«Die Angriffe zeigen die Limits von Israels Abwehrsystem auf»
Nach israelischen Angriffen auf Militär- und Nuklearanlagen im Iran reagiert dieser mit Vergeltungsschlägen. Wie ist die Situation in der Region einzuschätzen? Unsere Nahost-Korrespondenten Anita Bünter und Jonas Bischoff zur Lage vor Ort.
SRF News: Was passiert derzeit in der Küstenmetropole Tel Aviv?
Anita Bünter und Jonas Bischoff: Der Iran hat heute Abend zahlreiche ballistische Raketen auf Israel gefeuert. Die Sirenen haben geheult und die Menschen mussten Schutzräume aufsuchen. Bei den iranischen Vergeltungsschlägen ist es zu mehreren Einschlägen in Zentralisrael gekommen.

Es gibt Bilder von einem Einschlag mitten in Tel Aviv. Rettungskräfte sprechen von mindestens 35 Verletzten, darunter eine schwerverletzte Person. Die Ereignisse von Freitagabend zeigen auch die Limits des israelischen Abwehrsystems auf. Bei vielen Raketen gleichzeitig kann das System an seine Grenzen kommen.
Was ist in den nächsten Stunden zu erwarten?
Israel scheint gewillt zu sein, seine Angriffe gegen den Iran fortzusetzen. So ist anzunehmen, dass gleichzeitig auch der Iran weiter Drohnen und Raketen nach Israel abfeuert. Hier in Israel sind die Schulen geschlossen, der Flugverkehr eingestellt und grössere Menschenansammlungen sind verboten. Das dürfte bis auf Weiteres auch so bleiben. Auch die für heute angesagte Tel Aviv Pride Parade wurde das erste Mal in ihrer Geschichte abgesagt. Dazu kommt die Gefahr, dass auch iranische Verbündete Vergeltungsschläge verüben könnten, so etwa die Huthi-Milizen im Jemen. Es dürfen also unangenehme Tage werden – in Israel, wie im Iran.
Bisher hat Israel gewissermassen einen Schattenkrieg geführt gegen den Iran. Warum nun diese deutlich grössere Angriffswelle?
Der Konflikt zwischen Israel und Iran hat sich immer weiter hochgeschaukelt. Bereits vor den neuesten Angriffen haben sich die beiden Länder gegenseitig heftig angegriffen. Der Grossangriff Israels in der Nacht war aber nochmals eine ganz neue Eskalationsstufe und in dieser Form bisher beispiellos. Das iranische Atomprogramm ist Israel schon lange ein Dorn im Auge und jetzt sah Israel wohl einen idealen Zeitpunkt für einen Angriff.
Wir beobachten seit dem Hamas-Massaker einen deutlichen Wechsel in der Strategie. Israel setzt auf eine deutlich aggressivere Sicherheitspolitik.
Viele Verbündete sind nach israelischen Angriffen der letzten Monate geschwächt und die Atomverhandlungen zwischen den USA und Iran sind nicht wirklich vom Fleck gekommen. Wir beobachten seit dem Hamas-Massaker vor eineinhalb Jahren einen deutlichen Wechsel in der Strategie. Israel setzt auf eine neue – deutlich aggressivere – Sicherheitspolitik. Nach dem Motto: «Angriff ist die beste Verteidigung.» Und als Teil dieser Strategie hat die israelische Führung nun offenbar entschieden, das iranische Atomprogramm und die Führung direkt anzugreifen.
Ist es damit nun definitiv vorbei mit den Verhandlungen der USA mit dem Iran über das Atomprogramm?
Ja, mit diesen Verhandlungen dürfte es vorbei sein, alles andere wäre kaum vorstellbar. Der Iran hat sich angesichts der Gespräche wohl auch in falscher Sicherheit gewiegt und hat nicht mit einem israelischen Angriff gerechnet. Für Sonntag wäre eine weitere Gesprächsrunde geplant gewesen. Dass der Iran am Freitag empfindlich getroffen worden ist: Das kann und will Teheran kaum auf sich sitzen lassen. Auch Israel hat bereits wieder Vergeltung angekündigt – und so stehen die Zeichen derzeit voll auf Gewalt und eben nicht auf Verhandlungen. Auch wenn US-Präsident Donald Trump dem Iran angeboten hat, dass man immer noch einen «Deal» machen könne.
Das Gespräch führte Arthur Honegger.
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