Leuna: Transformation gelungen, Zukunft ungewiss
Inhalt des Artikels:
- Karusselfahren ist hier kostenfrei
- Wohlstand trifft Unsicherheit
- Geprägt vom Wandel nach der Wende
- Zukunftsängste trotz Chemiepark-Erfolg
- Konflikte um Energiewende und Projekte
- Erfolg mit Schattenseiten
Die Region Leuna steht gut da. Sie gilt als Erfolgsbeispiel der deutschen Einheit. Hier wurde viel investiert. Heute arbeiten in den über 100 Unternehmen des Chemieparks rund 15.000 Menschen. Fast genauso viele leben in der Gemeinde Leuna. Die Kommune profitiert von der Industrie: Sie ist kaum verschuldet, und die Steuereinnahmen liegen dreimal so hoch wie im deutschen Durchschnitt.
Karusselfahren ist hier kostenfrei
Matthias Jentzsch ist Ortsbürgermeister von Spergau, einem Ortsteil im Süden von Leuna und erkennt an, dass sich die Menschen hier durchaus ein schönes Leben machen können. Neben sehr niedrigen, teilweise sogar keinen Beiträgen in den Vereinen, können sie hier den Bürgerinnen und Bürgern auch andere Annehmlichkeiten bieten. "Bei unseren Festen müssen wir keine Eintrittsgelder verlangen. Jeder kann Karussell und sämtliche Belustigungen, die die Schausteller anbieten, kostenlos genießen. Wir übernehmen das, damit niemand ausgeschlossen ist. Das Geld ist einfach übrig."
Stadtrat Matthias Jentzsch ist stolz auf die hohen Steuereinnahmen. Sie ermöglichen kostenlose Eintritte zu Volksfesten.Bildrechte: MDR/Elisa SchmidtDie Zufriedenheit bestätigt auch der SKL-Glücksatlas von 2024: Der Saalekreis, in dem Leuna liegt, zählt zu den sechs bundesweiten Glücksregionen – als einzige in Ostdeutschland. Die Befragten gaben hier an, besonders glücklich zu sein.
Wohlstand trifft Unsicherheit
Doch trotz des industriellen Glanzes und der ländlichen Idylle scheint irgendetwas das Glück der Menschen zu trüben. Es lassen sich soziale Spannung ausmachen, die sich auch in den Wahlergebnissen zeigen. Die AfD, die Russlandsanktionen ablehnt und Volksentscheide fordert, scheint von dieser Stimmung zu profitieren: Bei der letzten Kommunalwahl erhielt sie 33 Prozent.
Der Geschäftsführer der InfraLeuna, Christof Günther, kennt die Existenzängste in der Region: "Die Menschen wissen, wenn ich hier meinen Arbeitsplatz verliere, dann habe ich unmittelbar ein Problem. Es gibt nicht die großen Erbschaften, nicht die großen Ersparnisse wie in anderen Regionen, etwa im Westen. Deshalb sind die Menschen hochsensibel und machen sich Sorgen um ihre Zukunft." Hinzu kommt die Erfahrungen damit, wie schnell sich alles ändern kann. Die Menschen in Leuna wissen, wie schnell ein Job weg sein kann oder ein Unternehmen geschlossen wird, wenn die politische Situation kippt.
Geschäftsführer der InfraLeuna, Christof Günther vor "seinem" Werk.Bildrechte: Paul LegrasGeprägt vom Wandel nach der Wende
Nach der Wende wurde das einstige Leuna-Werk, das zu DDR-Zeiten über 30.000 Beschäftigte hatte, zerschlagen und privatisiert. Wie fast überall gingen viele Arbeitsplätze verloren.
Christof Günther ist selbst in der DDR aufgewachsen und kennt den Standort Leuna seit 21 Jahren. Er weiß, dass die Restrukturierung große Opfer von allen Beteiligten abverlangt hat: "Sie sind durch das Tal der Tränen gegangen, haben die Zähne zusammengebissen und einen Standort neu geschaffen, auf den man stolz sein kann. Und das spürt man." Gleichzeitig nimmt er die hohe Sensibilität wahr. Die Menschen hätten gesehen, wie junge Leute abwandern mussten und diese Erfahrungen haben sich bis in die Gegenwart gehalten: "Jetzt entstehen neue Fragezeichen: Kann diese Aufbauarbeit, die wir hier geleistet haben, das, worauf wir stolz sind, auch in die Zukunft getragen werden? Hat das Bestand?"
