Die Fehler haben vor allem die Anderen gemacht
In ihrem neuen Buch präsentiert die ehemalige US-Präsidentschaftskandidatin Harris viele Gründe für ihre Wahlniederlage 2024. Sich selbst sieht sie dafür kaum in der Verantwortung. Prominente Parteifreunde widersprechen deutlich.
"Ehrlich, witzig, nachdenklich und persönlich" sei ihr neues Buch mit dem Titel "107 Tage", sagt die ehemalige US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris im Werbespot ihres Verlags.
Das Wort "selbstgerecht" könnte einem noch in den Sinn kommen, denn die Fehler ihrer erfolglosen Kampagne, schreibt Harris, die hätten vor allem andere gemacht: Die machtgierigen Berater von Joe Biden, zum Beispiel, hätten den kraftlosen Präsidenten dazu gedrängt, weiterzumachen, anstatt den Weg für sie endlich freizumachen.
Von vielen Seiten unfair behandelt
Diese Beschreibung verwundert Josh Shapiro, den demokratischen Gouverneur im Swing State Pennsylvania. Er erinnert daran, dass Harris selbst damals immerhin Vizepräsidentin war. "Sie wird beantworten müssen, warum sie stets mit im Raum war und dennoch nie etwas gesagt hat - zumindest nicht öffentlich", erklärte er. Er selbst habe seine Bedenken gegenüber Biden privat und gegenüber seinem Team sehr deutlich geäußert, ob er wirklich für eine weitere Amtszeit geeignet wäre.
Nach ihrer eigenen Darstellung war Harris während ihrer Amtszeit als Vizepräsidentin stets loyal, sei aber unfair behandelt worden: vom Weißen Haus, von der First Lady, von der Presse sowieso.
Harris sieht gewisse Verantwortung für Bidens Kandidatur 2024 In ihrem ersten Liveinterview seit der US-Präsidentschaftswahl im November 2024 hat sich die ehemalige Kandidatin Kamala Harris eine Mitschuld an der Entscheidung des damaligen US-Präsidenten Joe Biden gegeben, erneut anzutreten."Ich habe und hatte eine gewisse Verantwortung, der ich hätte nachkommen müssen", sagte Harris im Gespräch mit Moderatorin Rachel Maddow beim Sender MSNBC. Ein solches Gespräch - selbst im privaten Rahmen - wäre ein außergewöhnlicher Bruch im Verhältnis zwischen Präsidenten und Vizepräsidentin gewesen.
Harris' Aussagen bezogen sich auf eine Passage in ihrem Buch "107 Days", in dem sie beschreibt, warum ihre Demokratische Partei den 81-jährigen Biden zunächst zur Wiederwahl antreten ließ. Sie und andere demokratische Politiker hätten die Entscheidung, ob Biden erneut Präsidentschaftskandidat werden solle, ihm und seiner Ehefrau Jill Biden überlassen, hieß es in einem Auszug aus dem Buch, der am 10. September im Magazin The Atlantic erschienen war.
"War es Anstand oder war es Leichtsinn? Rückblickend denke ich, dass es Leichtsinn war", schreibt Harris darin. Im Interview sagte Harris weiter: "Wenn ich von Leichtsinn spreche, meine ich damit vor allem mich selbst." Sie habe befürchtet, dass es "völlig eigennützig gewirkt" hätte, wenn sie Biden zum Verzicht geraten hätte.
Buttigieg: "War überrascht, als ich das las"
Auch ihre letztlich mutlose Entscheidung für einen Running Mate, also ihren Vizepräsidentschaftskandidaten, rechtfertigt Harris rückblickend mit äußeren Umständen: Eigentlich habe sie den populären Pete Buttigieg gewollt, aber die Kombination aus schwarzer Kandidatin und schwulem Vize - das habe man Amerika nicht zumuten können.
Buttigieg selbst will das im Interview mit dem Magazin Politico nicht so stehen lassen: "Ich war überrascht, als ich das las", sagte er. "Weil ich glaube, dass man den Amerikanern mehr Vertrauen schenken sollte." Wähler würde man auf der Grundlage dessen gewinnen, was man deren Meinung nach für ihr Leben tun könne. Nicht auf der Grundlage von Kategorien.
Harris fällt nur Bedauern ein
Unter Demoskopen lautet die einhellige Analyse, dass dem Wahlkampf von Harris 2024 eigene visionäre Angebote, wettbewerbsfähige Wahlversprechen, besonders zur Wirtschaft und Einwanderung, sowie eine klare Distanzierung zum unbeliebten Biden fehlten.
Im Rückblick fällt Harris dazu kaum mehr ein als das Bedauern, dass ihr nicht mehr Menschen geholfen haben. Ob sie sich 2028 erneut bewerben wird, lässt Harris in ihrem Buch offen. Der demokratische Politikstratege Michael Hardaway zweifelt allerdings im Interview mit dem Sender MSNBC, ob Harris mit diesem Buch die nötige Unterstützung der Demokratischen Partei gewinnen könnte.
"Dieses Buch hilft weder uns als Partei noch unserem Land wirklich weiter. Wir müssen so geeint wie möglich auftreten, um uns der Schreckensparade zu stellen, die uns Donald Trump aufgezwungen hat", erklärte er. Er sehe einfach keinen Sinn darin, dieses Buch, das so spalterisch wirke, in einer für das Land so kritischen Zeit jetzt zu veröffentlichen.
Demokraten fehlt Patentrezept
Den US-Demokraten fehlt bis heute das Patentrezept, um gegen die radikale Politik und den illiberalen Staatsumbau des amtierenden Präsidenten vorzugehen. Das Buch "107 Tage" handelt von ungenutzten Möglichkeiten, ausgeschlagenen Empfehlungen und falschen Konzepten - allerdings ohne selbst neue zu bieten.
Samuel Jackisch, ARD Washington, tagesschau, 23.09.2025 08:11 UhrHaftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke