Nach Antisemitismus-Vorwürfen: Ibug startet ins letzte Festival-Wochenende
- In Chemnitz gibt es Antisemitismus-Vorwürfe gegen das Kunstfestival Ibug.
- Insbesondere ein Kunstwerk würde Jüdinnen und Juden als Mörder verunglimpfen, so die Einschätzung eines unabhängigen Experten.
- Der betroffene Künstler Luke Carter warnt davor, Israelkritik und Antisemitismus gleichzusetzen und wird von Philosophin Susan Neiman unterstützt.
Der Vorwurf ist hart: Die Ibug, ein Festival für urbane Kunst, böte antisemitischer Propaganda eine Bühne. Konkret handelt es sich um insgesamt sechs Arbeiten des finnischen Street-Art Kollektivs Plan B sowie des in Leipzig lebenden britischen Malers und Illustrators Luke Carter. Sie alle setzen sich kritisch mit dem aktuellen Vorgehen der israelischen Regierung im Gaza-Streifen auseinander. So kombiniert Luke Carter etwa die Abbildung einer Mutter, die um ihr totes Kind trauert, mit dem Schriftzug: "Deutschland mordet mit".

Gut 80 Menschen unterschreiben Beschwerde-Brief an Ibug
Das Kollektiv Plan B gestaltete unter dem Titel "Netanjahu's stickers Gaza set" eine Wand mit Darstellungen verstümmelter Kinder. Für Vladimir Shikhman, Professor für Mathematik an der Technischen Universität Chemnitz, überschreiten die Arbeiten damit eine rote Linie. In einem Brief an das Leitungsteam der Ibug vom 26. August warf er den Künstlern unter anderem eine Dämonisierung des Staates Israel vor und forderte, dass die betreffenden Werke entfernt werden müssen.
Das sieht auch Ilja Kogan vom Museum für Naturkunde in Chemnitz so. Der Wissenschaftler gehört wie Shikhman auch dem Netzwerk jüdischer Hochschullehrender an und hat den Brief ebenfalls unterschrieben – wie auch etwa 80 weitere Bürgerinnen und Bürgern, unter anderem aus Chemnitz, München, Düsseldorf und Bamberg.

Kritische Kunst oder anti-israelische Propaganda?
Er selbst komme, genau wie Shikhman, aus der Sowjetunion, sagte Kogan MDR KULTUR. "Aus einem Land, in dem es keine Kunstfreiheit und keine Medienfreiheit gab – und in sofern fühlen wir uns nicht wohl dabei, Maßnahmen anzustoßen."
Wir finden es nicht in Ordnung, wenn unter dem Deckmantel der Kunst antisemitische Lügen verbreitet werden.
Auf der anderen Seite besteht aus Sicht Kogans die Gefahr, dass angesichts der aktuellen, polemisierten Zeit "plumpe Propaganda für Kunst ausgegeben" werde. "Und wir finden es auch nicht in Ordnung, wenn unter dem Deckmantel der Kunst oder der Kunstfreiheit antisemitische Lügen verbreitet werden."
Experte stuft "Deutschland mordet mit" als antisemitisch ein
Der Vorstand des gemeinnützigen Ibug e.V. reagierte umgehend und schaltete einen Experten ein. Peter Jelavich, Professor für Geschichte an der Johns Hopkins University in Baltimore, beriet auch das Team der Documenta fifteen nach den gegen die Schau erhobenen Antisemitismus-Vorwürfen.

Nach einer ersten Prüfung stufte Jelavich nun lediglich die Arbeit "Deutschland mordet mit" von Luke Carter als antisemitisch ein. Das Wort "Mord" habe dafür den Ausschlag gegeben, erklärt Jalavic auf Nachfrage von MDR KULTUR. Bei dem Titel schwinge die Frage mit, mit wem Deutschland morde. Und in diesem Fall sei Israel gemeint, Deutschland sei ein Mittäter – so interpretiert es der Experte.
"Israel ist der Haupttäter und die Israelis sind Kindermörder, wird damit ausgedrückt." Damit bedient das Werk laut Jelavich einen Topos, der seit Jahrhunderten zur Verunglimpfung von Jüdinnen und Juden genutzt werde.
Philosophin Susan Neiman unterstützt Künstler
Die Anschuldigung findet der Künstler Luke Carter sachlich falsch. Die größten Menschenrechtsorganisationen der Welt sprächen davon, dass gerade ein Völkermord im Gaza-Streifen stattfinde. "Da ist die absichtliche Tötung von Zivilisten, von Kindern, von Frauen mit einbezogen", so Carter im Gespräch mit MDR KULTUR.

Unterstützung bekommt Carter von der US-amerikanischen Philosophin Susan Neiman. Die Direktorin des Einstein-Forums in Potsdam bezeichnet das Argument, der Künstler kolportiere ein mittelalterliches Klischee, als grotesk: "Ein Beispiel davon, wie der in Deutschland (sehr reale) Antisemitismus der Vergangenheit benutzt wird, um die Gegenwart zu vermeiden", appelliert sie einem Schreiben an die Veranstalter der Ibug. Sie sollten die Verhüllung der kritisierten Werke überdenken.

Die Definition von Antisemitismus der IHRA, der International Holocaust Remembrance Alliance, sei inzwischen umstritten, so Neimann. Die Definition der Jerusalem Declaration on Antisemitism unterscheide hingegen klarer zwischen Antisemitismus und Israelkritik.
Ich glaube, es geht nicht um eine ehrliche Angst vor Antisemitismus, es geht um eine politische Einstellung.
Angst vor Antisemitismus oder politische Einstellung?
Im Vorwurf der antisemitischen Propaganda gegen die sechs Kunstwerke auf der Ibug will der Künstler Luke Carter eine Instrumentalisierung des Antisemitismus-Begriffs erkennen: "Ich glaube, es geht nicht um eine ehrliche Angst vor Antisemitismus." Es gehe um eine politische Einstellung und einen Versuch, Antisemitismus-Vorwürfe zu missbrauchen, so Carter. "Damit Leute nicht über Verbrechen reden, die gerade stattfinden."
Ich glaube, die Gefahr ist, dass die Leute bald Angst haben, über dieses Thema überhaupt zu sprechen.

"Ich glaube, die Gefahr ist, dass die Leute bald Angst haben, über dieses Thema überhaupt zu sprechen", meint Carter über den Umgang mit aktivistischer Kunst.
Auch der Geschichts-Experte Peter Jelavich erkennt in den Arbeiten der kritisierten Ibug-Künstler keine Menschenverachtung. "Luke Carter hat, so viel ich weiß, nie anti-israelische Werke gemalt." Carter sei als schwuler Künstler sehr bekannt, der beispielsweise auch das Werk "No Pride in Genocide" geschaffen habe, das "überhaupt nicht antisemitisch" sei, "im Gegenteil“, erklärt der Wissenschaftler.
Israelkritik in Deutschland – kein Dialog mehr möglich?
Freemuse, eine unabhängige internationale Organisation mit Sitz in Kopenhagen, die seit Jahrzehnten zu künstlerischer Freiheit forscht, sieht als Folge des Umgangs in Deutschland mit Israelkritik einen Rückgang des Dialogs.
"Wenn einem etwas nicht gefällt, dann soll man in der Öffentlichkeit gegenschlagen", ist auch Peter Jelavich von der Johns Hopkins University in Baltimore überzeugt. Aber deshalb müssten auch Agitpop-Künstler mit Gegenkritik rechnen. Hauptsache, man bleibe im Gespräch. Auch die Veranstalter der Ibug denken über eine Diskussionsrunde nach. "Perfekt", meint Jelavich dazu.

Kulturhauptstadt und Kulturministerin Klepsch äußern sich
Die Kulturhauptstadt Chemnitz als Projektpartner teilte nach Bekanntwerden der Vorwürfe mit, die Veranstalter der Ibug seien für die Inhalte ihres Projekts eigenverantwortlich und plädierte dafür, in einen konstruktiven Dialog zu gehen. Chemnitz 2025 stehe für Menschenwürde, Vielfalt und Toleranz. Antisemitische oder menschenverachtende Äußerungen würden diesen Grundwerten widersprechen.
Auch Kulturministerin Barbara Klepsch äußerte sich zur Situation. Sie sei froh, dass die Veranstalter umgehend gehandelt hätten. Man habe sich Expertise an den Tisch geholt, die Kunstwerke noch einmal gesichtet und eingeordnet.
redaktionelle Bearbeitung: sg, bh
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