Kulturhauptstadt: Knappe Mehrheit mit positiver Bilanz – Nutzen umstritten
- Nur eine Minderheit von 42 Prozent glaubt an einen langfristigen Nutzen für Chemnitz.
- Zwei Drittel der Befragten glauben an einen Image-Gewinn für die Stadt.
- Die Hälfte der Befragten fühlte sich schlecht informiert über die Veranstaltungen.
33 Millionen Euro für ein Jahr voller Kultur – so hoch war der Chemnitzer Anteil des Kulturhauptstadt-Budgets. Hat es sich gelohnt? Die Meinungen gehen im MDRfragt-Stimmungsbild weit auseinander. Mehr als 13.000 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben sich daran beteiligt. Es zeigt: Nur vier von zehn Befragten glauben an einen langfristigen Nutzen für Chemnitz. Immerhin prognostizieren zwei Drittel einen Image-Gewinn für die Stadt. Und: Jeder zweite Befragte (53 Prozent) zieht insgesamt eine positive Bilanz. Die anderen MDRfragt-Teilnehmenden blicken entweder negativ auf das Kulturhauptstadtjahr (17 Prozent) – oder können dazu keine Angabe machen.
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNKDer Chemnitzer Jens (57) gehört zu denjenigen, die positiv zurückblicken: "Die Stadt verströmte einen Hauch von international. Selbst die sonst so griesgrämigen Chemnitzer schienen angesteckt von der positiven Ausstrahlung. Die Ausstellungen waren Spitzenklasse!" Viele Kulturhauptstadtbesucherinnen und -besucher loben in ihren Kommentaren bei MDRfragt die Atmosphäre der Stadt und die inspirierenden Kulturangebote.
Die Stadt verströmte einen Hauch von International. Selbst die sonst so griesgrämigen Chemnitzer schienen angesteckt von der positiven Ausstrahlung.
Ältere und jüngere Befragte sind spürbar zufriedener mit dem Kulturhauptstadtjahr. In der Altersgruppe der 16- bis 29-Jährigen und der Über-64-Jährigen fällen fast sechs von zehn Befragten ein positives Urteil (59 bzw. 58 Prozent). "Ich habe ganz viele Ausstellungen, Events, Konzerte, auch das Kosmos besucht", schreibt die 75-jährige Friedel. "Obwohl ich Rentnerin bin, hatte ich gar nicht genug Zeit, alle interessanten Veranstaltungen zu besuchen."
Kritik richtet sich häufig gegen eine mangelhafte Erreichbarkeit der Kulturhauptstadt. "Ich hätte mir gewünscht, dass der öffentliche Verkehr in die Regionen besser ist. Viele Bahnbaustellen um Chemnitz, oft Schienenersatzverkehr, ständig Probleme beim RE6, keine zusätzlichen Züge abends", beklagt sich etwa Jens (51) aus dem Vogtlandkreis.
Geteilte Meinung zum langfristigen Nutzen
Viele Befragte stellen das Kosten-Nutzen-Verhältnis infrage. Neben den 33 Millionen Euro von der Stadt Chemnitz flossen jeweils 25 Millionen Euro vom Land und vom Bund sowie 31 Millionen Euro Drittmittel in das Kulturhauptstadtbudget von insgesamt 115 Millionen Euro.
Nur 42 Prozent der Befragten glauben, dass Chemnitz langfristig von der Kulturhauptstadt profitieren wird. 43 Prozent bezweifeln das. "Ich bin der Meinung, das Geld wäre in der bestehenden Kulturszene sinnvoller angelegt, als Millionen in ein Kurzzeitprojekt zu verschwenden", findet Matthias (63) aus dem Landkreis Bautzen. Dagobert (81) aus dem Vogtlandkreis kritisiert: "Chemnitz – besser seine Einwohner – werden jahrelang an den entstandenen Schulden zu knabbern haben".
Die Gegenseite hofft, dass Chemnitz auch in Zukunft von steigenden Besucherzahlen profitieren wird. "Die Verweilqualität in der Stadt hat deutlich zugenommen. Ich denke, es wird auch zukünftig Gäste anlocken", findet zum Beispiel die Chemnitzerin Carmen (61).
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNKWelche Mehreinnahmen die zusätzlichen Besucher der Stadt, ihrer Hotellerie und ihrer Gastronomie im Kulturhauptstadtjahr einbrachten, kann gegenwärtig noch nicht beziffert werden – so die Aussage der Stadt Chemnitz und des Deutschen Hotel- und Gaststättenverband gegenüber dem MDR.
Zwei Drittel glauben an Image-Gewinn
In der überregionalen Berichterstattung tauchte Chemnitz in den letzten Jahren vielfach im Zusammenhang mit rechtsextremen Demonstrationen auf. Zwei Drittel der Befragten glauben, dass das Kulturhauptstadtjahr die öffentliche Wahrnehmung von Chemnitz verbessert hat. "Die Bemühungen der Stadt, ihr Image zu verbessern und sich weltoffen zu zeigen, waren zu erkennen. Ich hoffe, dass das nachhaltig ist", schreibt Regina (57) aus dem Landkreis Nordhausen stellvertretend für viele.
