Soziale Medien und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen – dazu hat die Leopoldina, die Nationale Akademie der Wissenschaften, am 13. August eine Stellungnahme veröffentlicht, in ihrer Reihe mit Diskussionspapieren.

MDR Kultur hat darüber mit Leopoldina-Mitglied und Bildungsforscher Ralph Hertwig gesprochen.

MDR Kultur: Ralph Hertwig, 90 Prozent der Jugendlichen ab 12 Jahren in Deutschland nutzen soziale Medien – und es sollen über 80 Prozent sein, die das täglich tun, durchschnittlich dreieinhalb Stunden.
Kann das gesund sein – dreieinhalb Stunden? Was sagt die Wissenschaft? Was ist der Stand der Forschung? Wie wirken Social Media auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen?

Ralph Hertwig: Die Frage kann man so einfach nicht beantworten. Aber was wir beantworten können, ist: Bestimmte Nutzungsformen – und da ist insbesondere die Rede von riskanter Nutzung oder auch suchtartiger Nutzung – erhöhen die Wahrscheinlichkeit für psychische Probleme.

Und diese psychischen Probleme … da gibt es sehr viele verschiedene Formen: Das kann zum Beispiel Angst und Ängstlichkeit sein, Depression, Störungen des Körperbildes, sogar suizidale Gedanken, Selbstverletzungen oder Selbstverletzungsverhalten. Aber auch ganz andere Dinge, kognitive Dinge, wie etwa Lese- und Rechtschreibdefizite oder auch Sprachprobleme.

Sie haben aber neben Risiken auch die Chancen von sozialen Medien diskutiert.

Das ist völlig richtig – und es ist auch wichtig, dass man das immer mitdenkt.
Soziale Medien bieten natürlich auch viele Vorteile, wie beispielsweise in Kontakt zu kommen und sich ein soziales Netzwerk aufzubauen – insbesondere für vulnerable Gruppen oder sonst marginalisierte Gruppen.
Es kann auch eine gute Art und Weise sein, um sein Selbstwertgefühl, sein Selbstbild aufzubauen und zu festigen – insbesondere dann, wenn das Feedback, das man aus der sozialen Community bekommt, positiv ist.

Welche Schutzmaßnahmen haben Sie sich angeschaut?
Das Papier hat das in drei Schritte gegliedert: Was wissen wir? Was kann man machen? Was empfehlen wir? Da sind wir jetzt bei den Schutzmaßnahmen, die Sie diskutiert haben.Vermutlich ist das australische Modell dabei gewesen – Social Media für Kinder unter 16 Jahren zu verbieten?


Unsere Empfehlungen stehen unter der Idee, dass wir eigentlich zwei große Ziele haben: Erstens Kinder dort zu schützen, wo Schutz notwendig ist, und zweitens sie in die Lage zu versetzen, souverän, selbstreflektierend und kompetent mit sozialen Medien umzugehen.

Wenn man diese beiden Dinge unterscheidet, dann empfehlen wir im Sinne des Schutzes: Sehr junge Kinder – insbesondere unter 13 Jahren – sollten nicht auf sozialen Medien sein. Denn die Evidenz – und auch der Forschungsstand in der Psychologie – zeigen deutlich, dass Inhalte und Funktionsweisen sozialer Medien Kinder in diesem Alter überfordern. Das ist die eine Empfehlung.

Keine personalisierte Werbung für Kinder

Die andere – ebenfalls altersbezogen – ist, dass wir für Jugendliche zwischen 13 und 17 Jahren altersgerechte soziale Medien empfehlen. Die Inhalte sollten altersgerecht sein – das heißt, bestimmte Inhalte sollten nicht auftauchen, z. B. personalisierte Werbung oder Werbung für Produkte, die eindeutig psychische oder physische Risiken darstellen. Wir empfehlen für diese Altersgruppe soziale Medien, die sowohl bei den Inhalten als auch bei der Funktionalität angepasst sind.

Sie empfehlen altersgerechte soziale Medien, aber wie soll das konkret funktionieren? Wie kann das gehen, diese Empfehlung? An wen wendet sie sich?

Diese Empfehlung richtet sich an ganz unterschiedliche gesellschaftliche Stakeholder. Geht es um die Frage "Wie sollten altersgerechte soziale Medien aussehen?", dann zunächst an die Politik. Die müsste – zusammen mit Brüssel, denn es ist EU-Recht – an die Plattformen herantreten und sie regulieren.

Netzwerke müssen verpflichtet werden, Regeln umzusetzen

Und das ist nicht aus der Luft gegriffen: In vielen anderen Bereichen, bei Konsumprodukten oder Medien, sind wir auch der Meinung, dass bestimmte Inhalte für Kinder und Jugendliche nicht geeignet sind. Warum sollte das nicht auch für soziale Medien gelten? Diese Ansätze stehen übrigens schon im EU-Rahmenwerk, dem Digital Markets Act und dem Digital Services Act. Jetzt geht es darum, die sozialen Netzwerke regulatorisch zu verpflichten, dies umzusetzen.

Was sagen Sie Eltern, die jetzt zuhören, sich Sorgen machen – vielleicht die Netflix-Serie Adolescents gesehen haben? Die können doch zu ihren Kindern unter 13 sagen: "Hier, wir haben eine ganz klare Empfehlung von der Leopoldina – für euch ist das noch nichts."

Ich würde es nicht für einen Fehler halten – oder ich wäre nicht traurig darüber –, wenn auch Eltern diese Empfehlung lesen würden.

Das Gespräch führte Carsten Tesch.

Links/Studien

Das Diskussionspaper "Soziale Medien und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen" ist auf der Website der Leopoldina zu finden.

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