Von der Roten Liste gehüpft: Die Gottesanbeterin frisst Sexualpartner auch in Mitteldeutschland
Also eigentlich wollte ja Dirk Berger vor ein paar Tagen nur Heuschrecken suchen gehen – beziehungsweise kartieren, wie das Naturkundler so machen. Und dann saß sie wieder vor ihm: lang, dürr, Alien-Schädel und die Vorderbeine zum Gebet gefaltet. Bei aller fachlicher Nüchternheit – auch für den Biologen am Naturkundemuseum Potsdam ist das ein durchaus anmutiger Anblick. Und ein seltener: "In trockenen Lebensräumen, wo sehr viel verdorrtes Gras ist, da findet man eher gelbe oder braune Tiere und in Gärten, wo viel gegossen wird und alles schön grün ist, sind sie eher grün."

Und damit perfekt getarnt. Dirk Berger hat zum Suchen ganz Deutschland eingeladen. Das Museum betreibt mit dem bürgerwissenschaftlichen Portal Gottesanbeterin-gesucht.de eine von bundesweit mehreren Meldestellen, die der Verbreitung des Insekts auf die Schliche kommen wollen. Aber auch ein Blick in die sozialen Netzwerke zeigt, dass der Moment, plötzlich vor dieser wunderlichen Kreatur zu stehen, allgegenwärtig ist. "Bis heute wusste ich nicht, dass es die auch bei uns gibt", schreibt ein verdutzter User im Leipzig-Forum der Plattform Reddit. Das fotografierte Tier hat es sich auf einem Metallpfosten im Stadtraum gemütlich gemacht.
Gottesanbeterin: Erste Sichtungen Anfang des Jahrtausends, inzwischen etabliert
Der Trend dürfte klar sein: "Es gab Anfang der 2000er Jahre die ersten Meldungen in Sachsen und in Sachsen-Anhalt, 2007 in Brandenburg. Und mittlerweile sind weite Teile besiedelt, könnte man sagen", erklärt Dirk Berger. Und Tatsache: In den drei genannten Ländern und in Berlin ballen sich die Meldungen auf Bergers Portal. Neben dieser Ostpopulation der Europäischen Gottesanbeterin gibt es einen weiteren deutlichen Hotspot – eine Population, die zuerst im warmen Südwesten Deutschlands heimisch war und sich dann Richtung Norden nach Hessen, NRW und Niedersachsen ausgebreitet hat. Ausreißer schaffen es mittlerweile bis nach Norddeutschland, dieses Jahr liegt der nördliche Außenposten bei einer Meldung aus Schleswig-Holstein.

Kurzum: Der Klimawandel hat die Gottesanbeterin im Schlepptau, weite Landesteile sind für das Insekt inzwischen bewohnbar. Auf der Roten Liste des Bundesamts für Naturschutz ist Mantis religiosa inzwischen mit Sternchen versehen. Das heißt: Ungefährdet. Vor einigen Jahren sah das noch anders aus – in der deutschen Wikipedia wird etwa noch auf den Status der Kategorie 3 verwiesen, was "gefährdet" bedeutet, und als Quelle die Rote Liste von 1998 angeführt. Nun, da war es noch etwas kälter in Deutschland.
Es ist nicht so, wenn man irgendwo reinläuft und gut sucht, dass sie überall zu finden ist.
Wie einige Heuschreckenarten ist die Gottesanbeterin eine echte Klimagewinnerin, findet auch Roel van Klink vom deutschen Biodiversitätsforschungszentrum iDiv in Leipzig. Aber: "Es ist nicht so, dass wenn man irgendwo reinläuft und gut sucht, dass sie überall zu finden ist. Deswegen würde ich vorsichtig davon ausgehen, dass sich die Effekte auf das lokale Ökosystem in Grenzen halten."
Nach dem Sex: Frisst die Gottesanbeterin wirklich alle Männchen?
Der seltene Anblick darf also vorerst in vollen Zügen und ohne schlechtes Gewissen genossen werden. Vielleicht sogar der faszinierende Sexualkannibalismus, der die Gottesanbeterin so berühmt gemacht hat. Um an dieser Stelle mit einem Mythos aufzuräumen: Längst nicht alle Männchen müssen nach dem Akt dran glauben. Allerdings tun die aus Fortpflanzungssicht gut daran, sich auffressen zu lassen. Das mag grausam absurd klingen, aus Sicht von Biologe Roel van Klink aber vollkommen logisch: "Für die Männchen hat das Vorteile, weil sie damit wichtige Nährstoffe an die Weibchen spenden. Die Weibchen legen damit mehr Eier und die Eier können besser wachsen, weil da die Nährstoffe aus dem Männchen drin sind."

Wer dieses Schauspiel aus der Nähe beobachten möchte – oder sich auch einfach so am exotischen Dasein der einzigen Fangschrecke Deutschlands erquicken will, braucht Geduld, sagt Biologe Dirk Berger. Als Faustregel gilt: Die Gottesanbeterin ist auch eine Sonnenanbeterin: "Gottesanbeterinnen mögen vor allem offene Lebensräume, also Heideflächen oder trockene Rasen, auch Wegränder. Im beschatteten Lebensraum wird man die Gottesanbeterin also selten finden." Oder bei trübem Wetter. Ansonsten ist einfach loszusuchen der einzige heiße Tipp, den Berger geben kann. Na gut, vielleicht finden sich ja dabei auch ein paar spannende Heuschrecken.
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