Chemiepark Leuna: Heute ein hochmoderner Standort, nach der Wende war alles ungewiss.Bildrechte: picture alliance/dpa | Hendrik SchmidtZukunftsängste trotz Chemiepark-Erfolg
Die Region befindet sich im Wandel. Der Ukrainekrieg und die Abhängigkeit von russischem Öl und Gas zwingen zu Veränderungen im Werk, was zu Unsicherheit und Zukunftsängsten führt. Cornelius Pollmer, der Leiter des Ressorts Ostdeutschland der Wochenzeitung "Die Zeit", beobachtet dabei eine Besonderheit für Leuna:
"Die Frage, ob der Ankauf russischen Öls boykottiert wird, ist eine bundespolitische Frage. Hier kommt sie aber nicht nur als Nachricht in der Tagesschau an, sondern steht in einem unmittelbaren Zusammenhang damit, wie es mit diesem Werk weitergeht. Wenn wir darüber reden, dass Leute Angst haben, dann zeigt sich hier im Kleinen Fassbaren etwas, was alle Menschen im Großen Abstrakten umtreibt."
Cornelius Pollmer, Leiter des Leipziger Büros der Wochenzeitung "Die Zeit" und Leiter des Ressorts Ostdeutschland im Interview.Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNKDass das Wohl der Leute sehr stark am Werk und der wirtschaftlichen Lage hängt, merkt auch Marvin Meinhardt. Er ist Lokführer im Chemiepark und bringt den Firmen ihre Ausgangsstoffe oder Produkte über die Schiene. "Es gibt Betriebe, die haben vor fünf Jahren die drei- bis vierfache Anzahl an Wagen pro Schicht bekommen. Heute fährt man vielleicht einmal am Tag hin. Selbst ich kenne noch die besseren Zeiten."
Lokführer Marvin Meinhardt bekommt schnell mit, wenn die sich die wirtschaftliche Lage der Unternehmen verschlechtert. Bildrechte: Paul LegrasDer Malermeister Udo Dorber spürt die Wirtschaftslage ebenso: "Wir haben immer noch städtische und private Aufträge. Aber am Ende hängen alle mit dem positiven Geschick des Leuna Werks zusammen, weil viele dort arbeiten, die man als Kunden bedient. Und das macht definitiv Angst: Kann ich meinen Leuten nächstes Jahr noch genug Arbeit bieten? Kann ich die Löhne zu bezahlen?"
Die Auftragslage hängt für Malermeister Udo Dorber eng mit dem Werk zusammen.Bildrechte: Hoferichter&Jacobs/MDRKonflikte um Energiewende und Projekte
Trotz allem steht Leuna gut da. Der Chemiepark ist der größte in Deutschland und konkurriert europaweit. Um weiter zu wachsen, setzt der Standort auf grünen Wasserstoff, Energieeffizienz und neue Verfahren. Die Firma Total setzte im September 2025 den Spatenstich für eine neue Fernwärmeleitung von Leuna nach Leipzig. Vorher gab es Widerstand, weil die Leitung durch Ackerflächen führt. Auch der Stadtrat und Hobbylandwirt Matthias Jentzsch kritisierte die Umsetzung: "Die Landwirtschaft wird gebeutelt, Felder fallen weg und teilweise auch per Zwang, wogegen man sich nicht wehren kann. Das wurde uns so dogmatisch aufgedrückt: Das kommt. Ihr könnt da nichts machen. Das hat eigentlich die Härte ins Spiel gebracht."
Der Spatenstich für das Fernwärmenetz Leuna-Leipzig.Bildrechte: picture alliance/dpa | Hendrik SchmidtChristof Günther sieht darin einen wichtigen Grund für die Unzufriedenheit, denn zu den Sorgen käme das Gefühl, von der Politik bevormundet zu werden. "Da haben die Leute ihre Erfahrungen aus der Vergangenheit. Das hat aber nichts mit Transformationsmüdigkeit zu tun, sondern sie müssen verstehen, dass es tatsächlich einen Nutzen bringt und nicht das Gefühl haben, hier wird jetzt staatliche Planung umgesetzt, koste es, was es wolle."
Erfolg mit Schattenseiten
Die Widersprüche in der Region, im Werk und in der Stadt sind spürbar. Der Wohlstand ist die eine Seite, aber er kann nicht das Gefühl bestimmen. So resümiert der Zeit im Osten-Chef Cornelius Pollmer in der Dokumentation "Leuna-Komplex-Stadt, Land, Werk": "Unzufrieden zu sein, das ist auch, glaube ich, eine Erfahrung von Regression, die sich über viele Jahre festgesetzt hat und ganz schwer wieder aufzulösen ist."
MDR (jba)
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