Universaltherapie gegen Influenza? Neuer Antikörper-Cocktail stoppt mehrere Grippestämme
Grippe ist tückisch: Die meisten Infektionen sind nach einigen Tagen überstanden, doch manche Stämme lösen schwere Verläufe aus – bis hin zur lebensbedrohlichen Lungenentzündung. Medikamente verlieren oft an Wirkung, weil Influenza-Viren rasch mutieren. Impfstoffe wirken gut, müssen aber saisonal angepasst werden.
Eine Forschungsgruppe vom Jackson Laboratory (USA) verfolgte nun eine radikale Abkürzung: Statt Viren direkt zu blockieren, markiert ein Antikörper-Cocktail infizierte Lungenzellen und schaltet damit die körpereigene Abwehr scharf. Im Mausmodell schützte das Verfahren gegen nahezu alle getesteten Influenza-A-Stämme – auch gegen solche aus dem Vogel- und Schweinegrippe-Reservoir.
Nicht-neutralisierend – und doch hochwirksam
Der Ansatz widerspricht einer verbreiteten Lehrmeinung. Lange galt: Antikörper müssen neutralisieren, also das Eindringen in Zellen blockieren. Die Forscher konstruierten hingegen gezielt nicht-neutralisierende Antikörper, die infizierte Zellen "taggen", also markieren und damit Fress- sowie Killerzellen anlocken. Ziel ist M2e, ein kleines, stark konserviertes Stück des Matrix-Proteins 2 (M2). Weil M2e in Influenza-A-Varianten kaum variiert, bietet es eine Art Achillesferse des Virus.
Der Cocktail kombiniert drei Antikörper. Jeder einzelne zeigte Wirkung, doch die Kombination senkt die Chance, dass das Virus entkommt. Sequenzierungen nach 24 Tagen wiederholter Exposition fanden keine Mutationen in der M2-Region – ein entscheidender Unterschied zu klassischen Wirkstoffen gegen virale Enzyme, bei denen Fluchtmutationen häufig sind.
Ergebnisse im Tiermodell sind erstaunlich

In Versuchen mit Mäusen – darunter Tiere mit geschwächtem Immunsystem – reduzierte der Cocktail die Viruslast in der Lunge, milderte die Erkrankung und verbesserte die Überlebenschancen. Besonders bemerkenswert: Die Therapie rettete noch Tage nach der Infektion Leben.
"Dies ist das erste Mal, dass wir in einem lebenden System einen so breiten und langanhaltenden Schutz gegen Grippe gesehen haben", sagt die leitende Immunologin Silke Paust. "Die Mehrheit der Antikörper, die unser Körper bildet, sind nicht-neutralisierend, doch die Medizin hat sie weitgehend ignoriert. Wir zeigen, dass sie lebensrettend sein können. Selbst bei tödlichen Stämmen wie H5- und H7-Vogelgrippe rettete diese Therapie Leben, lange nachdem die Infektion bereits eingesetzt hatte."
Wenn die Mäuse den Cocktail an Tag eins bis drei nach der Infektion bekamen, überlebten alle Tiere. An Tag vier überlebten 70 Prozent, an Tag fünf noch 60 Prozent. Zudem genügten niedrige Dosen des Wirkstoffs, was für einen möglichen Einsatz beim Menschen laut den Forschern die Chancen auf geringe Nebenwirkungen und bezahlbare Anwendungen erhöht.
Influenza: Nicht alle Virusstämme sind gleich
Warum wäre so eine Universaltherapie überhaupt wünschenswert? Weil nicht alle Virusstämme gleich gefährlich sind. Eine aktuelle Untersuchung des Paul-Ehrlich-Instituts hat gezeigt, dass bestimmte Virusvarianten unser Abwehrsystem besonders stark in Alarmbereitschaft versetzen. Dabei kann es zu einer gefährlichen Überreaktion kommen, einem sogenannten "Zytokinsturm", der die Krankheit sogar schlimmer macht.
Genau für solche Situationen wäre ein Medikament wertvoll, das unabhängig vom jeweiligen Virusstamm wirkt und sofort einsatzbereit ist. Der Cocktail aus dem Jackson Laboratory setzt hier an: Er greift eine winzige, bei allen Influenza-A-Viren gleichbleibende Stelle des Virus an – eine Art Schwachpunkt, den die Erreger nicht so leicht verändern können.
Resistenzfrage und Pandemie-Vorsorge
Resistenzen sind das größte Problem für viele antivirale Mittel. Aber im Mausmodell mutierte das Virus über 24 Tage nicht aus dem M2e-Ziel heraus. "Das Virus mutierte nicht einmal dann, wenn wir einzelne Antikörper einsetzten", sagt Silke Paust. "In einer Grippesaison mit Millionen von Menschen, die diese Therapie erhalten, wäre ich sehr zuversichtlich, dass wir mit dem Cocktail die Resistenzentwicklung verhindern können."
Für die öffentliche Gesundheit könnte das ein Durchbruch sein. Antikörper ließen sich bevorraten und bei Ausbrüchen sofort ausliefern – anders als Impfstoffe, die in der Regel Monate bis zur breiten Verfügbarkeit benötigen. "Wir brauchen etwas, das sofort einsatzbereit ist, wenn wir nicht unbedingt die Zeit haben, einen neuen Impfstoff zu entwickeln – etwa bei einem Ausbruch oder einer Pandemie mit hoher Sterblichkeit", meint Silke Paust. "Eine solche Therapie könnte für alle und in jeder Situation verfügbar sein."
Studien mit Menschen nötig
Bislang stammen alle Erkenntnisse von infizierten Mäusen. Ob sich Wirkung, Dosis und Sicherheit auf Menschen übertragen lassen, müssen klinische Studien zeigen. Dazu entwickelt das Team vom Jackson Laboratory "humanisierte" Antikörper mit gleicher Spezifität für M2e, die im Menschen wirksam sein sollen, ohne unerwünschte Immunreaktionen gegen das Therapeutikum auszulösen. Auch zur optimalen Verabreichung – intravenös oder subkutan, Einmalgabe oder Serie – gibt es noch offene Fragen.
Perspektivisch könnte der Antikörper-Cocktail laut den Forschern doppelt eingesetzt werden: prophylaktisch bei Älteren, Immunschwachen und anderen Risikogruppen – und therapeutisch bei schweren Grippe-Verläufen. Er soll Impfstoffe also nicht ersetzen, sondern ergänzen. Impfungen bleiben zentral, um Infektionen zu verhindern und die Ausbreitung zu verlangsamen. Doch für unerwartete Varianten, schnelle Wellen und besonders gefährdete Gruppen könnte eine universelle Antikörper-Therapie die zweite Säule werden – schnell verfügbar, stammunabhängig, resistenzarm.
Links / Studien
T. Kim et al. (2025): "Non-Neutralizing Antibodies to Influenza A Matrix Protein 2 Ectodomain Are Broadly Effective and Resistant to Viral Escape Mutations", Science Advances
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke