Tabuthema: Autorin Natascha Wodin erzählt von der Liebe im Alter
- Im Buch "Die späten Tage" schreibt Natascha Wodin über das Altern und den täglichen Umgang damit.
- Sie lässt die Erzählerin im Roman auf persönliche Erlebnisse der Autorin zurückgreifen – und thematisiert Liebe im hohen Alter.
- Der Roman überzeugt durch seine gefühlvolle Erzählweise, die nicht übertrieben wirkt.
Was wissen wir schon übers Altern? Was wissen wir schon über die Liebe? Diese Fragen stellt man sich tatsächlich noch einmal neu, wenn man das autobiografische Buch "Die späten Tage" von Natascha Wodin gelesen hat. Es ist einerseits das Zeugnis einer fast 80-jährigen Schriftstellerin, die keinen Tag ohne Schmerzen kennt, sich in ihrem alten Körper gefangen fühlt und deren wacher Geist sich nur schwer damit abfinden kann.
Jeden Tag nach dem Aufwachen, wenn das Bewusstsein langsam einsetzt, der Schock: Du bist alt, du wirst bald sterben.
Späte Liebe wird im Buch dargestellt
Andererseits ist das Buch das Zeugnis einer großen Liebe, die Natascha Wodin mit einem Mann erlebt, der in diesem Buch Friedrich heißt. Erstaunt, ehrfürchtig und mit großer Zärtlichkeit erzählt sie davon, wie sie sich plötzlich noch einmal verliebt, in einen pensionierten Mathematiker, der sogar noch ein paar Jahre älter ist als sie.
"Die späten Tage" von Natascha Wodin erscheint am 11. November im Rowohlt-Verlag.Bildrechte: Rowohlt VerlagIn Weimar geboren, vor dem Mauerbau in den Westen gegangen, hatte Friedrich ihr einen Brief geschrieben, nachdem er ihr Buch "Sie kam aus Mariupol" gelesen hatte. So fing es an – und nun ist Friedrich ihr Lebensmensch, den sie liebt und um den sie bangt, denn viel Zeit bleibt ihnen vermutlich nicht mehr. Dass er ganz anders ist als sie, nüchterner, sozialer, der Welt weit zugewandter als sie selbst, stellt das Liebesglück auf die Probe, führt aber auch zu späten Einsichten der Schriftstellerin.
Die Liebe ist das Einzige, was im Leben zählt, alles andere ist vergeblich. Ich musste achtzig Jahre alt werden, um das zu verstehen.
Wodins (schwere) Erinnerungen
Im Dezember wird Natascha Wodin 80 Jahre alt. Wie in all ihren autobiografisch geprägten Büchern, zuletzt in "Sie kam aus Mariupol", das die Lebensgeschichte ihrer aus der Ukraine von den Nazis verschleppten Mutter erzählt, berichtet Wodin auch in "Die späten Tage" aus ihrem Leben in kurzen Rückblenden, zum Teil leicht verändert und episodenhaft.
Für ihr Buch "Sie kam aus Mariupol" erhielt Natascha Wodin 2017 den Preis der Leipziger Buchmesse.Bildrechte: Julius Schrank / Agentur FocusAngeschnitten werden ihre Kindheit in Fürth, die von der Selbsttötung ihrer Mutter überschattet ist, da diese nach Jahren der Zwangsarbeit und fern der Heimat allen Lebensmut verliert. Außerdem schreibt sie über die Arbeit als Dolmetscherin in Moskau, die sie als erfüllend erlebt. Es geht um ihre komplizierte Ehe mit Jakob, in dem man leicht den aus der DDR geflüchteten Schriftsteller Wolfgang Hilbig erkennt, mit dem Wodin von 1994 bis 2002 in zweiter Ehe verheiratet war.
Mehr zu Natascha Wodin (zum Ausklappen)
Natascha Wodin, 1945 als Kind sowjetischer Zwangsarbeiter in Fürth/Bayern geboren, wuchs erst in deutschen DP-Lagern, dann – nach dem frühen Tod der Mutter – in einem katholischen Mädchenheim auf. Auf ihren 1983 erschienenen ersten Roman "Die gläserne Stadt" folgten zahlreiche weitere Veröffentlichungen, darunter die Romane "Nachtgeschwister" und "Irgendwo in diesem Dunkel".
Ihr Werk wurde unter anderem mit dem Hermann-Hesse-Preis, dem Brüder-Grimm-Preis und dem Adelbert-von-Chamisso-Preis ausgezeichnet. Für "Sie kam aus Mariupol" wurden ihr der Alfred-Döblin-Preis, der Preis der Leipziger Buchmesse 2017 und der Hilde-Domin-Preis für Literatur im Exil 2019 verliehen. 2022 wurde sie mit dem Joseph-Breitbach-Preis für ihr Gesamtwerk ausgezeichnet. Natascha Wodin lebt in Berlin und Mecklenburg.
Quelle: Rowohlt-Verlag
Und weiterhin geht es um den späten literarischen Erfolg, für den sie dankbar ist, weil er ihr nicht nur die Zuneigung einer großen Leserschaft, sondern auch einen abgesicherten Lebensabend beschert. Doch immer wieder kommt Natascha Wodin auf das Zentrum ihrer Gegenwart zurück: Friedrich.
Wenn Friedrich nicht schlafen kann, wenn ihn wieder Schmerzen quälen, wenn ich spüre, dass er Angst hat, sind alle Fremdheiten wie weggewischt. Er ist dann sofort wieder der mir nächste, vertrauteste Mensch, mein Mensch, mein bedrohtes Kind, mit dem ich leide.
Gefühlvoller Roman ohne Pathos
Natascha Wodin hat mit "Die späten Tage" ein Buch voller großer Gefühle geschrieben, ohne jemals sentimental zu werden. Mit keiner Zeile redet sie das Alter schön, wie man es in manchen erbaulichen Büchern zum selben Thema liest.
Natascha Wodin 1980 – in "Die späten Tage" schreibt sie autobiografisch über wichtige Episoden in ihrem Leben.Bildrechte: IMAGO / Vereinigtes ArchivIm Gegenteil: Sie ist regelrecht entrüstet darüber, wie wenig wir wissen wollen über die zahllosen und schmerzhaften Begleiterscheinungen des Alters. Neben der Liebe kann die Schriftstellerin nur das Schreiben trösten, denn das zumindest wird bleiben, über den Tod hinaus.
Mein Schreibtisch ist der einzige Ort, an dem ich mein Alter, die Schmerzen, die Angst vergesse, obwohl ich darüber schreibe. Ich schreibe darüber, um nicht sang- und klanglos zu sterben.
Natascha Wodin erlaubt Leserinnen und Lesern mit "Die späten Tage" einen tiefen Einblick in die Gefühlswelt einer alternden und liebenden Frau. Schonungslos, berührend, herzergreifend.
Redaktionelle Bearbeitung: gw
Informationen zum Buch:
"Die späten Tage"
Über das Altwerden und eine späte große Liebe
von Natascha Wodin
Rowohlt
288 Seiten, Hardcover
Preis: 24 Euro
ISBN: 978-3-498-00334-0
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke