Nach Merz-Appell: Arbeiten die Deutschen wirklich zu wenig?
- In Polen werden pro Person fast 300 Arbeitsstunden im Jahresschnitt mehr gearbeitet als in Deutschland.
- Frauen arbeiten häufig in Teilzeit, übernehmen jedoch einen größeren Anteil der Sorgearbeit und Kinderbetreuung.
- Forscherin Yvonne Lott fordert daher, dass partnerschaftliche Arbeitszeitmodelle von der Politik gefördert werden.
Ob die Deutschen zu wenig arbeiten, kommt auf den Blickwinkel an, sagt Timon Hellwagner. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Es sei richtig, dass die durchschnittliche Arbeitszeit pro Erwerbstätigen in Deutschland sinke.
"Gleichzeitig ist es aber so, dass wir einen Rekord an Erwerbstätigen in Deutschland haben. Es haben noch nie so viele in Deutschland gearbeitet und wir wissen auch, dass das Arbeitsvolumen, also die Summe aller gearbeiteten Stunden in Deutschland auf einem sehr hohen Niveau liegt, fast auf einem Rekordniveau."
Mehr Arbeitsstunden pro Kopf in Polen
Holger Schäfer ist Arbeitsmarktökonom am Institut der deutschen Wirtschaft und hat aktuelle Zahlen ausgewertet. Auf 1.036 Arbeitsstunden kamen die Deutschen 2023 im Schnitt pro Kopf. Die Polen dagegen zum Beispiel auf 1.304 Stunden. Zwar sage Arbeitszeit allein nichts über Produktivität aus: "Aber wir stehen doch jetzt vor der Herausforderung, dass demografisch bedingt, das Arbeitskräftepotenzial in Deutschland in den nächsten Jahren sehr viel kleiner werden wird."
Demografisch bedingt wird das Arbeitskräftepotenzial in Deutschland in den nächsten Jahren sehr viel kleiner werden.
Fehlende Fachkräfte müssen seiner Ansicht nach deshalb durch Zuwanderung, höhere Erwerbsbeteiligung und längere Arbeitszeiten kompensiert werden. Dazu gehöre eben auch, länger zu arbeiten. "Das heißt ja nicht, dass individuell derjenige, der jetzt 40 Stunden arbeitet, 45 Stunden arbeiten soll. Sondern die kurze, durchschnittliche Arbeitszeit in Deutschland ist ja im Wesentlichen das Resultat eines hohen Teilzeitanteils."
Frauen häufig mehrfach belastet
Teilzeitbeschäftigte – das sind in Deutschland überwiegend Frauen, noch immer vor allem im Westen, wo die Kinder oft länger zu Hause betreut werden, sagt Yvonne Lott. Sie forscht zur Arbeitszeit im Referat Geschlechterforschung am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung:
"Es wird immer so getan, als hätten Frauen oder Teilzeitbeschäftigte allgemein so ein Riesenzeitvolumen, ein ungehobenes, würden nur auf der Couch sitzen und könnten doch gut nochmal eins, zwei, drei Stunden mehr arbeiten im Job, aber das Gegenteil ist ja der Fall." Denn wenn man zum Beispiel die unbezahlte Pflege von Angehörigen und Kinderbetreuung auch mit einberechnen würde, arbeiten Frauen pro Woche durchschnittlich sogar eine Stunde mehr als erwerbstätige Männer.
Lott: Männer müssen mehr Aufgaben übernehmen
Lott findet es deshalb falsch, nur die Mütter anzusprechen: "Die Männer müssen einfach ein bisschen mehr auch im Privaten machen, damit die Frauen ihre Arbeitszeit ausweiten können. Weil sonst ist es ja nur eine noch stärkere Doppelbelastung und Überforderung von Frauen mit allen gesundheitlichen Risiken, wenn wir jetzt einfach sagen, die Arbeitszeiten müssen sich im Job verlängern, aber die Verteilung von der unbezahlten Arbeit ist die gleiche."
Die Männer müssen einfach ein bisschen mehr auch im Privaten machen, damit die Frauen ihre Arbeitszeit ausweiten können.
Sie fordert deshalb eine Politik, die partnerschaftliche Arbeitszeitmodelle fördert, statt nur mehr Arbeitsstunden fordert.
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