Am 20. August setzte Marla Svenja Liebich einen Post auf dem Kurznachrichtendienst X ab, in dem es heißt: "Am 29.08.2025 um 22 Uhr trete ich mit meinen Koffern in der JVA Chemnitz an. Ab 21 Uhr stehe ich vor dem Gefängnis für Interviews zur Verfügung."

Klingt kooperativ – doch die Frist zum Haftantritt lief bereits Freitag, 18 Uhr ab. Benedikt Bernzen von der Staatsanwaltschaft Halle sagt, man habe den Post von Liebich auf dem Schirm gehabt und den sogenannten Vollstreckungshaftbefehl vor Ablauf der Frist vorbereitet. Aber war auch absehbar, dass Liebich untertauchen würde? "Es gab Indizien dafür, die Ladung nicht ernst zu nehmen. Aber Indizien dafür, dass Frau Liebich gänzlich abtauchen würde, lagen nicht vor", sagt Bernzen.

Zu geringen Haftstrafen Verurteilte müssen nicht direkt ins Gefängnis

Am 12. August sei die Ladung zum Haftantritt ausgestellt worden. Die Frist von zwei Wochen zwischen Ladung und Haft habe die Staatsanwaltschaft gesetzt. Starre Fristen gebe es dafür nicht, erklärt Bernzen. Wenn es um Verbrechen und Urteile mit geringer Haftstrafe geht – bei Liebich 18 Monate – oder alles, was nicht Mord und Totschlag ist, sei das der normale Hergang, erklärt Andreas Boine, Vorsitzender der Strafverteidigervereinigung Sachsen/Sachsen-Anhalt.

"Sofern jemand in den Gerichtssaal als freier Mann hineingekommen ist, wird er üblicherweise auch als freier Mann hinausgehen", erläutert Bernzen. Anders sei das, wenn jemand zu einer sehr hohen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei. "Aber üblicherweise verlässt man den Saal und wird irgendwann, wenn das Urteil rechtskräftig ist, zum Strafantritt geladen", ergänzt Bernzen.

Staatsanwalt Bernzen sagt, Flucht- oder Verdunkelungsgefahr hätte schon im Gerichtsverfahren festgestellt werden müssen. Da Liebich jedoch einen festen Wohnsitz in Sachsen habe und noch nie länger im Ausland war, ging man davon nicht aus. Allerdings sei es eher die Ausnahme, dass Verurteilte pünktlich zur Haft erscheinen – nur 20 bis 25 Prozent täten das, sagt Bernzen.

Strafvereitelung von Liebich kein Einzelfall – CDU und Linke fordern Debatte zu neuer Regelung

In ganz Deutschland waren zum Stichtag 1. Juli 2.418 Vollstreckungshaftbefehle offen. Das teilte das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt dem MDR unter Berufung auf Zahlen des BKA mit. Ein bislang wenig beachtetes Problem, sagt Karin Tschernich-Weiske, rechtspolitische Sprecherin der CDU im Landtag Sachsen-Anhalt. "Wenn wir sehen, dass es überwiegenden Teil der Fälle nicht funktioniert, müssen wir uns der Sache annehmen. Dann würde ich aber auch gerne die Bundestags-Kollegen mit ins Boot holen, weil es einfach mit einem Bundesgesetz da auch am schnellsten wahrscheinlich hingehört und zu regeln ist." Dafür müsse man sich jedoch einig sein und überlegen, ob die Haftantrittsregelung besser gestaltet werden könne, sagt Tschernich-Weiske.

Auch die rechtspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Magdeburger Landtag, Eva von Angern, signalisiert grundsätzlich Offenheit beim Thema sofortiger Haftantritt, denn zu viele Haftbefehle seien nicht vollstreckt. "Die Frage ist tatsächlich: Will man das für die Zukunft ändern, dass also direkt auf die Verurteilung die Haftstrafe folgt?" So etwas könne man mal rechtspolitisch diskutieren. Von Angern schränkt jedoch ein, sie würde nicht aufgrund eines Einzelfalls dafür werben, das anzugehen.

Wer die Haft nicht rechtzeitig antritt, verliert übrigens meist Hafterleichterungen wie Freigang oder frühzeitige Entlassung.

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