• An der Stelle, die der Attentäter nutzte, um mit dem Tatfahrzeug auf den Weihnachtsmarkt zu gelangen, klafften breite Lücken.
  • Der Untersuchungsausschuss zum Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg benennt unklare Zuständigkeiten als eines der Hauptprobleme.
  • Größere Lücken zwischen den Betonsperren sollten die Zufahrt für Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr gewährleisten.
  • Der Untersuchungsausschuss sieht sich vom Innenministerium ausgebremst. Unklar ist, was genau in öffentlicher Sitzung behandelt werden könne.

Magdeburgs Oberbürgermeisterin Simone Borris (parteilos) hat Fehler der Stadtverwaltung im Vorfeld des Attentats auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt am 20. Dezember 2024 eingeräumt. So hätten die zuständigen Behörden es versäumt, die Position der zum Schutz des Marktes aufgestellten Betonsteine zu kontrollieren, sagte Borris am Freitag, 15. August, vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Landtages. Wieso, das könne sie sich selbst nicht erklären.

In der vergangenen Woche hatten sich zur Absicherung des Magdeburger Weihnachtsmarkts bereits der langjährige Ordnungsbeigeordnete der Stadt Magdeburg, Holger Platz, und der aktuelle Ordnungsbeigeordnete, Ronni Krug, geäußert. Aus Sicht der Stadt Magdeburg hätten Polizeifahrzeuge in größeren Lücken zwischen Betonsperren stehen sollen. Sie seien fester Bestandteil des Sicherheitskonzepts gewesen, berichtete Holger Platz im Untersuchungsausschuss im Landtag in Magdeburg am Freitag, 8. August. Bis 2022 war er für die kommunale Sicherheit zuständig.

Auch der Ronni Krug erklärte am 8. August, er verstehe unter den vorgesehenen mobilen Sperren solche Polizeiwagen. In einer persönlichen Erklärung sagte er: "Es gibt einen Schuldigen in dieser ganzen Sache, und das ist der Täter."

Aber es gebe auch so etwas wie Verantwortung und die teilten sich aus seiner Sicht drei Institutionen: der Veranstalter, die Stadt und das Land in Form der Polizei. Es fehle immer noch an landesgesetzlichen Regelungen, die ausreichend Koordinierung böten.

Wir wussten nicht, wer unter uns lebt.

Simone Borris

Lücken für den Rettungsdienst deutlich breiter als vorgesehen

Wie sich nach dem Anschlag herausgestellt hatte, standen die Steine teils anders als im Sicherheitskonzept vorgesehen. Lücken für den Rettungsdienst waren deutlich breiter als vorgesehen. An der Stelle, die der Attentäter nutzte, um mit dem Tatfahrzeug auf den Weihnachtsmarkt zu gelangen, klafften sogar zwei rund sechs Meter breite Lücken. Auch diese Zufahrten seien nicht überprüft worden, gab Borris am Freitag, 15. August zu.

Von diesen mangelhaften Prozessen und den Inhalten des Sicherheitskonzeptes habe sie als OB allerdings erst im Nachgang des Anschlags Kenntnis erhalten. Das liege auch nicht in ihrem klassischen Aufgabenbereich, solange sie keine Kenntnis von Problemen erhalte.

Borris räumt Verquickung ein

Ferner sei es falsch gewesen, dass der für Ordnung und Sicherheit zuständige Beigeordnete Ronni Krug auch den Vorsitz der Gesellschafterversammlung der Weihnachtsmarkt GmbH als Veranstalter inne hatte. Man habe auf diese Verquickung reagiert und Krug als Vorsitzenden abgelöst.

Unklare Zuständigkeiten als eines der Hauptprobleme

In einer Ausschusssitzung im Juni hatte die Polizei auf die Zuständigkeit des Veranstalters für den Schutz der Zufahrt verwiesen. Die Polizei hätte die Zuwege zum Magdeburger Weihnachtsmarkt mit mobilen Sperren nur geschlossen, wenn eine konkrete Gefahr bekannt gewesen wäre, erklärte eine Polizeibeamtin des Polizeireviers Magdeburg, die das Einsatzkonzept verfasst hatte. Voraussetzung wären demnach Hinweise auf eine geplante Tat in Magdeburg oder Angriffe in anderen Städten gewesen.

