Kultureller Kahlschlag: Als die DDR das "Yeah Yeah Yeah" verbot
- Die freie Kunst sei das wichtigste Korrektiv der Gesellschaft, findet Historiker Ilko Sascha Kowalczuk.
- 1965 ging die Staatspartei SED massiv gegen die Kunstfreiheit in der DDR vor und entzog u.a. vielen Gitarrenbands die Spielerlaubnis.
- Bücher und Filme konnten teilweise erst nach der Wende veröffentlicht werden.
Das sogenannte "Kahlschlagsplenum" der SED 1965 zeigt uns heute, wie notwendig die Freiheit der Kunst in einer Gesellschaft ist. So sieht es der Historiker Ilko Sascha Kowalczuk. Freie Künste, die nicht an Vorgaben gebunden sind, würden auch sich selbst hinterfragen, denn "wie frei kann eigentlich eine Kunst wirklich sein, wenn sie staatlicherseits gefördert wird".
"Das sind handfeste politische Probleme, mit denen wir uns auch heute auseinandersetzen müssen – und viel stärker auseinandersetzen sollten", fordert Kowalczuk bei MDR KULTUR. Kunst sei das wichtigste gesellschaftliche Korrektiv, "weil hier eben alles möglich ist und weil hier auch alles diskutiert werden kann, auf allen möglichen Ebenen". Jede Gesellschaft, jeder Staat, der versuche, den Freiheitsdrang und die Entfaltungsmöglichkeiten von Kunst zu behindern, ist aus Sicht des Historikers "verdammt, selbst unterzugehen".
SED-Chef Walter Ulbricht wollte Westen nicht kopieren
"Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, kopieren müssen?", so der erste Mann der DDR-Staatspartei SED, Walter Ulbricht, am 18. Dezember 1965. "Ich denke, Genossen, mit der Monotonie, mit dem 'Yeah, Yeah, Yeah' und wie das alles heißt, sollte man doch Schluss machen". Heute ist man geneigt, darüber zu lachen. Doch damals war das alles andere als lustig. Walter Ulbricht gab diese Sätze auf dem berühmt-berüchtigten 11. Plenum des Zentralkomitees der SED von sich. Besser bekannt als "Kahlschlagplenum".
Ich denke, Genossen, mit der Monotonie, mit dem "Yeah, Yeah, Yeah" und wie das alles heißt, sollte man doch Schluss machen.
"Unsere Deutsche Demokratische Republik ist ein sauberer Staat" – Erich Honecker holte als Walter Ulbrichts Stellvertreter 1965 zum Rundumschlag gegen die Kultur aus.Bildrechte: IMAGO / Sven SimonKein Platz für kritische Auseinandersetzung mit der DDR
Damals ging die SED-Führung gegen die Kulturschaffenden vor, die sich kritisch mit dem Leben in der DDR auseinandergesetzt hatten. Das betraf Filmemacher wie Kurt Maetzig und Schriftsteller wie Stefan Heym, Werner Bräunig und Wolf Biermann. Es betraf aber auch dutzende Bands, die sich dem Beat verschrieben hatten. Reihenweise hagelte es Verbote.
Nicht aus der Reihe tanzen: Jugendliche beim Deutschlandtreffen der FDJ in Ostberlin 1964Bildrechte: IMAGO / Klaus RoseNach Liberalisierung folgte wieder strenge Hand
Tatsächlich hatte sich nach dem Mauerbau, Anfang der 1960er-Jahre, von der SED-Führung gefördert, eine Liberalisierung angebahnt. Im Radio, beim Jugendstudio DT64 wurde Beatmusik gespielt und locker moderiert. Auch literarisch und filmisch atmete die DDR auf – Tauwetter.
Doch der Wind drehte sich – und zwar zunächst in Moskau, wo es im Oktober 1964 zu einer Palastrevolte kam. Der reformerische KP-Chef Nikita Chruschtschow wurde von einer Riege von Apparatschiks unter Führung von Leonid Breschnew gestützt. Das bedeutete dann in der Folge auch das Aus für die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Reformen, die SED-Chef Walter Ulbricht in der DDR in Gang gesetzt hatte. Die stießen nicht nur zunehmend in Moskau, sondern auch SED-intern auf Widerstand. Wortführer war ausgerecht Ulbrichts Ziehsohn Erich Honecker, der zweite Mann im SED-Staat.
Der Anfang vom Abschied: Liedermacher Wolf Biermann hatte nach dem 11. Plenum des ZK der SED 1965 Publikations- und Auftrittsverbot.Bildrechte: IMAGO/United ArchivesUnd Honecker war es auch, der im Dezember 1965 beim 11. Plenum des Zentralkomitees der SED das Hauptreferat hielt. Gleich die ersten Sätze hatten es in sich: "Unsere Deutsche Demokratische Republik ist ein sauberer Staat. In ihr gibt es unverrückbare Maßstäbe der Ethik und Moral, für Anstand und gute Sitte. In den letzten Monaten gab es einige Vorfälle, die unsere besondere Aufmerksamkeit erforderten. Einzelne Jugendliche schlossen sich zu Gruppen zusammen und begingen kriminelle Handlungen."
