Medizinstudium in Ungarn für Sachsen: Schuldenberg vorprogrammiert?
- Mit Modellprojekt Medizinstudium in Ungarn will Sachsen junge Hausärzte fürs Land gewinnen.
- Ein Medizinstudent kritisiert "hohe Fallhöhe" des Programms für junge Leute.
- Leben mit den Konsequenzen: Privatinsolvenz wegen Rückzahlung der Studiengebühren.
An der Universität in Pécs in Ungarn beginnen am heutigen Montag 28 junge Menschen aus Sachsen ein Medizinstudium. Laut Sozialministerium Sachsen haben sie sich damit gleichzeitig verpflichtet, nach dem Studium und der Facharztausbildung mindestens fünf Jahre in einer ländlichen Region in Sachsen als Hausarzt zu arbeiten.
Hintergründe zum Modellprojekt (zum Aufklappen):
- Seit 2013 werden 20 Medizinstudienplätze an der Universität Pécs vergeben, die die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Sachsen und die Krankenkassen bezahlen.
- Seit 2020 macht auch der Freistaat beim Programm mit und finanziert jährlich weitere 20 Plätze.
- Das Kontingent von 40 verfügbaren Studienplätzen wurde laut KV nicht immer vollständig ausgeschöpft. Sie begründet das, dass in den zurückliegenden Jahren auch in Sachsen mehr Humanmedizin-Studienplätze entstanden.
- In Sachsen gibt es seit 2022 die "Landarztquote". Dafür werden 40 Studienplätze für Humanmedizin an Studierende in Sachsen vergeben, die im ländlichen Raum Hausarzt oder Hausärztin werden wollen. Diese Plätze werden außerhalb des Numerus Clausus-Verfahrens vorgehalten.
Wer Vertrag bricht, muss sich "rauskaufen"
Demnach gibt es aktuell 235 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Das Projekt "Studieren in Europa - Zukunft in Sachsen" begann 2013. Seither haben laut Kassenärztlicher Vereinigung (KV) Sachsen 54 Studierende ihr Studium in Ungarn erfolgreich absolviert, zwei arbeiten als Fachärzte und 52 sind derzeit in der Facharztausbildung in Sachsen. Nicht alle, die ihr Studium in Pécs begonnen haben, studieren dort zu Ende oder entscheiden sich während der Ausbildung für eine allgemeinmedizinische Praxis in Sachsen.
Wie viele Studenten das Programm in Pécs abgebrochen haben, sagt die KV Sachsen trotz Nachfrage nicht. Nur soviel: "Mit vorzeitigen Programmaustritten sind wir immer wieder konfrontiert. Die häufigsten angegebenen Gründe sind der Wechsel in ein anderes fachärztliches Gebiet oder ein Wechsel an eine deutsche Universität." Wer vorzeitig beendet, müsse sich aus dem Vertrag rauskaufen, erklärte die stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KV, Sylvia Krug, in einem MDR-Interview.
Kritik eines Abbrechers
Was das wirklich heißt, weiß Albert S.* Er war im ersten Jahrgang 2013 dabei. In den Medienberichten über das Modell-Projekt ärgert ihn, dass "das Programm viel gelobt wird, weil es große Chancen bietet, aber auch eine große Fallhöhe hat. Darüber wird zu wenig berichtet". Und weiter: "Was mich stört ist, dass es nur ein Darlehensvertrag mit umfangreichen Verpflichtungen zum einseitigen Vorteil der KV ist– entweder gewinnen sie Ärzte für ihren Versorgungsauftrag oder sie kassieren Zinsgewinne. Das Risiko liegt dabei allein bei den Studenten, die ja angeblich gefördert werden sollen. Im schlimmsten Fall sitzen sie auf einem hohen Schuldenberg."
* Name der MDR SACHSEN-Redaktion bekannt
Mit den Konsequenzen leben
Albert S. wollte nach dem Abitur Medizin studieren. Mit einem Abi-Durchschnitt von 1,8 sei er zwei Mal abgelehnt worden. "Dann habe ich das Studium in Pécs bekommen. Es lief sehr gut. Die 6.600 Euro Studiengebühren pro Semester hat die KVS übernommen." Zwei Mal seien ihm wegen guter Leistungen Gebühren teilweise erlassen worden.
Nach vier Jahren Studium hakte es dann. Rückblickend sagt er, er habe wohl eine "Angststörung" vor einer mündlichen Prüfung gehabt und sei deshalb nicht hingegangen. Uni-Kurse belegte er weiter. Dazu sei der Vater krank geworden, sodass er in der Firma zu Hause in Sachsen immer häufiger mitgearbeitet habe.
Parallel wollte er an der TU Dresden als Medizinstudent weitermachen, beantragte bei der Landesdirektion, dass seine Studienleistungen aus Ungarn anerkannt werden. Die Bestätigungen hätten 1,5 Jahre gedauert. "Mit dem Uni-Wechsel bin ich vertragsbrüchig geworden, weil das Medizinstudium strikt an die Uni in Pécs gebunden ist. Ich weiß, ich muss mit den Konsequenzen leben."
Ärger über Zinsen auf Studiengebühren
Die KV verlangte die Rückzahlung der Studiengebühren: 72.000 Euro für sechs Studienjahre, abzüglich Ermäßigungen die die Uni gewährt hatte. Mit den vertraglichen Zinsen standen 92.300 Euro unterm Strich. Wenn er zwei Jahre Aufschub haben wollte, wären es mit Zinsen 111.000 Euro gewesen. Hätte er sich für monatliche Ratenzahlungen über neun Jahre entschieden, wären es rund 127.000 Euro geworden.
Im Vertrag von 2013 hatte Albert S. mit unterschrieben, dass bei Vertragsbruch, also Wechsel an eine andere Medizin-Fakultät, fünf Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz fällig würden. Der Student dazu: "Ich wusste, dass ich die Studiengebühren zurückzahlen muss, aber mich ärgern diese Zinsen. Hätte ich mir 2013 bei einer Bank ein normales Darlehen holen können, wäre es am Ende billiger geworden." Und eine Bank wäre seiner Meinung nach den üblichen Sorgfaltspflichten wie Bonitätsprüfung und Verlangen nach Sicherheiten nachgekommen wegen der langfristigen Verschuldung.
KVS: zweckgebundene öffentliche Gelder zurückzahlen
Die KVS erklärt zum Thema: "Richtig ist, dass unsere Rückforderung im Fall des Projektaustrittes einzelner Studenten verzinst wird. Vereinbart werden derzeit Zinsen i. H. v. fünf Prozentpunkten über dem zum Zeitpunkt des Studienbeginns gültigen Basiszinssatz nach Paragraph 247 BGB." Und zu den übernommenen Studiengebühren heißt es: Sie seien "zweckgebundene öffentliche Mittel, die im Fall eines vorzeitigen Programmausstieges und damit ihrer Zweckverfehlung zurück zu zahlen sind. Es handelt sich also um die Rückforderung einer öffentlichen Förderung."
Im Nachhinein findet Albert S. den Vertrag "insbesondere für Studenten aus einkommensschwachen Familien attraktiv, die sich nicht selbstständig die Studiengebühren an einer Universität im Ausland leisten können. Für sie ist aber auch die Fallhöhe größer, weil sie zum Beispiel bei Universitätswechsel nach dem Physikum oder einem ungewollten Studienabbruch keine finanzielle Unterstützung aus ihren Familien haben."
Letzter Ausweg: Privatinsolvenz
Für die Rückzahlungsforderung der KV hätte sich Albert S. "maximal 20.000 Euro bei der Familie leihen können. Einen Verbraucherkredit hätte ich als Student ja nicht gekriegt. Ich hatte keine Sicherheiten." Albert S. macht ein Vergleichsangebot über 20.000 Euro. Das sei nicht angenommen worden.
Es war schon Ausweglosigkeit da, plötzlich so einen Schuldenberg obendrauf, ohne Ausbildung oder Studienabschluss.
Er geht zur Schuldnerberatung und stellt im Frühjahr 2024 einen Insolvenzantrag. "Sein "überschaubares Vermögen", wie er es nennt, wurde verwertet, bis 2027 geht alles über 1.500 Euro netto seines Bürojobs als Student im Monat in die Rückzahlung der Studiengebühren. "Damit bekommt die KV deutlich weniger zurück als mit meinem Vergleichsangebot."
Heute studiert Albert S. an der TU Dresden Medizin, konnte nach Anerkennung nur einiger Studienleistungen aus Pécs im 6. Semester weitermachen. Er ist fest entschlossen, sich einmal als Hausarzt in Sachsen niederzulassen. Eine Lehre hat er aus dem Vertragsabschluss von 2013 gezogen: "Keine langen Verträge unterschreiben. 15, 16 Jahre sind eine lange Zeit für einen jungen Menschen."
MDR (kk)
Weiterführende Links
- 16. Juni 2025Ärztemangel auf dem Land in Sachsen: Erster Absolvent aus Modellprojekt nimmt Arbeit aufmit Video
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