung, den politischen Diskurs nicht auf eine neutrale Basis bringen, wo man Ideen diskutieren kann.

Das ist im Übrigen das größte Vermächtnis von Charlie Kirk. Er hat sich immer wieder der politischen Auseinandersetzung, der politischen Debatte, gestellt hat. Auch das wollte er in Utah erreichen. Davon gibt es tatsächlich wenige in der MAGA-Bewegung: Die Tatsache, dass er für eine politische Auseinandersetzung stand und seine Stimme nun verstummt ist, macht das Land insgesamt ärmer. Es braucht mehr neutrale, offene politische Debatten im amerikanischen Diskurs - nicht weniger. 

Das Gespräch führte Carl-Georg Salzwedel. Es wurde für eine bessere Lesbarkeit leicht redigiert und gekürzt.

 

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