Der harte Kampf um körperliche Selbstbestimmung
- Ärztin Kristina Hänel findet es veraltet, dass die Politik noch immer über Körper von Frauen bestimmt.
- Der Deutsche Frauenrat beobachtet, dass bei Debatten über Frauenrechte Stimmungsmache häufig Fakten verdrängt.
- Soziologin Jutta Allmendinger beobachtet eine Retraditionalisierung der Gesellschaft und die Gefahr, dass Frauen lernten, den Mund zu halten.
"Kindsmörderin", "radikal linke Lebensfeindin" – so war Frauke Brosius-Gersdorf unter anderem genannt worden. Angefeuert von Abtreibungsgegnern, die dazu aufgerufen hatten, sich vor der Richterwahl bei Unionsabgeordneten zu melden.
Kristina Hänel kennt diese Dynamik. 2018 wurde sie als Ärztin angeklagt, weil sie auf ihrer Praxiswebsite über Schwangerschaftsabbrüche informiert hatte. Von der jetzigen "Schmutzkampagne", wie Hänel es nennt, bleibt: "Dass Frauenkörper und ungewollte Schwangerschaften immer noch ein Spielball in der Politik sind, ist frustrierend, weil die Hälfte der Bevölkerung weiblich ist oder einen Uterus hat." Dass der Staat über einen Teil ihres Körpers bestimmt, findet die Ärztin nicht in Ordnung: "Das passt nicht mehr in unsere Welt."
Von ihrer Kollegin Mandy Mangler, kommt ebenfalls scharfe Kritik an der öffentlichen Kampagne gegen Brosius-Gersdorf. Sie zeige, wie schnell engagierte Frauen diskreditiert würden, sobald sie sich politisch positionierten. Mandy Mangler ist Gynäkologin und Chefärztin bei Vivantes in Berlin und findet deutliche Worte: "Ich finde das schlimm, dass eine Frau, die sich für uns als zivilisierte Gesellschaft eingesetzt hat, so derart behandelt wird. Also da sind wir im Mittelalter nah dran an der Hexenverbrennung. Das zeigt mir nur, welchen weiten Weg wir noch zu gehen haben und dass wir da immer dranbleiben müssen, damit die steile These umgesetzt werden kann, die steile These, dass Frauen auch Menschen sind."
Auch eine repräsentative Umfrage im Auftrag des Bundesfrauenministeriums vom vergangenen Jahr zeigt: 80 Prozent der Bevölkerung halten es für falsch, dass ein Schwangerschaftsabbruch als rechtswidrig gilt – selbst bei den Unionswählern sind es knapp 78 und bei Anhängern der katholischen Kirche 65 Prozent.
Meinungsmache schlägt Fakten
Beate von Miquel ist Vorsitzende des Deutschen Frauenrats und erklärt, dass der Kampf um körperliche Selbstbestimmung von Frauen schon sehr alt sei: "Seit mehr als 150 Jahren streiten wir darum und das ist immer wieder Thema von Kulturkämpfen."
Nach ihren Worten beobachtet der Deutsche Frauenrat immer wieder, dass zu Themen, die Frauenrechte betreffen, immer wieder schnell Stimmung gemacht wird: "Fakten kommen da oftmals nicht mehr an." Das sei sowohl in Deutschland als auch international zu beobachten.
Von Miquel nennt es deshalb "problematisch", wenn angebliche Meinungen genutzt werden, um Empfehlungen aus der Wissenschaft abzulehnen. Wie auch die von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission, in der Brosius-Gersdorf Mitglied war. Die Kommission hatte sich ebenfalls für eine Legalisierung von Abtreibungen in der frühen Schwangerschaft ausgesprochen.
Retraditionalisierung der Gesellschaft
Jutta Allmendinger findet es grundsätzlich legitim, dass Parteien solchen Empfehlungen nicht immer folgen. Sie ist unter anderem Mitglied des Wissenschaftsrats der deutschen Bundesregierung und Teil der Ethikkommission – möchte sich bei diesem Thema aber privat äußern. Der Fall Brosius-Gersdorf ist für sie auch ein Angriff auf die Wissenschaft: "Das war für mich eine öffentliche Demontage."
Der Fall hätte auch eine hohe Wirkung auf ihre Studierenden gehabt: "Weil wir die Studierenden immer darauf orientieren möchten, dass sie nicht im Elfenbeinturm der Wissenschaft bleiben, sondern auch in die Gesellschaft hinein vermitteln. Wenn eine bedeutende Staatsrechtslehrerin, die wissenschaftlich makellos ist, öffentlich demontiert wird, hat das auf alle, die etwas zu sagen haben, einen großen, verstummenden Einfluss."
Allmendinger beobachtet gerade eine Retraditionalisierung der Gesellschaft, die viele Wissenschaftlerinnen schon während Corona prognostiziert haben: "Wir haben im Moment einen Bundeskanzler, der nicht bekannt ist dafür, dass er eine progressive Frauenpolitik macht. Was wir lernen, ist, dass wir unseren Mund zu halten haben. Das ist genau das, was wir nicht lernen sollten."
Frauke Brosius-Gersdorf selbst hatte im Oktober der Wochenzeitung "Die Zeit" gesagt, sie hadere immer noch mit der Entscheidung, ihre Kandidatur zurückzuziehen – weil sich damit letztlich unsachliche Kampagnen durchgesetzt hätten.
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