Debatte über Sterbehilfe und Suizid-Prävention nach Tod der Kessler-Zwillinge
- Suizid-Begleitung unter bestimmten Bedingungen nicht strafbar.
- Für Karl Lauterbach ist diese Rechtslage "ethisch nicht vertretbar".
- Auch dem Deutschen Ethikrat fehlt eine gesetzliche Regelung.
Der assistierte Suizid der Kessler-Zwillinge hat zu neuen Forderungen nach einer gesetzlichen Regelung geführt. Im Gespräch mit MDR AKTUELL hatte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), Robert Roßbruch, zwar erklärt, ein neues Gesetz sei eigentlich unnötig. Doch neue Forderungen danach kamen jetzt von Ex-Gesundheitsminister Karl Lauterbach und dem Vorsitzenden des Deutschen Ethikrats, Helmut Frister.
Roßbruch: Es gibt keine Grauzone
Im Gespräch mit MDR AKTUELL hatte DGHS-Präsident Robert Roßbruch gesagt, von einer gesetzlichen Regelung "überhaupt nichts" zu halten: "Es gibt keine Grauzone, keinen rechtsfreien Raum." Das Bundesgericht habe da "ganz klar die rechtliche Situation abgesteckt".
Und eine Gefahr, dass sich Menschen zum begleiteten Sterben gedrängt fühlen, sehe er nicht, sagte Roßbruch: Meist sei es genau umgekehrt und die Angehörigen wollten nicht, dass die betroffene Person den Suizid wähle.
Karlsruhe setzte §217 StGB aus
Der assistierte Suizid war rechtlich lange umstritten. Im Jahr 2015 wurde er mit Paragraf 217 im Strafgesetzbuch (StGB) eingeführt und geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung damit unter Strafe gestellt. Faktisch war dadurch eine professionelle Sterbehilfe etwa durch einen Verein unmöglich.
Doch 2020 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass das verfassungswidrig sei und das Recht auf selbstbestimmtes Sterben verletze. Das Gericht hatte dabei nahegelegt, dass ein Schutzkonzept her müsse, damit niemand zum begleiteten Sterben gedrängt werde. Eine neue Regelung oder auch ein Schutzkonzept gibt es bislang aber nicht.
Suizid-Hilfe unter Bedingungen legal
Roßbruch erklärte, beim begleiteten Suizid werde die Hilfe eines Arztes in Anspruch genommen, um sich selbst zu töten. Die Tötungshandlung gehe allerdings vom Betroffenen aus, denn sonst wäre es eine Tötung durch einen Dritten und strafbar. "Der begleitete Suizid ist dann nicht strafbar, wenn die betroffene Person – der Suizident – frei verantwortlich handelt. Das heißt, er muss urteils- und entscheidungsfähig sein." Auch müsse die Entscheidung wohl erwogen und konstant sein, also nicht spontan fallen.
Auch eine psychische Diagnose sei nicht immer ein Ausschlusskriterium. Die Gefahr, dass die Freiverantwortlichkeit dann nicht mehr gegeben sei, bestehe aber. Deshalb sei in solchen Fällen ein fachärztliches Gutachten nötig.
Lauterbach: "Ethisch nicht vertretbar"
Der ehemalige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sagte jetzt der "Rheinischen Post", die aktuelle Situation erlaube eine Assistenz beim Suizid, die ethisch nicht vertretbar sei. Denn es sei nicht gesichert, "dass Menschen, die diesen Weg gehen, nicht unter psychischen Erkrankungen leiden, die ihre Entscheidungsfähigkeit einschränken".
Der SPD-Politiker kritisierte, dass kommerzielle Angebote einer Suizid-Assistenz nicht ausgeschlossen seien. Er selbst sei zwar "klarer Befürworter des assistierten Suizids", aber uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit und Abwesenheit aller kommerziellen Interessen müssten sichergestellt sein.
Auch Ethikrat will Gesetz
Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Helmut Frister, dringt auf ein Gesetz zur Suizidprävention. Bildrechte: picture alliance/dpa/Wolfgang KummDer Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Helmut Frister, dringt derweil auf ein Gesetz zur Suizidprävention. Die Bundesregierung habe eine entsprechende Regelung für das nächste Jahr angekündigt, sagte Frister am Donnerstag im ARD-Morgenmagazin. Und auch ihm fehle in Deutschland eine gesetzliche Regulierung der Suizid-Assistenz, sagte Frister.
Nötig sei ein Verfahren, in dem überprüft werde, ob jemand bei einer Entscheidung zum Suizid frei verantwortlich handele. Nach den Worten Fristers solle es dabei eine unabhängige Beratung geben. Ein Gutachten müsse es nach seiner persönlichen Meinung nur geben, wenn Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung der sterbewilligen Person vorliegen.
Tod der Kessler-Zwillinge mit 89 Jahren
Die als Künstlerinnen berühmten Zwillinge Alice und Ellen Kessler waren am Montag im Alter von 89 Jahren in Grünwald bei München gestorben. Die DGHS hatte bestätigt, dass es sich um einen assistierten Suizid handelte.
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MDR AKTUELL (smk, ksc, dni)
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