Nach dem Aus der Ampelkoalition brauchte CSU-Chef Söder neue Gegner und Themen. Gefunden hat er unter anderem die Deckel von Plastikflaschen - und mit ihnen die gesamte EU.

Bei dieser fast komödiantischen Einlage sind Markus Söder Applaus und Lacher sicher. "Jeden Morgen geht mir Europa auf den Keks", ruft der CSU-Chef Mitte Juli bei einer Veranstaltung des Bauernverbands ins Festzelt. "Ich trinke in der Früh Cola light aus einer Plastikflasche, und jeden Morgen versuche ich, den Scheißdeckel abzukriegen." Kurze Pause. "Entweder hängt er mir auf dem Auge, oder ich schütte mir was auf die Hose, weil ich ihn abreiße." Dazu wedelt Söder mit den Armen, greift sich ans Auge, wirft den Kopf nach hinten, verzieht das Gesicht. Das kommt an im Bierzelt.

Der Spott über die Deckel, die in der EU fest an der Plastikflasche hängen, ist seit Wochen fixer Bestandteil von Söders Auftritten. "Am Morgen bin ich jedes Mal echt verzweifelt über die EU", rief er kürzlich auf dem Volksfest in Poing bei München. Dem Zeit-Magazin sagte er, die EU gefährde mit den Deckeln täglich seine Gesundheit. Im Sat.1-Interview wertete er die "lächerliche Plastikdeckel-Geschichte" als Beleg, dass in Europa "praktische Vernunft" fehle.

Auch beim Bauernverband kommt er vom Deckel zu Grundsätzlichem, verweist auf den Wettstreit der EU mit China und den USA: "Glauben wir wirklich, dass Deckelverordnungen uns da irgendwie einen Vorteil bringen?"

Was kommt nach der Ampel?

Laut dem Politikwissenschaftler und ehemaligen Direktor der Akademie für Politische Bildung, Heinrich Oberreuter, sieht man "an den zum Teil lächerlichen Gegenständen, dass man einen neuen Gegner sucht". Denn die Ampelkoalition, an der sich Söder drei Jahre lang intensiv abgearbeitet hatte, steht als Zielscheibe nicht mehr zur Verfügung: Der laut Söder "peinlichste Kanzler" Olaf Scholz und "schlechteste Wirtschaftsminister" Robert Habeck sind abgetreten, seit Mai regiert die CSU im Bund mit.

Hört man sich in der Partei um, wird bestätigt, dass sich die CSU-Spitze rhetorisch neu ausrichtet, nämlich von Berlin auf Brüssel umschwenkt. "Eine gewisse Europa-kritische Haltung ist Teil der innerparteilichen Tradition", sagt Politologe Oberreuter. Besonders laut waren diese Töne im Europawahlkampf 2014, als der damalige CSU-Vize Peter Gauweiler die ganze EU-Kommission zur "Flaschenmannschaft" erklärte.

Von diesem Donner ist Söder weit entfernt, aber er balanciert seine Rhetorik neu aus. Statt auf eine "Flaschenmannschaft" schießt er sich auf Flaschendeckel ein. Mit dem Thema könne die CSU demonstrieren, "dass man bei den Menschen ist", sagt Oberreuter. "Wenn man ein Defizit bei wichtigen Themen hat und in Grundsatzfragen nichts zu diskutieren, kann man auf Nebenkriegsschauplätze ausweichen."

Politik mit dem Deckel

Dass sich mit Deckel-Bashing Zustimmung finden lässt, belegen Umfragen. Zuletzt ergab im Juni eine Studie des Nürnberg Instituts für Marktentscheidungen, dass 63 Prozent der Menschen in Deutschland die Handhabung der fest verbundenen Verschlüsse als schlechter empfinden. Seit Juli 2024 sind die "Tethered Caps" bei Einwegflaschen in der EU Pflicht, um Plastikmüll in den Meeren zu verringern.

Rechtspopulisten entdeckten deren emotionales Potenzial schon im Europawahlkampf 2024: Der italienische Vizepremier und Vorsitzende der Lega, Matteo Salvini, schimpfte über "surreale Öko-Vorschriften aus Brüssel". Die österreichische FPÖ schrieb: "Das ist die EU: Nervige Stöpsel statt Grenzschutz."

Monate später griff dann auch CDU-Politiker Jens Spahn die Verschlüsse auf: Während die EU eine Flaschen-"Innovation" einführe, baue Elon Musk in den USA fortschrittliche Raketen, beklagte er im Herbst. Im Februar verkündete CDU-Chef Friedrich Merz auf einem CSU-Parteitag, solchen "Pipifax" brauche kein Mensch. Söder baute das Thema schließlich zum Polit-Sketch aus.

Die EU als neue Zielscheibe

Ins ZDF-Sommerinterview mit dem CSU-Chef schaffte es der Deckel zwar nicht, mit Kritik an der EU sparte Söder aber auch dort nicht: Eine eigene Steuer in der EU sei "undenkbar", beim Thema Auto müsse Europa das "ideologische" Verbrennerverbot aufheben. "Mir fiele jetzt viel ein, was in Europa sich ändern muss", ließ Söder die Zuschauer wissen.

Bei anderer Gelegenheit wies er den Entwurf der EU-Kommission für den neuen Finanzrahmen als "nicht akzeptabel" zurück, sein Europaminister Eric Beißwenger (CSU) geißelte die Pläne sogar als "radikal".

Zwar arbeitet sich Söder in seinen Reden weiter auch an Bürgergeld und Gendersprache ab, kritisiert Nichtregierungsorganisationen und bringt auch die Grünen noch unter. Aber er hat nach dem Ampel-Aus mit der EU und den "Gesundheit gefährdenden" Plastikdeckeln eine neue Zielscheibe gefunden.

Bei Sitzungen von CSU-Vorstand und bayerischem Kabinett ist Söders Auge übrigens nicht in Gefahr: Dort gibt es Cola light in Mehrwegflaschen aus Glas - mit Kronkorken.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke