Umgangsrecht trotz Gewalt: Frauen werden systematisch benachteiligt
- Gerichte entziehen selbst bei dokumentierter psychischer und physischer Gewalt von Vätern gegenüber Müttern und Kindern nur selten das Umgangsrecht.
- Frauen werden oftmals schlechte Absichten unterstellt, die Beweislast liegt bei ihnen.
- Studien zeigen, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert werden.
Jährlich werden rund 149.000 Sorge- und Umgangsrechtverfahren an deutschen Gerichten verhandelt. Nur selten wird Vätern das Umgangsrecht entzogen. Doch im Jahr 2023 hat das Thüringer Oberlandesgericht genau das getan. Der Grund: psychische und physische Gewalt, Todesdrohungen und die Selbstaussagen der jugendlichen Kinder, sie hätten Angst vor ihm. Der Vater geht in Revision.
Im Juni dieses Jahres erklärte das Bundesverfassungsgericht das Urteil für unzulässig. Gewalt sei nicht automatisch kindeswohlgefährdend, dem Vater würde das Grundrecht auf Umgang verwehrt.
Gewaltschutz zweitrangig
Müserref Tanriverdi vom Deutschen Institut für Menschenrechte sagt: "Leider ist das sehr repräsentativ. Das wissen wir aus Studien aber auch aus Praxisberichten, dass die Gewaltschutzinteressen des betroffenen Elternteils nicht ausreichend berücksichtigt werden. Wir können sogar sagen, dass die Entscheidungen oft geprägt sind von schädlichen Stereotypen, wenn nicht gar von frauenfeindlichen Narrativen." Das läge zum einen an den gesetzlichen Regelungen. So zum Beispiel an der Regelvermutung, die sagt, dass der Umgang mit beiden Eltern "in der Regel" dem Kindeswohl dienlich ist. Auch dann, wenn ein Elternteil gegenüber dem anderen gewalttätig ist.
Juliane Kremberg von der Frauenkoordinierungsstelle sagt, die Studienlage sei klar. Man könne da nicht differenzieren. Für die Kinder seien "Angriffe, Demütigungen, Gewalt gegenüber der primären Bezugsperson, eben häufig der Mutter, als Gewalt am Kind" selbst zu bewerten.
Mütter geraten vor Familiengerichten unter Verdacht
Auch die Wohlverhaltensklausel wird meist gegen die Mütter interpretiert. Sie besagt: Beide Elternteile müssen sich kooperativ zeigen. Die Bedenken und Berichte der Mütter würden dabei bagatellisiert oder ignoriert, sagt Tanriverdi vom Deutschen Institut für Menschenrechte: "Was oft berichtet wird aus der Praxis, aber Studien belegen das auch, dass erst einmal davon ausgegangen wird, es geht hier in erster Linie darum, dem Vater zu schaden, es geht darum, dass der Umgang des Vaters mit dem Kind nicht stattfinden soll." Es werde oft sehr negativ im Sinne der Mutter ausgelegt.
Im Moment sind die Frauen in der Situation, dass sie in der Bringschuld sind.
Wie sich die Väter vor der Trennung um ihre Kinder gekümmert haben, interessiere wenig, sagt Kremberg von der Frauenkoordinierungsstelle. Auch nicht, wie der Umgang dann tatsächlich umgesetzt wird. Und auch nicht, ob sie Verantwortung für ihr gewaltvolles Verhalten übernehmen, etwa durch eine Täterberatung. "Es ist so, dass wir halt unterschiedliche Anforderungen, was die Verantwortungsübernahme angeht, sehen. Im Moment sind die Frauen in der Situation, dass sie in der Bringschuld sind, nachzuweisen, dass sie nicht das Kindeswohl gefährden."
Diskriminierung aufgrund des Geschlechts
Denn nicht wer Gewalt ausübt, gefährdet das Kindeswohl, sondern wer den Umgang anfechtet. Das Signal an die Gesellschaft, aber auch an die Kinder sei, sagt Kremberg: Gewalt hat keine Konsequenzen. Was geahndet wird, sei der Versuch, sich zu schützen. Zahlreiche Studien belegen: die Rechtslage und Auslegung bei Umgangsregelungen im Falle häuslicher Gewalt hat eine diskriminierende geschlechtsspezifische Dimension. Auch die neuesten Zahlen des Bundeskriminialamtes zeigen die Gefahrenlage. Immer wieder werden die gleichen Handlungsempfehlungen formuliert und Reformen angesetzt.
Und doch sagt Müserref Tanriverdi vom Deutschen Institut für Menschenrechte: "Trotz dieses erschreckenden Ausmaßes der Gewalt, fehlt meines Erachtens sowohl in Politik, Verwaltung und Justiz ein Verständnis dafür, dass geschlechtsspezifische Gewalt Ausdruck eines gesellschaftlich verankerten Machtverhältnisses ist." So lange dieses Verständnis fehle, werde es schwierig, Frauen und Kinder besser vor Gewalt zu schützen.
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