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNKGrundsätzlich schauen Menschen in Mitteldeutschland positiver auf Chemnitz als noch vor zwei Jahren, als wir zum ersten Mal bei MDRfragt zum Thema Kulturhauptstadt befragt haben: Im September 2023 verbanden noch 54 Prozent der Befragten Chemnitz mit einem negativen oder (eher) negativen öffentlichen Image. Ein Jahr später sank der Wert auf 41 Prozent, im November 2025 sogar auf 29 Prozent.
Anders in Norddeutschland: Dort beurteilen 39 Prozent der Befragten Chemnitz‘ öffentliches Bild weiterhin als negativ oder eher negativ. Das ergab ein aktuelles Stimmungsbild von NDRfragt, dem Meinungsbarometer für Norddeutschland, an dem rund 12.000 Menschen aus Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Bremen und Schleswig-Holstein teilnehmen.
Die Hälfte fühlte sich schlecht informiert
Die Teilnehmenden von MDRfragt sehen die öffentliche Kommunikation rund um die Kulturhauptstadt als einen Schwachpunkt der Organisation. Die Hälfte der Befragten (49 Prozent) hielt die Informationen zu den Angeboten für unzureichend. Nur ein gutes Drittel (36 Prozent) fühlte sich hingegen gut informiert. Selbst unter Menschen, die sich selbst als kulturell interessiert beschreiben, sind lediglich 42 Prozent mit der Kommunikation zufrieden.
Der Chemnitzer Guido (47) schlägt beispielsweise eine Kulturhauptstadt-App vor: "Da es keine App gab, in der alle Veranstaltungen enthalten waren, ist man auf Social-Media-Beiträge oder Newsletter angewiesen gewesen. Dadurch hat man leider Veranstaltungen verpasst, wenn man den Locations, Veranstaltern, etc. nicht auf Social Media folgte."
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNKMehr Informationen und auch mehr Sichtbarkeit – so der vielgeäußerte Wunsch. "Die Stadt war viel zu leise. Kaum überregionale Werbung zu Veranstaltungen", schreibt Thomas (47) aus dem Salzlandkreis. "Nach der Eröffnung habe ich nichts mehr davon gehört! Wenn jetzt die Umfrage nicht wäre, hätte ich gar nicht mehr daran gedacht", ergänzt Andreas (52) aus dem Landkreis Anhalt-Bitterfeld.
Wie wenig die Kulturhauptstadt Chemnitz überregional wahrgenommen wurde, veranschaulicht das Stimmungsbild von NDRfragt: Nur die Hälfte der norddeutschen Befragten (51 Prozent) wusste, dass Chemnitz dieses Jahr die Kulturhauptstadt Europas ist.
Männer sind kritischer und pessimistischer
Im Antwortverhalten der mitteldeutschen MDRfragt-Teilnehmenden zeigt sich ein klares Muster: Männer bewerten das Kulturhauptstadtjahr in nahezu allen Punkten kritischer. Nur 48 Prozent ziehen beispielsweise eine positive Bilanz zur Kulturhauptstadt. Unter den befragten Frauen steigt der Anteil auf 57 Prozent.
Ebenso blicken die befragten Männer pessimistischer in die Zukunft. 50 Prozent glaubt nicht an einen langfristigen Nutzen der Kulturhauptstadt für Chemnitz. Unter den Frauen teilen nur 37 Prozent diese Meinung.
Sachsen skeptischer als Nachbarländer
Erstaunlich ist auch, dass Befragte des Gastgeberlandes Sachsen vielfach skeptischer auf Chemnitz und den Kulturhauptstadttitel blicken als Befragte in Thüringen und Sachsen-Anhalt. 36 Prozent der befragten Sachsen haben persönlich ein negatives Bild von Chemnitz. 34 Prozent finden die Vergabe des Kulturhauptstadttitels an Chemnitz ungerechtfertigt.
In Thüringen und Sachsen-Anhalt sind die Bewertungen positiver. Dort haben nur 22 bzw. 19 Prozent persönlich ein negatives Bild von Chemnitz. Lediglich 19 bzw. 21 Prozent finden, dass Chemnitz den Kulturhauptstadttitel zu Unrecht trägt.
Über diese Befragung
Die Befragung: "Kulturhauptstadt: Was bleibt?" lief vom 5. bis 10. November 2025. Insgesamt haben 13.100 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mitgemacht.
Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen.
Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ. Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach bewährten wissenschaftlichen Kriterien und Methoden anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen.
Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein valides und einordnendes Stimmungsbild aus Mitteldeutschland. MDRfragt wissenschaftlich beraten und begleitet. Dabei geht es um die Weiterentwicklung des Angebotes ebenso wie über die Überprüfung der Aussagekraft, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests.
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