Leipziger "Beatkrawalle" – "Das ist doch alles Dreck!"
Honecker spielte auf die sogenannten Leipziger "Beatkrawalle" am 31. Oktober 1965 an, als etwa 1.000 Jugendliche gegen das Verbot von dutzenden Beatbands friedlich demonstrierten. Schuld an diesem "Exzess" war – wie üblich – der Westen mit seinen Medien.
Doch Honecker attackierte auch den vermeintlichen Feind im Innern: "Wir stimmen jenen zu, die feststellen, dass die Ursachen für diese Erscheinungen der Unmoral und einer dem Sozialismus fremden Lebensweise auch in einigen Filmen, Fernsehsendungen, Theaterstücken, literarischen Arbeiten und in Zeitschriften bei uns zu sehen sind."
Nach Honeckers Rede fühlten sich nun auch die Delegierten aus den hinteren Reihen des Zentralkomitees wie die Leiterin der Frauen-Kommission, Inge Lange, berufen, den Kulturschaffenden scharfe Vorwürfe entgegenzuschleudern: "Das ist doch alles Dreck! Sowas hats doch noch nie gegeben!" Gemeint war in dem Fall der Film "Das Kaninchen bin ich" von Kurt Maetzig, der so wie die gesamte Filmproduktion des Jahres 1965 im Anschluss verboten wurde.
In "Das Kaninchen bin ich" geht eine 19-jährige Kellnerin (Angelika Waller) eine Affäre mit einem linientreuen Richter (Alfred Müller) ein. Mit Kurt Maetzigs Film wurde ein ganzer Filmjahrgang als "Kaninchenfilme" aus dem Verkehr gezogen.Bildrechte: DEFA Stiftung, Jörg ErkensKunst mit "falscher politischer Konzeption" in der DDR abgelehnt
Im Fokus der Kampagne stand unter anderem der junge Autor Werner Bräunig wegen seines Wismut-Bergbau-Romans "Rummelplatz", bis dahin allerdings nur auszugsweise veröffentlicht. Bräunig hatte die Verfehlung begangen, die Wismut-Kumpel zwar als gutwillige, aber doch recht derbe Gesellen zu schilden. Das entsprach nicht dem Bild, das die SED vom Arbeiter propagiert wissen wollte. Der Leipziger SED-Chef Paul Fröhlich sagte damals "Kann man nun dem Genossen Bräunig Talent absprechen? Keinesfalls. Aber weil er eine falsche politische Konzeption hat, weil er … liebäugelt mit Kunst und Stilformen des Westens…, sind die Ergebnisse dieser Arbeit antisozialistisch."
Weil er eine falsche politische Konzeption hat, sind die Ergebnisse dieser Arbeit antisozialistisch.
Antisozialistisch, volksfeindlich, Liebäugeln mit dem Klassenfeind im Westen. Das sind existenziell gefährdende Vorwürfe. Kritik und Selbstkritik werden eingefordert, ein berüchtigtes Prozedere, nicht zuletzt unter dem sowjetischen Diktator Josef Stalin.
Autor Werner Bräunig hat sich von der staatlichen Kampagne gegen ihn nie erholt. Gerade feiert die Opernfassung seines Wismut-Romanes "Rummelplatz" Erfolge an der Oper Chemnitz.Bildrechte: Nasser HashemiRoman erscheint erst nach dem Ende der SED-Diktatur
Für manche der Attackierten hatte das Plenum bittere Folgen. So wurde der stellvertretender Kulturminister und Leiter der "Hauptabteilung Film", Günther Witt, aus seinem Amt entlassen. Und schlimmsten traf es den jungen Schriftsteller Werner Bräunig. Der Parteischelte auf dem Plenum folgte eine organisierte Zeitungs-Kampagne. Bräunig, der Sozialist, der davon überzeugt war, im Sinne des Sozialismus zu schreiben, zerbrach an der Auseinandersetzung um seinen nicht gedruckten Roman. Er floh in den Alkohol, starb 1976, mit 42 Jahren, in Halle-Neustadt.
Erst 2007, 17 Jahre nach dem Ende der SED-Diktatur, erschien sein Roman "Rummelplatz". Und wurde ein großer Erfolg. Zu erleben ist Bräunigs Werk übrigens auch gerade als Opernadaption von Ludger Vollmer (Komposition) und Jenny Erpenbeck (Libretto) in Chemnitz.
Quellen: MDR KULTUR (Stefan Nölke, Sven Hecker)
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