Ihre Amtsführung wirft Fragen auf
Bundestagspräsidentin Klöckner hat sich aus ihrer eigenen Sicht ganz der Neutralität verpflichtet. Doch im Parlament sehen das politische Gegner anders. Einige nennen sie sogar "Polarisierungsunternehmerin".
Zwischen Besucherterrasse und Plenarsaal im zweiten Stock des Bundestages befindet sich die sogenannte Präsidialebene. Eine Ahnengalerie erinnert an alle bisherigen Bundestagspräsidenten: Bärbel Bas, Wolfgang Schäuble, Norbert Lammert und weitere.
Julia Klöckner ist dort selbstverständlich noch nicht aufgeführt - ihre Amtszeit ist noch frisch. Und doch lässt sich sagen: Sie prägt einen sehr eigenen Stil und hat mit ihren Auftritten, Aussagen und Entscheidungen für viel Aufsehen gesorgt - wohl mehr als ihre Vorgänger in vergleichbarer Zeit.
Klöckner hat sich für ihre Amtszeit das Mantra der Neutralität gegeben - in polarisierenden Zeiten. Und sie will dafür die Regeln des Bundestages streng auslegen: Ordnung und Härte. Bis zur Sommerpause hatte das Präsidium bereits 13 Ordnungsrufe ausgesprochen, 12 davon gegen die AfD.
Neutrale Symbolik
Im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio betont Klöckner, dass sie das so weiter durchziehen will: "Es geht auch darum, dass wir ein Parlament, das so polarisiert ist wie noch nie zuvor, dazu bringen, Vorbild zu sein - auch für die Gesellschaft."
Der Streit soll mit Worten ausgetragen werden, bei der Symbolik soll alles neutral bleiben. So verwies sie zu Beginn der Legislaturperiode mehrere Abgeordnete der Linken des Raumes, wegen eines "Palästina"-T-Shirts und einer Baskenmütze.
Auch die Regenbogenflagge beim "Christopher Street Day" (CSD) wehen zu lassen, passt nicht in Klöckners Konzept von Neutralität. Künftig sollen auch keine Anstecker mit politischen Botschaften mehr getragen werden.
Zunehmend Widerstand
Im Parlament regt sich zunehmend Widerstand gegen ihre Amtsführung. Was neutral sein soll, bewirkt aus Sicht einiger genau das Gegenteil: ein Politikum, da etwas zum Thema gemacht werde, das nie gestört hätte.
So mahnt die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Irene Mihalic: "Die persönliche Betroffenheit über ein Symbol zum Ausdruck zu bringen - etwa im Gedenken an die Opfer des 7. Oktober oder durch das Tragen der Aids-Schleife - daran kann ich nichts Verwerfliches erkennen. Ich finde, da sollte man das entsprechende Maß halten."
Es stellt sich auch die Frage: Wie neutral kann man einen Raum halten, der im Kern politisch ist?
Klöckner bei Veranstaltung des "Nius"-Finanziers
Der zentrale Vorwurf gegen Klöckners Amtsführung lautet aber, dass sie die Neutralität, die sie predigt, selbst nicht lebt. Einige Abgeordnete vermuten vielmehr, dass sie eine rechts-konservative Agenda verfolgt und die Gesellschaft spalten will.
Die ehemalige Grünen-Chefin Ricarda Lang nannte sie kürzlich eine "Polarisierungsunternehmerin" - ähnlich wie Parteifreund Robert Habeck. Dieses Gefühl hat sich über die Sommerpause bei einigen Abgeordneten verstärkt. Anlass war Klöckners Auftritt bei einer CDU-Veranstaltung in Koblenz - auf dem Firmengelände von Frank Gotthardt. Gotthardt ist Finanzier des rechtspopulistischen Portals Nius.
Klöckner und Gotthardt kennen sich seit Langem. Klöckner verteidigt gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio ihren Auftritt und warnt vor einer "Kontaktschuld", bei der vorgeschrieben werde, wer mit wem Kontakt haben dürfe.
Vergleich von "Nius" und taz
Der Publizist Albrecht von Lucke von der Fachzeitschrift "Blätter für deutsche und internationale Politik" sieht das anders. Er meint, dass Klöckner damit ihren Anspruch auf Neutralität verletzt hat: "Eine Wahlveranstaltung mit einem Organ wie 'Nius', das eindeutig rechts zu verorten ist - jenseits von CDU/CSU -, zu adeln, das hat ein Bundestagspräsident in der Einarbeitungszeit meines Erachtens noch nicht gemacht. Und dafür hat Frau Klöckner sehr zurecht harte Kritik geerntet."
Für zusätzlichen Aufruhr sorgte, dass Klöckner bei dem Auftritt in ihrer Rede das Portal Nius und die linke Tageszeitung taz in ihrer Methodik für vergleichbar hielt. Der taz-Abonnent Ingo Heise fand das so irritierend, dass er der Bundestagspräsidentin ein taz-Abonnement schenkte.
Gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio sagte er: "Ich habe gedacht, da fehlt es an Medienkompetenz - oder sie betreibt politische Spielchen. Ich gehe immer erstmal vom Besten aus. Deshalb wollte ich ihr mit dem Abo in puncto Medienkompetenz unter die Arme greifen."
Rechtskonservative Agenda
Auch der Unions-Koalitionspartner SPD zeigte sich über die Aussage irritiert. Die Bundestagspräsidentin ließ das geschenkte taz-Abo zurückschicken. Im begleitenden Brief schrieb sie offenbar, es gebe "bedürftigere Adressaten".
Klöckner zeigt sich unbeeindruckt und weist den Vorwurf zurück, sie würde eine rechtskonservative Agenda verfolgen: "Nur weil ich mir nicht 1:1 das Wahlprogramm der Linken oder Grünen persönlich zu eigen mache, ist weder die Meinungsfreiheit in diesem Land geschliffen noch die Neutralität."
Ihre Amtszeit ist noch jung. Doch es zeichnet sich bereits ab: Julia Klöckner spricht viel von Neutralität - und ist eine Bundestagspräsidentin, die polarisiert.
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