Eine Polizistin entschied selbstständig über Standort

Eine 29 Jahre alte Polizistin der Landesbereitschaft berichtete, dass sie selbstständig entschieden habe, den Polizeitransporter am 20. Dezember nicht genau an den Punkt abzustellen, der in einer abgestimmten Karte eingezeichnet war. Ihr sei es angesichts der vielen Fußgänger nicht möglich erschienen, von dort aus rechtzeitig den vorgesehenen Punkt zu sperren, ohne Personen in Gefahr zu bringen. Zudem hätten die Abgase des Einsatzfahrzeugs zu Belästigungen geführt. Sie habe ihre Entscheidung auch nicht an Vorgesetzte gemeldet. 

Vom Punkt, den sie als Fahrzeugstandort wählte, sei die zu sperrende Stelle im Fall einer konkreten Gefahr schnell erreichbar gewesen. Offen blieb, wie der eine Transporter zwei vorhandene Lücken binnen kurzer Zeit hätte schließen sollen. Die 29-Jährige berichtete, wie sie noch einen Schatten des Tatfahrzeugs sah, Menschen wie Kegel umfielen und sie einen Funkspruch absetzte. Anschließend habe sie mit ihren Kollegen bis weit in die Nacht den Rettungsdienst unterstützt.

Größere Lücken zwischen Betonsperren auf Wunsch der Feuerwehr

Nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz 2016 seien schnell die jeweils 1,7 Tonnen schweren Betonelemente beschafft worden, erklärte der damalige Ordnungsbeigeordnete Holger Platz am 8. August. In zwei Zugangsbereichen seien auf Wunsch der Feuerwehr Lücken gelassen worden, um die Zufahrt bei Einsätzen zu gewährleisten. 

Polizeifahrzeuge seien vorgesehen gewesen, um die Lücken abzusichern. Er sei immer davon ausgegangen, dass die Bullis in den Lücken stünden und eine physische Barriere darstellten und zugleich der Abschreckung dienten, so Platz. Einsatzprotokollen habe er entnommen, dass die Polizei diese Aufgabe auch wirklich angenommen habe.

Polizeidirektor: mobile Sperren waren nicht dauerhaft vorgesehen

Laut Sachsen-Anhalts Landespolizeidirektor Mario Schwan waren dagegen keine dauerhaften mobilen Sperren mit Fahrzeugen vorgesehen. Die Sperren sollten nur bei einer konkreten Gefahr errichtet werden, um diese abzuwehren, sagte Schwan eine Woche später bei einer Befragung durch den parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Landtags am Freitag, 15. August. "Eine dauerhafte Sperre war nicht vorgesehen", so Schwan.

Mario Schwan, Landespolizeidirektor von Sachsen-Anhalt, wurde am Freitag von den Mitgliedern des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt befragt.Bildrechte: picture alliance/dpa/Klaus-Dietmar Gabbert

Wie bereits andere Vertreter der Polizei betonte auch Schwan, dass es vorab keine Hinweise auf eine konkrete Anschlagsgefahr gegeben habe. Der Landespolizeidirektor hatte knapp zwei Monate vor dem Anschlag in einem Erlass darauf gedrungen, die Sicherheit von Veranstaltungen durch mobile und feste technische Sperren zu verbessern. Die Polizeiinspektionen sollten dafür die Veranstalter und die kommunalen Sicherheitsbehörden sensibilisieren und nach eigener Lagebeurteilung unter anderem in Magdeburg "an geeigneten Zugängen ggf. mobile Sperren durch das Postieren von Fahrzeugen" errichten. Der Erlass gebe einen bestimmten Rahmen vor, so Schwan nun im Ausschuss dazu. Die Umsetzung sei aber von den konkreten Gegebenheiten vor Ort abhängig, sagte er. 

Schwan übte am Freitag, 15. August im Ausschuss auch Kritik an der Landespolizei. Im Juni war zum Beispiel bekanntgeworden, dass ein Einheitsführer der Polizei, der den regulären Einsatz von rund 20 Beamten am Anschlagsabend in Magdeburg koordinierte, nicht selbst vor Ort war. Er hatte die Führung zunächst von einem Dienstgebäude aus der Ferne übernommen. Dies sei nicht richtig gewesen, sagte Schwan.

Schwan: eine Koordinierung der Polizeiarbeit am Tatort wäre richtig gewesenBildrechte: picture alliance/dpa/Klaus-Dietmar Gabbert

OB Borris fordert klarere Vorgaben für Zuständigkeiten

Oberbürgermeisterin Simone Borris forderte bei ihrer Befragung im Ausschuss am 15. August klarere Vorgaben für Kommunen, Polizei und deren Zusammenarbeit bei der Absicherung von Veranstaltungen. So gebe es im Land bisher keine Vorschriften zum technischen Zufahrtschutz, sagte Borris. Sie wünsche sich klare Vorgaben. Die Stadt-Chefin betonte, als Kommune sei man grundsätzlich auf die Erkenntnisse der Polizei angewiesen. Beim Bundeskriminalamt und bei den Polizeibehörden im Land hätten vor dem Anschlag insgesamt mehr als 100 Hinweise zum Täter vorgelegen. Der Stadt sei es dagegen nicht möglich gewesen, konkrete Gefahren zu erkennen, so die Oberbürgermeisterin. Niemand habe jene Stadt informiert, in der der Täter zwischen 2016 und 2020 gewohnt hätte. "Wir wussten nicht, wer unter uns lebt."

