Die Bilder hungernder Kinder und die Klagen der Hilfsorganisationen sorgen bei der Bundesregierung für eine Verschärfung im Ton gegenüber Israel. Kanzler Merz setzt weiter auf Gespräche und Warnungen.

Am Montag sprach der Kanzler von einer Luftbrücke - ein großes, vielleicht zu großes Wort für die deutsche Hilfe aus der Luft. Es geht um humanitäre Güter, die aus deutschen A400M Transportmaschinen über Gaza abgeworfen werden. Einen Tag später stand der Kanzler Merz neben dem jordanischen König im Kanzleramt und aus der Luftbrücke sind "Air-Drops" geworden.

"Diese Arbeit mag humanitär nur einen kleinen Beitrag leisten. Aber sie ist ein wichtiges Signal. Wir sind in der Region. Wir sind da. Wir helfen." Es ist wohl auch ein Signal an alle Kritiker der Bundesregierung, die Deutschland Untätigkeit im Angesicht von verhungernden Kindern vorwerfen.

Hilfe aus der Luft als Symbolpolitik

Hilfe aus der Luft ist wenig mehr als Symbolpolitik. Schon einmal beteiligte sich Deutschland im Frühjahr 2024 an einer solchen Aktion über dem Himmel von Gaza. In rund zweieinhalb Monaten warfen deutsche Maschinen damals insgesamt gerade einmal 315 Tonnen Lebensmittel ab. Weniger als 20 Lastwagenladungen. Gaza aber braucht nach UN-Angaben pro Tag 400 bis 500 Lkw mit Hilfsgütern, um die zwei Millionen Menschen ansatzweise zu versorgen.

Luftbrücke? Die Berliner Luftbrücke, die vielen in den Sinn kam, als der Kanzler am Montag das große Wort in Mund nahm, versorgte damals das abgeriegelte Berlin pro Tag mit 5000 Tonnen Hilfsgütern. Die Bundeswehr schaffte aus der Luft 315 Tonnen in zweieinhalb Monaten.

Hilfsorganisationen sprechen jetzt von einer sinnlosen Initiative, gar von Zynismus. Medico International hält das alles für eine so wörtlich "Imagekampagne". Und der ehemalige Leiter des UN-Welternährungsprogramms, Ralf Südhoff, sagte, es sei die "unsinnigste Luftbrücke, die es je gab."

"Die unsinnigste Luftbrücke, die es je gab"

König Abdullah von Jordanien stand gestern neben Friedrich Merz im Kanzleramt in Berlin und der Jordanier sprach aus, worum es bei dieser Hilfe aus der Luft auch geht: Air-Drops seien ein Tropfen im Ozean, aber sie würden auch den Druck auf Israel erhöhen. Darum geht es derzeit auch der Bundesregierung. "Diese Hilfe aus der Luft ist auch nur ein zusätzliches Mittel, weil wir das tägliche Sterben und Leiden sehen und uns fragen, was kann man tun?", sagt der deutsche Außenminister Johann Wadephul unumwunden und klingt für einen Moment undiplomatisch ehrlich.

74 Prozent aller Deutschen sind laut Umfrage für eine schärfere Haltung der Bundesrepublik gegenüber dem Verbündeten Israel. Kanzler Merz und seine schwarz-rote Koalition spüren, dass auch hierzulande die Stimmung kippt. Die Bilder aus Gaza sorgen auch bei den Freunden Israels mittlerweile für Empörung.

Netanjahu: "Es gibt keinen Hunger in Gaza"

Hunger als Waffe? Israels Premier Benjamin Netanjahu hat gerade öffentlich bestritten, dass Israel mit dem Hunger Politik mache, mehr noch: "Es gibt keinen Hunger in Gaza", behauptet Netanjahu provozierend deutlich. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO aber sind allein in diesem Monat 63 Menschen in Gaza verhungert, darunter 24 Kinder. Andere Helfer nennen deutlich höhere Zahlen. 90.000 Frauen und Kinder müssen laut Welternährungsprogramm dringend wegen akuter Unterernährung versorgt werden.

Jordaniens König Abdullah sprach am Dienstag aus, was der Kanzler bisher vermeidet. Israel politisiere die Hungerhilfe. Bürokratie werde von Israel als Werkzeug missbraucht, Gaza in den Hunger zu treiben. Jordanische Hilfslieferungen per LKW würden von jüdischen Siedlern angegriffen. Dafür sei Israel verantwortlich. "Die Katastrophe hat unaussprechliche Ausmaße erreicht", sagt Abdullah. Die Bilder hungernder Kinder erschütterten die ganze Welt. Es sei ein dunkles Mal auf unserer Menschlichkeit, dass wir so etwas weiter geschehen lassen.

Wadephul: "Öffentliche Erklärungen sind wichtig"

Der Jordanier, ein enger Verbündeter Deutschlands, meint da auch die deutsche Bundesregierung. Die versucht es bisher - vorneweg der Kanzler - mit öffentlichem Druck und internen Gesprächen. Aber sie alle wissen auch um die Grenzen dieser Taktik. "Öffentliche Erklärungen sind wichtig", sagt Außenminister Wadephul. Noch wichtiger aber seien praktische Ergebnisse für die Menschen, um das Leiden zu beenden. Über das Wie auf dem Weg dorthin aber streiten sie. Kanzler Merz belässt es bei vagen Drohungen. "Wir werden in den nächsten Tagen die Lage weiter beobachten und über weitere Schritte beraten", sagt er wieder und wieder.

Weitere Schritte? Die Professorin für Wirtschaft und Gesellschaft des Nahen Ostens, Christine Binzel von der Universität Erlangen-Nürnberg, wirft der Bundesregierung vor, untätig zu bleiben. Sie verstoße damit gegen internationales Recht und das deutsche Grundgesetz. Die Wissenschaftlerin sprach wörtlich von einem "kolossalen Versagen". Wer mit Hunger Politik mache, könne kein Partner sein, sagt Linkspartei-Co-Chef Jan van Aken und spricht von Kriegsverbrechen Israels.

Was sind die weiteren Schritte der Bundesregierung?

Weitere Schritte? Ein Stopp der deutschen Waffenexporte an Israel, ein Aussetzen des EU-Assoziierungsabkommens mit Israel, dass seit dem Jahr 2000 Zollvergünstigungen und Handel fördert, ein Ausschluss Israels aus dem EU-Forschungsprogramm Horizont Europa: Das wären mögliche weitere Schritte.

Der Kanzler aber bleibt da wie zuletzt stets vage. In Brüssel habe es über einen Ausschluss Israels aus dem EU-Forschungsprogramm derzeit noch keine Beratungen gegeben sagt Merz. "Das muss aber nicht das letzte Wort sein", schiebt er nach und auch hier die typische deutsche Botschaft an die israelische Regierung: "Wir könnten auch anders, wenn wir wollten." Noch aber wollen sie offenbar nicht.

Morgen reist der deutsche Außenminister nach Israel. Eine Woche später soll er laut Merz zusammen mit seinem französischen und britischen Amtskollegen dann erneut dort vorstellig werden. "Und wenn das erforderlich ist, dann sind wir auch bereit, uns noch nachdrücklicher für eine Lösung einzusetzen", sagt dazu der Kanzler. Was er unter "noch nachdrücklicher" versteht, bleibt vorerst sein Geheimnis.

Hilfsorganisationen jedenfalls warnten in Berlin, dass die Zahl der Hungertoten in Gaza bald dramatisch in die Höhe schnellen werde. Und der Kanzler? Er begrüßte die ersten Schritte, die Netanjahu mit Feuerpausen und Genehmigungen für Hilfskonvois eingeleitet habe. Aber weitere Schritte müssten folgen. Für das kleine Kind aus Gaza, dass eine Oxfam-Mitarbeiterin jetzt in Berlin zitierte, dürfte das alles zu spät kommen. Fast verhungert, habe ihr das Mädchen mit pochendem Herzen gesagt: "Bis zu meinem Geburtstag will ich im Himmel sein - da gibt es alles zu essen, sogar Schokolade."

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