Inhalt des Artikels:

  • Welche Folgen hatte der Einsturz der Carolabrücke für die Fachwelt?
  • Warum ist die Carolabrücke eingestürzt?
  • Müssten nicht alle Brücken dieser Bauart gesperrt werden?
  • Warum dauert ein Neubau so lange?
  • Wie wünschen Sie sich den Neubau der Brücke?

Welche Folgen hatte der Einsturz der Carolabrücke für die Fachwelt?

Steffen Marx: Das war ein großer Schock für alle. Wir haben uns sehr sicher gefühlt, dass wir mit unseren Beurteilungsmethoden zumindest erkennen und vorher merken, wenn eine sicherheitsrelevante Situation entsteht. Alle problematisch gewordenen Brücken konnten wir immer noch rechtzeitig außer Betrieb nehmen, sodass niemand zu Schaden kam. Bei der Carolabrücke ist auch niemand zu Schaden gekommen. Das war schlicht und einfach pures Glück.

Ich war so entsetzt wie alle Dresdner, dass so etwas passieren kann. Dass eine Brücke mitten unter Betrieb ohne Vorankündigung einstürzt.

Prof. Dr.-Ing. Steffen MarxBauingenieur, Stiftungsprofessur für Ingenieurbau an der TU Dresden

Ich rechne schon eine Weile damit, dass wir in Deutschland mehr Probleme bekommen werden. Wir sehen das auch täglich. Die Bauwerke sind überaltert. Sie sind vor allem sehr, sehr schlecht gepflegt. Wenn sehr viele Elemente eines Infrastruktursystems in einen schlechten Zustand geraten, bekommt man zuerst Verfügbarkeitsprobleme. Und die erleben wir in den letzten Jahren zunehmend und immer verstärkter. Wenn man dann weiter denkt: Was kommt danach? Ja, da kommt irgendwann der Einsturz. Leider muss man sagen, das ist schon zu erwarten, dass so etwas passiert. Wenn wir nicht bald umsteuern, dann werden wir uns daran gewöhnen müssen, dass Einstürze öfter passieren.

Warum ist die Carolabrücke eingestürzt?

Das war ein Spannungsriss-Korrosionsfall. Das ist eine sehr spezielle Art der Schädigung bei diesem Spannstahl, der bei der Brücke verwendet wurde. Dieser Spannstahl wird heute nicht mehr verbaut. Aber bis in die 1990er-Jahre wurde er noch verwendet. Dadurch sind sehr viele Bauwerke mit diesem Spannstahl in Betrieb.

Bildrechte: MDR/Benjamin Jakob

Diese Schädigungsart ist von außen nicht zu sehen. Wir inspizieren Brücken sehr intensiv und regelmäßig. Alle sechs Jahre gibt es Hauptprüfungen. Dabei werden alle Bauteile der Brücke handnah inspiziert. Das heißt, eine Bauwerksprüferin oder ein -prüfer geht mit dem Hammer die Brücke entlang, klopft alle Oberflächen ab. Darüber kann man sehr genau Schädigungen von außen feststellen.

Der Spannstahl, der bei der Carolabrücke versagt hat, lag tief im Inneren des Querschnitts verborgen, in Hüllrohren, die noch mit Zementmörtel verpresst waren. Alle Methoden, die wir für eine sichere Vorankündigung kennen, nämlich die Rissbildung im Beton und bestimmte Durchbiegungen, das hat sich bei der Brücke alles nicht gezeigt. Man kann das von außen einfach nicht sehen. Das führt heute dazu, dass wir unsere Begutachtungsmethoden hinterfragen müssen und dringend Änderungen brauchen.

Als Gutachter hat Brückenexperte Steffen Marx von der TU Dresden die Bauteile und Trümmer der Carolabrücke genau untersucht, um die Ursache des Einsturzes zu analysieren. Seither erklärt er immer wieder, wie Risse im Spannstahl entstehen und dass Bauwerke viel, viel besser gepflegt werden müssen. (Archivfoto vom Oktober 2024) Bildrechte: MDR SACHSEN

Müssten im Grunde nicht alle Brücken dieser Bauart gesperrt werden?

