Hinter der Grenze das Elend
Viele Haitianer sind Billigarbeiter in der benachbarten Dominikanischen Republik. In ihrer Heimat herrschen dagegen Gewalt und Elend. Wie konnten sich beide Inselteile so unterschiedlich entwickeln?
Punta Cana in der Dominikanischen Republik ist das, was man gemeinhin als Urlaubsparadies bezeichnet: traumhaft schöne Strände, türkises Meer, karibisches Feeling.
Aber Punta Cana sei auch ein Albtraum, sagt Menschenrechtler Santiago Molina - für Migranten aus Haiti. Abseits der Touristenmeile will er zeigen, wie die dominikanische Migrationsbehörde, die Migra, Jagd auf Haitianer macht. Es dauert nicht lange, dann sind Pfiffe zu hören und Männer zu sehen, die über die Dächer abhauen.
Es sind Haitianer, die vor der Migra flüchten, die mit ihren Pick-ups anrollt. Wer nicht schnell genug ist, wird mitgenommen und abgeschoben. Auch das sind Szenen aus dem Urlaubsparadies.
Ihre Flucht vor der Migra war vergebens. Nun müssen die Billigarbeiter aus Haiti die Dominikanische Republik wieder verlassen.
Zwei Welten
Laut Schätzungen lebt eine halbe Million Haitianer in der Dominikanischen Republik. Tatsächlich dürften es deutlich mehr sein.
Kein Wunder: In Haiti herrscht politisches Chaos, 5.600 Tote durch Ganggewalt gab es im vergangenen Jahr, Banden kontrollieren fast die komplette Hauptstadt. Die Hälfte der rund elf Millionen Einwohner hungert, während im Nachbarland die Wirtschaft boomt.
Die beiden Länder teilen sich die Insel Hispaniola, haben etwa gleich viele Einwohner. Doch Bruttoinlandsprodukt und Pro-Kopf-Einkommen sind in der Dominikanischen Republik etwa fünfmal höher als in Haiti.

Frühe Unabhängigkeit - für einen hohen Preis
Die Ursachen dieser extremen Unterschiede reichen bis in die Kolonialzeit. Haiti galt mal als profitabelste Kolonie der Welt, zumindest für die französischen Kolonialherren, die dorthin massenhaft Sklaven aus West- und Zentralafrika verschleppten und für den Anbau von Zuckerrohr und Kaffee ausbeuteten.
1791 begann ein Sklavenaufstand, der 1804 zur Unabhängigkeit Haitis führte: Es wurde in einer damals extrem rassistischen Welt der erste unabhängige Staat Lateinamerikas.
Die Unabhängigkeit ließ Frankreich sich mit 150 Millionen Francs bezahlen. Die Folgen waren gigantische Schulden, die Haitis Wirtschaft über Jahrzehnte lähmten. Die Dominikanische Republik dagegen war spanisch kolonisiert, weniger auf Sklavenwirtschaft ausgelegt, die spanischen Besatzer mischten sich mit den Indigenen und Sklaven. Und während in Haiti der Plantagenanbau zu massiver Abholzung und Bodenerosion führte, blieb die Natur in der Dominikanischen Republik intakter.
Boom auch dank Billigarbeit
Auf dominikanischer Seite, in Punta Cana, zeigt Santiago Molina den Reportern später noch den "Arbeitsstrich". An einer Schnellstraße warten früh morgens hunderte Haitianer, mit Maßbändern und Helmen. Sie suchen Arbeit auf dem Bau. Immer wieder halten Lkw an, nehmen Männer mit.
"Oft sind es schlecht bezahlte Jobs", erklärt Molina. Punta Cana boomt, überall werden Hotels, Apartments und Einkaufszentren hochgezogen. Viele, die auf dem Bau schuften, sind Billigarbeiter aus Haiti.
"Wenn die Unternehmer die Löhne nicht zahlen wollen, rufen sie einfach die Migrationsbehörde", kritisiert Santiago. Die nehmen die Arbeiter dann mit. Die Dominikaner bauten ihren Wohlstand auf dem Rücken der haitianischen Migranten, sagt der Menschenrechtler. Stimmt teils, aber eben nicht nur.
Arbeit auf Zuruf: Entlang einer Schnellstraße hoffen Migranten aus Haiti auf ein Angebot, auf dem Bau arbeiten zu können.
Niedergang eines "Geheimtipps"
Denn eigentlich hat Haiti das gleiche Potenzial wie sein Nachbar. In den 1970er- und 1980er-Jahren galt das Land sogar als exklusives Reiseziel und Geheimtipp. Hillary und Bill Clinton verbrachten hier ihre Flitterwochen, auch Mick Jagger kam nach Port-au-Prince.
Damals regierte Diktator Jean-Claude Duvalier, genannt "Baby Doc". Die USA duldeten ihn im Kalten Krieg als Bollwerk gegen den Kommunismus. 1986 wurde er durch einen Volksaufstand gestürzt.
Zwar beendeten die Haitianer dadurch eine fast dreißigjährige Schreckensherrschaft der Familie Duvalier. Danach gelang es aber nicht, das Land zu stabilisieren. Es folgten wechselnde Regierungen, Erdbeben, Cholera und Gewalt. Der Tourismus brach ein.
Der letzte gewählte Präsident, Jovenel Moïse, wurde 2021 ermordet. Seitdem versprechen Übergangsregierungen immer wieder Wahlen, doch bisher bewegt sich politisch nichts, und angesichts der extremen Ganggewalt scheinen Wahlen kaum durchführbar.
Gangs außer Kontrolle
Selbst die heutigen Gangs haben ihre Vorläufer in Haitis Diktatur. François Duvalier, genannt "Papa Doc", gründete 1958 die "Tonton Macoutes", eine Geheimpolizei, die mit Terror, Folter und Mord die Macht des Diktators sicherte.
Nach Ende der Duvalier-Diktaturen nutzten Politiker und Geschäftsleute Banden und Milizen, um ihre Interessen mit Gewalt durchzusetzen.
Heute sind die Gangs außer Kontrolle geraten, terrorisieren die Bevölkerung, sind hochgerüstet mit Waffen, die mithilfe krimineller Organisationen vor allem aus den USA nach Haiti geschmuggelt werden und den Konflikt weiter anheizen.

Bei Elias Pina bewacht ein dominikanischer Soldat einen Grenzübergang zu Haiti. Viele Haitianer warten darauf, in das Nachbarland gelassen zu werden, in dem die Löhne deutlich höher sind.
Der Nachbar schottet sich ab
Einerseits wirkt es verständlich, dass die Dominikanische Republik sich schützen will. Die dominikanische Regierung lässt eine Grenzmauer bauen, vier Meter hoch, mit Wachtürmen und Stacheldraht.
Andererseits, sagt Menschenrechtsaktivist Molina, sei es doch unmenschlich, Haitianer massenhaft in das Chaos ihrer Heimat abzuschieben. Zudem, sagt er, beteiligten sich korrupte Grenzbeamte am Geschäft mit den Migranten.
Solche Vorwürfe hört man immer wieder von Haitianern, die Behörden aber bestreiten sie. Die dominikanische Regierung sagt, sie könne ihrem Nachbarn alleine nicht helfen. Die internationale Gemeinschaft müsse handeln. Solange aber schottet sich das Urlaubsparadies weiter ab.
Die Weltspiegel-Dokumentation "Karibikurlaub neben Haitis Hölle" sehen Sie ab sofort in der ARD-Mediathek.
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