Daten aus Anom-Chats dürfen verwertet werden
Das FBI verkaufte Kryptohandys an Kriminelle. Die Daten nutzen nun auch deutsche Ermittler. Ein Verurteilter will sich in Karlsruhe wehren - ohne Erfolg. Doch neue Recherchen säen Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit.
Anom ist eine Verschlüsselungssoftware, die besonders sichere Kommunikation ermöglichen soll - eine Technologie, die vom amerikanischen FBI stammt. Das FBI hat die Technologie aber gerade nicht für sichere Kommunikation benutzt, sondern gezielt an Kriminelle verteilt: Es hatte in Anom eine Hintertür eingebaut, durch die die geheime Kommunikation angezapft werden konnte. Auf Grund dieser Chat-Nachrichten wurden auch in Deutschland hunderte Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Ob diese Daten nach rechtsstaatlichen Standards erhoben wurden und in einem Strafverfahren in Deutschland überhaupt verwertet werden dürfen, ist unter Juristen umstritten, sagt Matthias Jahn, Professor für Strafrecht an der Goethe-Universität Frankfurt am Main: "Es ist nämlich geheim geblieben, auf welche Weise, von wem und vor allem in welchem Umfang die notwendigen Gerichtsbeschlüsse in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union erwirkt worden sind."
Umstrittene Beweise sind verwertbar
Bekannt ist, dass ein EU-Staat einen Server zur Verfügung gestellt hat, auf dem eine Kopie der Anom-Chats gespeichert wurde und dass von dort die Daten zum FBI gelangt sind. Ebenfalls bekannt ist, dass dafür ein Gerichtsbeschluss in diesem EU-Staat erlassen wurde.
Obwohl vieles unbekannt ist - etwa wer dieser EU-Staat ist und um welchen Gerichtsbeschluss es geht, haben die obersten Gerichte stets gesagt: Die Anom-Daten dürfen als Beweis in Strafprozessen verwertet werden. So sieht es auch der deutsche Bundesgerichtshof. "Es liege nämlich kein Verstoß gegen rechtsstaatliche Mindeststandards vor und alles weitere sei nicht Sache der deutschen Strafgerichte", erklärt Matthias Jahn.
Bundesverfassungsgericht entscheidet
Auch das Bundesverfassungsgericht hat mit heute veröffentlichtem Beschluss vom 23. September entschieden, dass die Anom-Daten verwertet werden dürfen.
Insbesondere bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass bei der Gewinnung der Beweismittel im Ausland Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes verletzt worden sein könnten.
Neue Erkenntnisse säen Zweifel
Jedoch hat am Montag die Frankfurter Allgemeine Zeitung eine Recherche veröffentlicht, die Zweifel an der rechtsstaatlichen Erhebung der Anom-Daten sät. Der unbekannte Mitgliedsstaat, der dem FBI geholfen hat, sei Litauen. In Litauen habe der Server gestanden, auf den die Nachrichtenkopien weitergeleitet wurden.
Allerdings sei die litauische Richterin, die den dafür erforderlichen Beschluss erlassen hat, von der litauischen Polizei in Absprache mit dem FBI getäuscht worden. Ihr sei nicht mitgeteilt worden, dass das FBI die verschlüsselten Kryptohandys selbst auf den Markt gebracht hatte und auch nicht, dass der Server von der litauischen Polizei im Auftrag des FBI gemietet worden sei.
Es geht also darum, dass eine Richterin hier gezielt hinters Licht geführt worden sein könnte, um einen wichtigen Beschluss zu erlangen.
Müssen Strafprozesse jetzt neu aufgerollt werden?
Durch diese Rechercheergebnisse stelle sich die Frage neu, welche Beweise hierzulande verwertet werden dürfen, sagt Matthias Jahn. Und es würden sich Folgefragen stellen, die das Bundesverfassungsgericht noch nicht habe erörtern können, beispielsweise zur Wiederaufnahme von Strafverfahren.
Bei einer Wiederaufnahme geht es darum, ein bereits rechtskräftig abgeschlossenes Strafverfahren neu aufzurollen - etwa, weil erhebliche Fehler gemacht wurden.
Doch auch wenn sich die Rechercheergebnisse bestätigen sollten: Die Hürden für eine Wiederaufnahme sind sehr hoch. Jahn bringt noch eine weitere Option ins Spiel: "Es liegt nicht fern, dass gegen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nunmehr Rechtsschutz gesucht wird, beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg." Vollends abgeschlossen ist die Frage der Verwertbarkeit von Anom-Daten wohl trotz der Entscheidung aus Karlsruhe immer noch nicht.
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