Borris: keine Vorschriften zum Schutz der ZufahrtenBildrechte: picture alliance/dpa | Klaus-Dietmar Gabbert

LKA-Abteilung stufte Täter als "Vielschreiber" ein

Zuvor war im Ausschuss erneut deutlich geworden, dass der Täter Taleb A. lange vor dem Anschlag im Landeskriminalamt (LKA) bekannt war. So wurde etwa im Dezember 2023 im LKA eine interne E-Mail verschickt, in der es um eine Straftat von Taleb A. ging. Der Vorgang sei damals in seiner Abteilung abgelegt worden, sagte ein LKA-Beamter aus dem Bereich Gefährdungsbeurteilungen im Ausschuss am 15. August. Man habe die Mail als Kopie erhalten und Taleb A. als "Vielschreiber" eingeordnet, der sich besonders häufig an Behörden wende. Auch auf mehrfache Nachfrage der Abgeordneten im Ausschuss blieb offen, wer diese Einschätzung in seiner Abteilung vornahm. "Ich kann nicht sagen, wer die Entscheidung getroffen hat", sagte der LKA-Beamte.

Beamter: Keine Hinweise auf konkrete Gefahr für Anschläge

Welche Konsequenzen es nach der Einschätzung als "Vielschreiber" gab, blieb ebenfalls offen. Dies sei im Einzelfall abzuwägen, man könne das nicht pauschal sagen, so der LKA-Beamte. Auch er machte deutlich, dass im Vorfeld der Todesfahrt keine Hinweise auf eine konkrete Gefahr für Anschläge auf Weihnachtsmärkte vorlagen. Es habe zwar eine abstrakte Gefahr bestanden, Deutschland sei unverändert ein Ziel dschihadistischer Organisationen, sagte er. Es habe jedoch keine Hinweise auf eine konkrete Gefahr gegeben.

2024 Fokus auf mögliche Messerangriffe

Angesichts einer möglichen Bedrohungssituation sagte Magdeburgs Ordnungsbeigeordneter Krug am Freitag, 8. August, ihm seinen für 2023 und 2024 keine Forderungen nach Veränderungen am Sicherheitskonzept bekanntgeworden. 2024 sei es verstärkt um das Thema Messerangriffe gegangen nach einer solchen Attacke in Solingen, sagte Krug. Eine geplante Reduzierung der Security-Kräfte sei daraufhin nicht umgesetzt worden.

Krug sagte, bei der Aufstellung der Betonsperren seien keine Bediensteten der Stadt dabei gewesen, um etwa die korrekte Positionierung zu kontrollieren. Er habe jetzt inzwischen angeordnet, dass das immer der Fall sein müsse.

Ausschuss bricht Zeugenvernehmung ab

Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss zur Aufarbeitung des Anschlags auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt sah sich zuletzt wiederholt vom Innenministerium ausgebremst. Die Abgeordneten brachen am Freitagnachmittag, 8. August, die Zeugenvernehmung eines Landeskriminalamt-Mitarbeiters (LKA) ab, nachdem er gebeten hatte, einen Großteil seiner Aussagen in nicht öffentlicher Sitzung machen zu wollen. Eine geplante Anhörung von LKA-Direktorin Birgit Specht wurde gar nicht erst begonnen. 

LKA-Chefin und Mitarbeiter werden erneut geladen

Die Ausschussvorsitzende Karin Tschernich-Weiske (CDU) sagte am 8. August, beide sollten erneut geladen werden. Der Ausschuss erwarte vom Innenministerium, dass bis dahin geklärt sei, was genau in öffentlicher Sitzung behandelt werden könne.

Kurz vor Weihnachten war ein 50-Jähriger aus Saudi-Arabien mit einem Auto über den Magdeburger Weihnachtsmarkt gefahren. Dabei wurden 6 Menschen getötet und über 300 weitere verletzt.

dpa, MDR (Theresa Lang, Maximilian Schörm, Susanne Ahrens, Daniel Salpius)

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