Die Spannungsriss-Korrision ist ein spezieller Schädigungsmechanismus, der nur bei einem ganz bestimmten Spannstahltyp auftaucht. Von diesen Brücken haben wir in Deutschland vielleicht noch 1.000 in Betrieb. Man spricht zunächst von Gefährdung. Eine Gefährdung tritt aber nicht unbedingt immer ein. Jetzt geht es darum, die Objekte herauszufischen, bei denen diese Schädigungsart wirklich im Gange ist. Das betrifft vielleicht ein Prozent dieser Brücken. Wir können auf keinen Fall alle diese Bauwerke abreißen und pauschal durch neue ersetzen. Das ist nicht leistbar, weder bezahlbar noch von den Baukapazitäten her.

Warum dauert der Neubau der Carolabrücke so lange?

Die Planung von so einer großen Brücke über eine Bundeswasserstraße ist immer aufwändig. Die braucht Zeit - sowohl planerisch, aber auch genehmigungstechnisch. Wir dürfen auch nicht das Vergaberecht vergessen, was uns in bestimmte Regelabläufe zwingt, um wettbewerbsrechtlich sauber zu sein. Es wird viel gefragt: Warum ist das in Italien so schnell gegangen? In Italien ist ein nationaler Notstand ausgerufen worden, weil diese Brücke in Genua eine ganz wichtige überregionale, ja internationale Verbindungsstrecke darstellte. Das ist in Dresden ehrlicherweise nicht der Fall. Es gibt keinen nationalen Notstand. Damit ist man automatisch in regulären Abläufen drin.

Welche Brücke in Genua gemeint ist (zum Aufklappen)

  • Im August 2018 stürzte in Genua in Italien ein Teil der vierspurigen innerstädtische Autobahnbrücke ein. Die Schrägseilbrücke, das Polcevera Vidadukt, war Teil der Autostrada 10 von Genua nach Ventimiglia, entlang der italienischen Riviera durch Ligurien bis zur Grenze nach Frankreich. 43 Menschen starben, mehrere Anwohner wurden verletzt. Zum Zeitpunkt des Einsturzes gab es Starkregen und Gewitter.
  • Nach der Sprengung des kaputten Brückenabschnitts begann im März 2019 der Neubau. Knapp 1,5 Jahre später wurde die ein Kilometer neue Brücke freigegeben. Italienische Medien zitierten den Bürgermeister Genuas, dass der Bau im 24-Stunden-Betrieb stattgefunden habe, damit die wichtige Verbindung schnell fertig sei. Die Abriss- und Baukosten wurden auf mehr als 400 Millionen Euro geschätzt.

Wie sollte die neue Brücke Ihrer Meinung nach aussehen?

Wir müssen uns als Dresdner gut überlegen und fragen: Was wollen wir für ein Bauwerk haben? Denn bei allem Ärger und Erschrecken über diesen Einsturz, muss man aus heutiger Sicht sagen: Es ist auch eine große Chance, dass wir dort an dieser Stelle bauen, mehr Zentrum, mehr Herz der Stadt gibt's ja nicht.

Aus meiner Sicht brauchen wir eine Brücke, die wirklich der heutigen Zeit entspricht, die schön ist, die für alle Verkehrsteilnehmer eine gute Aufenthaltsqualität liefert - nicht nur für die Autos, auch für Fußgänger, Radfahrer und den ÖPNV. Das gilt auch für die Bereiche unter der Brücke. So viele Menschen halten sich an der Elbe auf. Wir brauchen einfach ein gutes Bauwerk. Das will gut geplant werden. Dafür braucht es auch ein Wettbewerbsverfahren. Genau das schiebt die Stadt ja gerade an.

MDR (kk/Heiko Barthel)

Weiterführende Links

  • Die Carolabrücke in Dresden: Nachrichten, Bilder, Hintergründe
  • 09. September 2025Dienstags direkt am 09.09.2025: Von Spannungsrissen bis zu neuen Visionen – Sachsens Infrastruktur ein Jahr nach dem Einsturz der Carolabrückemit Audio

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