Schon wieder ’ne Spinne: Die giftige Einsiedlerspinne ist da – und mit ihr die (unberechtigten) Sorgen
Unter Deutschlands zugekrabbelten Exoten ist die Nosferatu-Spinne sowas wie die Krönung. Und es braucht wahrscheinlich allerhand medialen Alarmismus um eine andere Art herum, als dass ihr jemals der Rang abgelaufen wird. Schließlich beeindruckt Zoropsis spinimana durch ihre Vampirkopf-Zeichnung auf der Oberfläche sowohl Spinnenfans als auch Menschen mit Spinnenphobie – nur eben auf ganz unterschiedliche Weise.
An die haben wir uns eh gewöhnt: Nosferatu-SpinneBildrechte: IMAGO/Pond5 Images"Die ist so eine Art Dauerbrenner geworden, von der haben wir definitiv die allermeisten Meldungen." Das sagt der Biochemiker Alexander Wirth mit Blick auf den Datensatz beim Meldeportal Nabu-Naturgucker, das er datenwissenschaftlich betreut. Ansonsten sind Spinnen nicht sonderlich beliebt, werden eher selten gemeldet, sagt Wirth. Aber immerhin: Von insgesamt 14 nicht-einheimischen Arten liegen Meldungen vor. Hinzu kommt eine für mitteleuropäische Verhältnisse ungewöhnlich giftige Familie: Einsiedlerspinnen – das sind die, man auch als Violinspinnen kennt.
Alexander Wirth muss allerdings etwas klarstellen: "Es ist so, dass diese Arten durchaus gemeldet werden, aber wir haben noch keine plausible anhand eines Fotos nachvollziehbare Einsiedlerspinnenmeldung aus Deutschland." Nun, nicht alles, was nach Einsiedlerspinne aussieht, kann auch einer wissenschaftlichen Begutachtung standhalten.
Dutzende Einsiedlerspinnen in der Uni Tübingen
Nicht alles, aber kommt eben drauf an, wo man die Tierchen findet. Als diesen Herbst ein Handwerker im Keller der Universität Tübingen ebenfalls eine ungewöhnliche achtbeinige Entdeckung gemacht hat, konnte er ein Foto schießen, das über Umwege zu Hubert Höfer gelangt ist, Leiter der Biowissenschaften und Spinnenfachmann vom Naturkundemuseum Karlsruhe. Höfer wollte das Tier in echt sehen.
Kann neckisch gucken: Chilenische Einsiedlerspinne – jetzt auch (an einem Ort) in Deutschland.Bildrechte: imago/imagebroker"Und er hat tatsächlich dieses Tier gefangen, was sehr, sehr wertvoll ist, denn nur durch dieses Männchen, das da gefangen wurde, konnten wir überhaupt eine sichere Bestimmung machen." Kurzerhand hat sich herausgestellt: Unter der Uni Tübingen leben dutzende Exemplare, allein 15 stehen nun Höfer zur Begutachtung zur Verfügung. Der Biologe konnte herausfinden, dass es sich dabei nicht um die eigentlich erwartete Mittelmeerart handelt, die oft nur (Braune) Violinspinne genannt wird (Loxosceles rufescens). Und auch nicht um die Braune Einsiedlerspinne aus Nordamerika (Loxosceles reclusa), sondern um die gleichnamige Art aus Chile – Loxosceles laeta. Tja, deutsche Trivialnamen, das ist so 'ne Sache. Höfer: "Die sind eigentlich alle braun."
Wandert die Einsiedlerspinne jetzt in andere Gegenden?
Wahrscheinlich leben die Tiere schon eine Weile in ihrem Tübinger Habitat und kamen durch Warentransporte nach Deutschland: "Bis sich aus Einzeltieren, die eingeschleppt werden, da was etabliert, das dauert in der Regel, beziehungsweise das schaffen überhaupt nur wenige Arten." Das bedeutet nicht, dass die Einsiedlerspinne in Deutschland eine Wahlheimat gefunden hat und sich auf in die freie Wildbahn macht, um gleich noch ganz Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt zu besiedeln. Gerade nichtheimische Spinnen bleiben eher in Häusern – und die Chilenische Einsiedlerspinne scheint es neckischerweise auf Universitäten abgesehen zu haben.
Das ist ein sehr zartes Tier.
Seit sechzig Jahren lebt sie in der Universität Helsinki, der einzige weitere Nachweis in Europa. Dort ist sie auch geblieben, ohne sich in Finnland vom Meerbusen bis zur Weihnachtsmannwerkstatt breitzumachen. Und auch mit Bissen konnte sich die Gute zurückhalten. "Das ist keine Spinne, die schnell zubeißt, wenn man in die Nähe kommt, das ist ein sehr zartes Tier. Sie geht den Menschen aus dem Weg, sie ist nachtaktiv, kommt also tagsüber gar nicht raus."
Einsiedlerspinne: Ziemlich giftig, ziemlich seltene Bisse
Bei nur zwei Prozent aller Bisse gibt es ernsthafte Probleme mit der menschlichen Haut. Im Gegensatz zu den meisten anderen Spinnen wie der Nosferatu-Spinne tut das Gift dabei nicht einfach nur ein bisschen weh, sondern kann die Hautzellen zersetzen, also zu Nekrosen führen. Aber: "Was wir vermeiden müssen, ist unbedingt, dass jetzt Leute in ganz Deutschland glauben, oh, die ist auch bei mir, die sieht genauso aus."
Das Auftreten von exotischen oder nichtheimischen Arten ist sehr schwer vorherzusehen, das könnte überall passieren.
Für alle außerhalb der Uni Tübingen bleibt eine Begegnung mit der Chilenischen Einsiedlerspinne maximal unwahrscheinlich. Das gilt auch für eine Entwicklung wie bei der Nosferatu-Spinne: Die hatte es zum einen nicht so weit – und profitiert vom regen Warenaustausch mit Südeuropa und dem Klimawandel. Außerdem müsste die erstmal ein Tier an Schönheit übertreffen, um ihr den Rang abzulaufen. Also, Herr Wirth?
Südrussische Tarantel: Die nächste Kandidatin?Bildrechte: imago/imagebroker"Was wir auf jeden Fall aus unserem Forschungsprojekt zur Nosferatu-Spinne wissen, ist, dass Spinnen sehr gerne mit Paketen, mit Reisegepäck oder mit jeglichen Transportmitteln durch die Republik reisen. Das heißt also, das Auftreten von exotischen oder nichtheimischen Arten ist sehr schwer vorherzusehen, das könnte überall passieren", so der Nabu-Fachmann. Exemplare vom Mittelmeer sind auf jeden Fall immer heiße Kandidaten, die Deutschlands Wärmeinseln mögen, also zum Beispiel die Landstriche entlang des Rheins.
Südrussische Tarantel könnte es nach Deutschland schaffen
Der Nosferatu-Spinne so richtig Konkurrenz machen könnte vielleicht am ehesten die Südrussische Tarantel, die es schon in den Osten Österreichs geschafft hat. Mit bis zu vier Zentimetern Körperlänge und bis zu sieben Zentimetern Beinspannweite ist sie die größte Spinne Mitteleuropas. Bevor jemand fragt: Ja, der Biss ist unangenehm, aber für Menschen weitestgehend ungefährlich.
Egal ob Südrussische Tarantel, Einsiedlerspinne oder eben Nosferatu: Für alle achtbeinigen Freunde in Mitteleuropa gilt, dass sie am liebsten ihrer Arbeit als Haushaltshilfen nachgehen, um die Bewohnerinnen und Bewohner vor ihnen sonst ebenfalls lästigem Getier zu bewahren. Dabei steht ihnen so gar nicht der Sinn danach, Menschen anzugreifen. Wie bei jedem gut erzogenen Haustier gilt: Sie beißen nur, wenn sie sich in einer bedrohlichen Lage wähnen.
Als Vorsichtsmaßnahme genügt es da, in einer potenziell spinnenreichen Umgebung keine Wäsche aufzuhängen oder sie vorm Ankleiden zumindest mal kurz durchzuschütteln. Und einem medialen Aufschrei ansonsten mit einem müden Lächeln zu begegnen.
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