Pistorius zeigt sich bei Wehrdienst kompromissbereit
- Pistorius: Pflichtdienst, wenn freiwillige Anwerbung nicht reicht
- Einigung auf Losverfahren gescheitert
- Auslosung der Musterung sorgt für Streit und Kritik der Opposition
Verteidigungsminister Boris Pistorius hat im Bundestag für seinen in der Koalition umstrittenen Gesetzentwurf für einen neuen Wehrdienst geworben, sich aber auch kompromissbereit gezeigt. Der SPD-Politiker sprach sich in der ersten Beratung erneut dafür aus, ganze Jahrgänge zu mustern, bezeichnete es aber als "okay" auch über andere Vorschläge zu diskutieren. Die Union will nur einen Teil eines Jahrgangs mustern und diesen per Los bestimmen. Das ist einer der größten Streitpunkte in der Koalition.
Pistorius betonte auch, dass es zu einem Pflichtdienst kommen müsse, wenn die freiwillige Anwerbung nicht ausreiche. "Aber auch das dann eben nur unter der Maßgabe eines Bundestagsbeschlusses völlig eindeutig mit Festlegungen, die noch zu treffen sind", betonte er. Zum Streit in der Koalition über das Gesetz in den vergangenen Tagen sagte der Minister: "Dieses Thema verdient eine ehrliche und offene Debatte, weil es das Leben vieler, vieler Menschen betrifft."
Steinmeier äußert Zweifel
Unterdessen hat sich auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier skeptisch über mögliche Losverfahren bei der Auswahl von Wehrpflichtigen geäußert. Steinmeier sagte dem SWR, er habe Zweifel, dass das ein taugliches Verfahren sei. Als Präsident muss er alle Gesetze auf Verfassungsmäßigkeit prüfen und unterschreiben, damit sie in Kraft treten. Steinmeier kritisierte zudem den Streit um die Reform als "kommunikative Fehlleistung".
Der Ex-Wehrbeauftragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels, empfiehlt, zunächst auf Freiwilligkeit zu setzen. Er sagte bei MDR AKTUELL, sobald die Infrastruktur für die Musterungen stehe, könne man junge Männer nach Eignung und Bedarf einziehen. Dann brauche es kein Los.
Einigung auf Losverfahren gescheitert
Auch der Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler hält die Rekrutierung von Wehrdienstleistenden durch ein Losverfahren für schwer vereinbar mit dem Grundgesetz. Verfassungsrechtlich sei eine ganze Jahrgänge erfassende Musterung vorzuziehen, sagte der Professor dem Evangelischen Pressedienst. Er ist nach eigenen Angaben seit mehr als 40 Jahren SPD-Mitglied.
Am Dienstag war eine Einigung von Union und SPD auf ein Losverfahren überraschend geplatzt. So gehen Union und SPD nun ohne gemeinsames Konzept in die parlamentarischen Beratungen. Zuvor hatten Vertreter beider Fraktionen noch erklärt, man habe sich im Grundsatz auf ein Modell beim Wehrdienst verständigt, zu dem auch ein Losverfahren gehöre.
Auslosung unter Fragebogen-Ausfüllern
Die CSU hatte zuvor rechtliche Bedenken gegen ein Losverfahren für den Wehrdienst zurückgewiesen. Landesgruppenchef Alexander Hoffmann sagte, die Union habe ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Demnach wäre eine solche Regelung mit dem Grundgesetz vereinbar. Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) nannte ein Losverfahren naheliegend und fair.
Dem Modell der Union zufolge soll aus allen jungen Männern, die einen verpflichtenden Fragebogen ausgefüllt haben, ein Teil ausgelost werden, der anschließend gemustert und zu einem Gespräch gebeten werden soll. Für den Fall, dass es nicht genügend Freiwillige gibt, sollten die Ausgelosten dann zu einem mindestens sechsmonatigen Wehrdienst verpflichtet werden, berichtete das RND unter Berufung auf beide Fraktionen.
Dieser mögliche Kompromiss orientiert sich den Angaben zufolge unter anderem an Dänemark, wo es so ein Losverfahren bereits gibt. Dort gelte die Wehrpflicht für alle, aber nur ein Fünftel werde eingezogen.
Kritik der Opposition an Hin und Her
Der Grünen-Verteidigungsexperte Niklas Wagener kritisierte den Streit der Koalition um den Wehrdienst. Er sagte MDR AKTUELL, Union und SPD wüssten nicht, was sie wollten. Erst greife man ein "Losbudenverfahren" der 1960er-Jahre wieder auf. Nun aber scheine auch dieser Kompromiss schon wieder geplatzt zu sein. Das werde der Ernsthaftigkeit der Lage nicht gerecht.
"Es ist makaber, über Losverfahren zu entscheiden, wer zur Armee muss", sagte Linke-Chef Jan van Aken dazu: "Wer Pech hat, muss in den Krieg, muss sterben." Den Streit darum bezeichnete van Aken als "Koalitionstheater", das "immer mehr an die schlimmsten Zeiten der Ampel" erinnere.
Die AfD sprach von "Wehrpflicht-Chaos" in der Koalition und wandte sich erneut ganz generell gegen den Bundeswehr-Kurs der Regierung vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs. AfD-Chefin Alice Weidel: "Wir müssen die Initiative zeigen, diesen Krieg so schnell wie möglich zu beenden."
AFP/RND/dpa/epd/ MDR (ksc, dni, fef, lik, mpö)
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