Multiple Sklerose: Können Forscher die Bremse in Gehirn lösen?
Wer die Diagnose MS erhält, weiß nie genau, was das bedeutet. Diese Erkrankung des zentralen Nervensystems manifestiert sich in den unterschiedlichsten Formen. Moderne Therapien können Betroffenen das Leben erleichtern. Heilbar ist die Krankheit nicht. Was vor allem daran liegt, dass die genauen Ursachen der Erkrankung immer noch nicht verstanden sind. Ein US-Forschungsteam hat jetzt eine Entdeckung gemacht, die die Tür zu einer Therapie öffnen könnte. Die Forschenden beschreiben es als eine Art Bremse, die die Reifung wichtiger Gehirnzellen steuert. Bei Multipler Sklerose (MS), so das Team, scheine diese Bremse zu lange angezogen zu bleiben. Dadurch könnten die Zellen die durch die Krankheit verursachten Schäden nicht mehr reparieren.
Neuer Ansatz für Zellreparatur
Könnte man diese Bremse lösen, die Zellreifung steuern, dann würde das einen potenziellen Ansatz liefern, um durch MS und ähnliche Erkrankungen des Nervensystems verursachte Schäden zu reparieren. Dabei geht es um die Myelinscheiden im Gehirn, die zu den Behinderungen bei MS führen. "Und die einzigen Zellen, die sie reparieren können, sind sogenannte Oligodendrozyten", beschreibt es der leitende Autor der Studie, Paul Tesar, Direktor des Institute for Glial Sciences, Cleveland, USA. "Indem wir die molekulare Bremse identifizieren, die die Reifung von Oligodendrozyten steuert, zeigen wir einen klaren Weg auf, das hirneigene Reparaturprogramm zu entschlüsseln."
Oligodendrozyten gehören zur Zellkategorie der Gliazellen, die mehr als die Hälfte der Zellen unseres Nervensystems ausmachen. Sie bilden eine isolierende Myelinscheide um die Nervenzellen. Bei MS geht dieser Schutz verloren. Um die Ursache dafür zu finden, untersuchten die Forschenden den gesamten Entwicklungsprozess der myelinbildenden Oligodendrozyten. Dabei fiel immer wieder ein Protein namens SOX6 auf. Das Team fand heraus, dass SOX6 wie eine Bremse wirkt und Zellen durch ein als "Genschmelze" bekanntes Phänomen in einem unreifen Zustand blockiert. Es stellt also sicher, dass die Oligodendrozyten zur richtigen Zeit reifen.
Molekulares Medikament kann die Bremse lösen
Im Hirngewebe von MS-Patienten stellten die Forschenden dann aber fest, dass ungewöhnlich viele Zellen in einem unreifen Zustand steckengeblieben waren. Und das war spezifisch für MS: In Proben von Alzheimer- und Parkinson-Patienten gab es dafür keine Hinweise. Die SOX6-Bremse schien zu lange angezogen. Um das zu testen, verwendete das Team ein auf das Protein gerichtetes molekulares Medikament namens Antisense-Oligonukleotid (ASO), um SOX6 in Mausmodellen zu reduzieren. Das Ergebnis: Innerhalb weniger Tage reiften die behandelten Zellen und begannen, benachbarte Neuronen zu myelinisieren, also mit dem wichtigen Schutz zu versehen, der bei MS verloren geht.
"Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Oligodendrozyten bei MS nicht dauerhaft zerstört, sondern möglicherweise einfach blockiert sind", sagte Jesse Zhan, Co-Leiter der Studie und Medizinstudent im Medical Scientist Training Program der School of Medicine. Die noch wichtigere Erkenntnis sei jedoch, "dass wir zeigen, dass es möglich ist, die Bremsen dieser Zellen zu lösen, um ihre lebenswichtigen Funktionen im Gehirn wieder aufzunehmen."
Was ist MS?
Bei Multipler Sklerose handelt es sich um eine entzündliche Erkrankung des Zentralen Nervensystems. Die Krankheit verläuft sehr unterschiedlich und wird deshalb auch die "Krankheit mit den 1.000 Gesichtern" genannt. MS ist nicht ursächlich heilbar. Die Erkrankung tritt zunächst in Schüben auf, wird in den meisten Fällen nach einigen Jahren aber chronisch. Symptome umfassen motorische Störungen und Gefühlsstörungen der Haut, meist in Form von Kribbeln, (schmerzhaften) Missempfindungen oder einem Taubheitsgefühl. Außerdem können unterschiedlichste Beschwerden wie Blasenstörungen, Unsicherheit beim Gehen oder beim Greifen, Doppelbilder und "verwaschenes" Sprechen auftreten. In Deutschland leben circa 280.000 Menschen mit MS. (Quelle: Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft)
Links/Studien
Die Studie "Transiente Genschmelze bestimmt den Zeitpunkt der Oligodendrozytenreifung" ist in der Fachzeitschrift "Cell" erschienen.
https://dx.doi.org/10.1016/j.cell.2025.07.039
gp/pm
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke