DEFA-Klassiker "Das kalte Herz" wird 75 Jahre
- Der Film "Das kalte Herz" (1950) gilt als größter Erfolg der Märchenproduktionen der DEFA.
- Besonders durch seine technisch aufwändigen Spezialeffekte faszinierte der Film Jung und Alt.
- Heutige Neuverfilmungen erreichten nicht dieselbe Beliebtheit, wie die DEFA-Fassung.
"Das kalte Herz" war der erste Farbfilm der DEFA, der 1950, nur fünf Jahre nach Kriegsende, mit viel Getose über die Kinoleinwände lief – und zum bis dahin größten Märchenerfolg der DEFA wurde. Knapp zehn Millionen Menschen sahen den Film von Regisseur Paul Verhoeven und Kameramann Bruno Mondi, nach der Märchenvorlage von Wilhelm Hauff, damals in den Kinos. 1951 wurde der Film sogar als "Bester Farbfilm" bei den Internationalen Filmfestspielen in Karlovy Vary ausgezeichnet.
Trotz – oder auch gerade wegen – seines Gruselfaktors, sagte der Filmjournalist und Historiker Andreas Kötzing MDR KULTUR. "Jeder der sich daran erinnert und den Holländer-Michel als Figur hört, hat sofort Erwin Geschonneck vor dem geistigen Auge mit seinem deformierten Gesicht und seinem Glasauge."
Besonders der Holländer-Michel mit seinem Glasauge (Erwin Geschonneck) sorgte für viel Grusel.Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNKIm Schwarzwald spielt sie sich ab – die Geschichte des armen Köhlers Peter Munk, der ein liebenswerter Mensch ist, bis er sein Herz verliert und nicht nur zum reichen Geizhals, sondern gar zum Mörder wird. Seine Armut treibt ihn um – er möchte reich werden, um das Herz von Lisbeth zu erobern und lässt sich schließlich auf den finsteren Holländer-Michel ein, der ihm Reichtum verspricht – dafür möchte er aber sein Herz haben.
Gedreht wurde das Märchen aus dem Schwarzwald allerdings für den DEFA-Film in Thüringen – und die Spezialeffekte nach höchstem technischen Fortschritt der 50er-Jahre kamen aus den Babelsberger Filmstudios, und zogen das damalige Publikum in den Bann.
Für seine große Liebe Lisbeth (Hanna Rucker) möchte der arme Köhler Peter Munk (Lutz Moik) reich werden – und lässt sich auf das Böse ein.Bildrechte: IMAGO / United ArchivesSpezialeffekte der 50-er Jahre machen Film erfolgreich
Für seine Zeit fuhr "Das kalte Herz" enorme technische Mittel auf – vor allem im Bereich der Tricktechnik. Hier wird mal eben der Riese Holländer-Michel auf Menschengröße geschrumpft, der gute Waldgeist, das Glasmännchen, verwandelt sich in ein Eichhörnchen, und aus einem harmlosen Stock wird plötzlich eine gefährliche Würgeschlange.
Was aus heutiger Sicht antiquiert wirkt, war in den 50er-Jahren modernste Tricktechnik, in die man viel Geld investiert habe, so Filmjournalist Kötzing. Er sieht in den Spezialeffekten einen entscheidenden Faktor für den Erfolg des Films. Besonders führend dabei war der Experte für Tricktechnik in Babelsberg, Ernst Kunstmann.
"Das kalte Herz" musste dabei ganz ohne digitale Raffinesse auskommen, vielmehr wurde hier analoge Handarbeit angewendet, betont der Filmhistoriker Ralf Schenk. So wurde der Riese Holländer-Michel geschrumpft, in dem man ihn auf einem – für das Publikum nicht sichtbaren – Schienenwagen platzierte und ihn immer näher an den Kohlen-Peter heranfuhr. "Von den etwa 400 Einstellungen, die es im 'Kalten Herzen' gibt, sind etwa 80 mit Trick verbunden. So viele wie vorher noch nie in einem DEFA-Film."
Von den etwa 400 Einstellungen, die es im 'Kalten Herzen' gibt, sind etwa 80 mit Trick verbunden. So viele wie vorher noch nie in einem DEFA-Film.
Teure Produktion und Ende für Regisseur Verhoeven
Dieser enorme technische Aufwand führte letztlich dazu, dass der DEFA-Film statt eingeplanten drei Millionen tatsächlich vier Millionen Mark kostete. Damals gab es selbst innerhalb der DEFA-Belegschaft heftigen Unmut über den teuren Horrorfilm. Regisseur Verhoeven sollte deswegen nie wieder für eine DEFA-Produktion engagiert werden.
Schauspieler Erwin Geschonneck verteidigte das Werk und die handwerkliche Leistung, die dahinter steckt, etwa die von Kameramann Bruno Mondi: "Das Grausige gehört nun mal zu den Märchen, wie das Gute auch dazu gehört. Der Mondi, einer der besten Operateure damals, der machte eine Palette mit vielen zuckenden Herzen." Diese waren gefüllt mit einer roten Flüssigkeit. Hinter der Wand habe ein Mensch mit einer Luftpumpe gestanden und sie immer wieder auf und niedergepumpt. "Das sah sehr dramatisch aus. Da haben sich Kinder davor gefürchtet."
Was Wilhelm Hauffs Märchen erzählen sollte
Der Schriftsteller Wilhelm Hauff reagierte mit "Das kalte Herz" auf die Veränderungen durch die Industrialisierung.Bildrechte: IMAGO / agefotostockWilhelm Hauff, 1802 in Stuttgart geboren, wuchs auf in armen Verhältnissen. 1825 verfasste er sein erstes Märchenbuch, das u.a. "Die Geschichte vom kleinen Muck" enthielt. In der Folge wurde er ein bekannter Autor. Nur wenige Tage vor seinem 25. Geburtstag starb er an Typhus. In seinen wenigen Lebensjahren veröffentlichte Wilhelm Hauff Romane, viele Erzählungen und Lieder sowie drei Märchen-Sammlungen mit bis heute bekannten Märchen wie "Das kalte Herz". Es gilt als eines der bekanntesten Kunstmärchen der Romantik und Ausdruck einer Zeit, in der sich die industrielle Revolution Bahn brach, worauf Schriftsteller wie Hauff mit einer Besinnung auf die wahren Werte, das Seelenleben und mit Magie reagierten: "Es ist doch besser zufrieden zu sein mit Wenigem, als Gold und Güter zu haben und ein kaltes Herz", schreibt Hauff in der Erzählung.
SED-Führung: Zu gruselig für die Jugend der DDR
Der Gruselfaktor zeichnet "Das kalte Herz" bis heute aus – und das lag nicht zuletzt an Erwin Geschonnecks Verkörperung des skurrilen Holländer-Michels, der die Herzen der Menschen sammelt, um sie durch Steine zu ersetzen. Dass er letztlich so gruselig geworden sei, liegt vor allem an Regisseur Verhoeven und Kameramann Mondi, meint der Filmjournalist Kötzing. Beide wurden Anfang des 20. Jahrhunderts geboren und wurden entscheidend geprägt durch das expressionistische Kino der Weimarer Republik, an das die Grusel-Szenen erinnerten.
Es ist eine offene Frage, ob der Film trotz oder wegen seiner Gruselelemente so erfolgreich war.
Die DEFA selbst habe keine Intention gehabt, den Film möglichst gruselig zu machen, betont Kötzing. Ganz im Gegenteil: In der Zeitschrift "Neues Deutschland" kritisierte die SED-Führung gar den Film dafür, dass er für ein junges Publikum zu gruselig sei. "Vielleicht hat man damals unterschätzt, wie angsteinflößend der Film für Kinder ist", so Kötzing. Für ihn stellt sich bis heute die Frage, "ob der Film trotz oder wegen seiner Gruselelemente so erfolgreich war".
"Das kalte Herz" als Kapitalismuskritik der DDR
Aus dem Kohlenmunk-Peter wird in der Erzählung ein piekfeiner, eiskalter – und reicher – Fiesling, der aus Geiz und Wut gar seine geliebte Lisbeth erschlägt. Die DEFA verfolgt mit dem Film eine Läuterungsgeschichte und Kapitalismuskritik, sagt Kötzing: "Geld verdirbt den Charakter". Der Film, nur fünf Jahre nach dem Krieg entstanden, lässt aber auch noch eine andere Interpretation zu: eine Parabel über Schuld und Sühne der Deutschen.
Peter fragt den guten Waldgeist um Hilfe, um sein Herz wiederzubekommen.Bildrechte: MDR/PROGRESS Film-Verleih/Erich KilianPeter will sein schlagendes Herz schließlich wiederhaben. Durch eine List und die Hilfe des guten Waldgeists holt er es sich zurück – und will ein neues Leben beginnen. Der Filmhistoriker Ralf Schenk interpretiert die Handlung so: "Wie kann jemand, der mit Mord ja letzten Ende auch sein Leben verbaut hat, wieder erlöst werden? Der Film bietet als Lösung die tätige Arbeit an." So spricht Peter mit dem guten Waldgeist darüber, wie er weiterleben soll. Er rät ihm, mit denen zu leben, die zu ihm gehören.
Kann ich denn noch einmal ein anderes Leben beginnen?
Versuch es!
Was muss ich tun, damit sie mich wieder lieben?
Leben mit denen, die zu dir gehören. Schaffe für sie!
Der Märchenfilm verfolgt damit einen finale Auftrag und zeigt Vergebung als Happy End. Denn am Ende erwacht sogar wieder Lisbeth zum Leben.
Neuverfilmungen können DEFA-Fassung nicht ersetzen
Hauffs Erzählung fasziniert bis heute Filmemacherinnen und Filmemacher – nach 1950 versuchten weitere sechs Verfilmungen den großen Erfolg von "Das kalte Herz" zu wiederholen, wie etwa 2014 das ZDF in seiner Reihe "Märchenperlen" oder 2016 der Regisseur Johannes Naber, der die Hauff-Geschichte unter anderem mit Frederick Lau, Henriette Confurius und Moritz Bleibtreu verfilmte – ohne Schwarzwald-Folklore, dafür mit verstärkt antikapitalistischer Ausrichtung. Einen ähnlichen Einschlag in die Herzen des Publikums erreichten sie allerdings nicht.
Ich glaube es ist schwierig, heute nochmal so etwas Neues zu schaffen.
"Ich glaube es ist schwierig, heute nochmal so etwas Neues zu schaffen", meint der Filmjournalist Andreas Kötzing. "'Das kalte Herz' hat damals durch diesen Schritt in die Farbwelt und die technischen Animationen das Publikum beeindruckt, das kann man heute nicht mehr 1:1 nachholen."
2016 wurde "Das kalte Herz" mit Moritz Bleibtreu als Holländer-Michel neuverfilmt.Bildrechte: MDR/SWR/Schmidtz Katze FilmkollektivDabei sieht er die Geschichte der Erzählung als überaus zeitlos an. Und auch die neuen Verfilmungen würden nicht am Gruselfaktor sparen, nur würden Elemente wie die pochenden Herzen an der Wand, nicht mehr beeindrucken. Unsere Sehgewohnheiten haben sich schlicht verändert. Der DEFA-Film von 1950 wird seine Faszination behalten, ist sich Kötzing dennoch sicher. Und das habe vor allem mit seiner Rolle zu tun, die er in der Filmgeschichte gespielt hat – auch heute noch 75 Jahre nach seinem Erscheinen.
Quelle: MDR KULTUR (Thomas Bille), Redaktionelle Bearbeitung: gw
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke