Nach Trump-Warnung vor Paracetamol für Schwangere: Autismus-Gefahr nicht belegt
- Die steigende Zahl an Autismus-Diagnosen ist vor allem ein statistisches Phänomen.
- Die Ursachen für Autismus sind noch nicht vollständig geklärt, beruhen aber wahrscheinlich auf einem Zusammenspiel von genetischen und Umweltfaktoren.
- Im Moment gibt es keinen belegten Zusammenhang zwischen der Einnahme von Paracetamol und der Entwicklung einer autistischen Störung.
Autisten denken und fühlen anders oder haben Probleme in sozialen Situationen. Das hat mit der neurologischen Entwicklung und Funktionsweise ihres zentralen Nervensystems zu tun, erklärt Sven Bölte, Leiter des Zentrums für Entwicklungsstörungen am Karolinska-Institut in Stockholm.
Anstieg der Autismus-Diagnosen wohl nur statistisches Phänomen
Die Zahl der Diagnosen sei in allen Industriestaaten seit ungefähr 20 Jahren kontinuierlich angestiegen. Das sei aber vor allem ein statistisches Phänomen. "Das Ausmaß an autistischen Verhaltensweisen oder Symptomen ist den letzten 20 Jahre konstant geblieben. Aber die Anzahl der Diagnosen ist gestiegen. […] Und da gibt es eine ganze Reihe von Erklärungen."
Eine Erklärung sei zum Beispiel, dass es mittlerweile einen besseren Zugang und mehr Möglichkeiten zur Diagnostik gibt. "Das Phänomen wird ganz einfach breiter interpretiert, also diese diagnostischen Kriterien werden einfach anders ausgelegt. […] Wir sehen keinen rein biologischen Faktor, also keinen eindeutigen, der den Anstieg erklären könnte", erklärt Bölte.
Genaue Ursachen für Autismus noch nicht vollständig geklärt
Warum manche Menschen Autisten sind und andere nicht, hat die Forschung noch nicht komplett verstanden. Sehr wahrscheinlich ist die Ursache ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Faktoren – unter anderem genetischer und von Umweltfaktoren. Die Gene könnten dabei bis zu 80 Prozent ausmachen, so Bölte. "Das heißt nicht, dass es immer bei jeder einzelnen Person 70 bis 80 Prozent sind, sondern über die ganze Gruppe hinweg. Also gibt es wahrscheinlich auch irgendwie Raum für Umweltfaktoren."
Es sei sehr viel untersucht und geforscht worden. "Aber die allermeisten Faktoren haben einen sehr, sehr, sehr kleinen Effekt", sagt der Autismus-Forscher. Das gelte auch für den Einfluss des Medikaments Paracetamol.
Derzeit kein eindeutiger Zusammenhang nachweisbar
Dazu gebe es eine ganze Menge Forschung. Einige Studien legten einen Zusammenhang nahe, andere nicht, erklärt Stefan Ehrlich, Professor für Psychosoziale Medizin und Entwicklungsneurowissenschaften am Universitätsklinikum Dresden. "Das ist ja jetzt kein ganz neues Thema, dass es da epidemiologische Daten gibt, die aber in erster Linie korrelativ sind. [...] Und selbst, wenn man sich nur diese Korrelation anschaut oder dass zwei Dinge gleichzeitig auftreten, auch das ist ja nicht über alle Studien hinweg eindeutig."
Ein eindeutiger Ursache-Wirkungs-Zusammenhang lässt sich aus der aktuellen Datenlage Ehrlich zufolge also nicht ableiten. "Es braucht bessere Daten, bessere Studien. Gleichzeitig kann man natürlich schon sagen: Wenn man denn Paracetamol in der Schwangerschaft unbedingt einsetzen will, dass man das so kurz und moderat dosiert wie möglich machen sollte. […] Auch wenn der Zusammenhang im Moment noch nicht eindeutig ist, ganz wegschieben würde ich es auch nicht. Aber man sollte jetzt auch keine Panik machen."
Forscher warnt vor falschen Hoffnungen
Gleichzeitig sollte man sich angesichts der Verkündungen in Washington auch keine falschen Hoffnungen machen, sagt Sven Bölte. Denn das Medikament Leucovorin sei kein Allheilmittel. Das Medikament wirkt im Gehirn: "Das ist so eine Substanz, die kann verbessern, dass es mehr Folsäure zentralnervös gibt. Das kann man durchaus betrachten, aber da ist die Datenlage unglaublich dünn. Also das ist nichts, [bei dem] ein seriöser Forscher sagen würde, damit geht man an die Öffentlichkeit und empfiehlt irgendetwas."
Dass das Medikament die große Lösung ist, sei jedenfalls relativ ausgeschlossen, bilanziert Bölte. Er vermutet: Man will jetzt irgendetwas präsentieren, um die Versprechen aus dem Frühjahr einzuhalten.
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