Die Mehrheitsbeschaffer
Die Fraktionschefs Spahn und Miersch müssen künftig die Mehrheiten der schwarz-roten Koalition sichern. Das wird keine leichte Aufgabe. Wie passen die beiden unterschiedlichen Typen zueinander?
Nach der verpatzten ersten Runde der Kanzlerwahl für Friedrich Merz fielen ihre Namen zwar nicht so häufig, und doch geht dieser historische Misserfolg für einen Kanzler auch mit den beiden neuen Fraktionsvorsitzenden der Koalition nach Hause: Jens Spahn (CDU) und Matthias Miersch (SPD) teilen sich nämlich vor allem die Aufgabe der Mehrheitsbeschaffer. Kein leichter Job bei einer derart knappen Mehrheit von 12 Stimmen für Schwarz-Rot im deutschen Bundestag.
Die Koalition hat sich gerade mit ihren Protagonisten Merz, SPD-Vizekanzler Lars Klingbeil, Miersch und Spahn ein schnelles, gutes Regieren vorgenommen, mit wenig Streit und wenn, dann konstruktiv. Und dann gleich zum Auftakt so eine Panne. Das kann ein Vorgeschmack für weitere schwierige Abstimmungen sein, bei denen Abgeordnete ihr Gewissen vor der Koalitionsdisziplin sehen. Allerdings sind nur Personalwahlen geheim, die künftigen Abstimmungen sind transparenter, wenn nicht sogar in Einzelfällen namentlich. Da hat dann eine knappe Mehrheit eher disziplinierende Wirkung.
"Muss noch wachsen"
Das Gelingen dieser Koalition wird auch vom Zusammenspiel von Miersch nun Spahn abhängen: "Im Augenblick ist unsere Zusammenarbeit sehr konstruktiv", sagt Miersch auf Nachfrage von tagesschau.de, aber das müsse alles noch wachsen. Man kann das auch daran erkennen, dass bei den ersten Regierungserklärungen von Merz und Klingbeil die jeweils andere Regierungsfraktion spärlich bis gar nicht klatschte. Ein harter Wahlkampf liegt schließlich gerade erst hinter den beiden Parteien, auch gegeneinander.
Bei der SPD ist die Aktion von Friedrich Merz, noch kurz vor der Bundestagswahl Ende Januar seinen Fünf-Punkte-Plan zur Migration im Bundestag zur Abstimmung zu stellen, nicht vergessen - er hatte dafür die Zustimmung der AfD-Abgeordneten in Kauf genommen. Die Union sei "aus der politischen Mitte dieses Hauses ausgebrochen", sagte dazu Miersch-Amtsvorgänger Rolf Mützenich. Das Vorgehen von Merz dazu war und ist auch unionsintern umstritten.
Alte Gräben zuschütten und gegenseitiges Vertrauen neu aufbauen, das müssen nun Spahn und Miersch leisten - zwei sehr unterschiedliche Politiker-Typen. Der 1968 geborene Miersch, von Haus aus Fachanwalt für Strafrecht, blieb im Bundestag lange ein Politiker der zweiten Reihe. Er gehört zur Parlamentarischen Linken der SPD-Fraktion und war ab 2017 Fraktionsvize unter Mützenich mit fachlichem Schwerpunkt auf Energie, Umwelt- und Klimaschutz.
Der Niedersachse gilt als enger Vertrauter von Lars Klingbeil, der ihn noch vor wenigen Monaten als Parteichef zum neuen SPD-Generalsekretär machte. Miersch wurde als Konsenskandidat der drei Fraktions-Flügel ausgewählt, nachdem der ehemalige Arbeitsminister Hubertus Heil seine Kandidatur zurückgezogen hatte. Er dürfte auch Klingbeils Präferenz gewesen sein.
Der 45-jährige Jens Spahn wiederum gehört nicht nur alterstechnisch schon zur nächsten Politiker-Generation, er verkörpert auch einen anderen Politikertypus mit Drang zum Rampenlicht. Er war bereits von 2018 bis 2021 Kabinettsmitglied in der Großen Koalition von Angela Merkel und unterstrich seinen politischen Gestaltungsanspruch 2018 mit einer Kandidatur um den CDU-Vorsitz als Merkel-Nachfolger - damals gegen Konkurrent Merz. Beide unterlagen Annegret Kramp-Karrenbauer, Spahn mit dem schlechtesten Ergebnis.
Nun konnte Spahn 90,4 Prozent der Fraktionsstimmen für sich gewinnen - und wird die neue Position als Chance sehen, die Fraktion als Machtfaktor aufzubauen, wenn auch nicht offen gegen Merz. Hier ist er jedenfalls mehr auf Augenhöhe im Vergleich zum Amt des der Kabinettsdisziplin unterliegenden Wirtschaftsministers, für das er ebenfalls gehandelt wurde.
Politisch lässt sich Spahn im rechten Lager der Union verorten, mit hartem Kurs in der Migrationspolitik und Verbindungen ins Lager des US-Präsidenten Donald Trump. Zuletzt hatte er auch in der eigenen Partei für Kontroversen gesorgt, indem er im April in einem Zeitungsinterview dafür warb, mit der AfD als Oppositionspartei in den Verfahren und Abläufen so umzugehen wie mit jeder anderen Oppositionspartei auch - und erwähnte hier konkret auch die Bundestagsausschüsse. Dies war allerdings noch vor der Bekanntgabe des Verfassungsschutzes, dass die AfD als gesichert rechtsextrem einzustufen sei. Die AfD klagt gegen diese Einstufung, bis zu einer Entscheidung hat der Verfassungsschutz die Einstufung vorläufig ausgesetzt.
Als Fraktionschef stellte sich Spahn in dieser Woche deswegen hinter die gemeinsame Empfehlung von Union und SPD an die Abgeordneten, die AfD nicht in die Ausschussvorsitze zu wählen. Doch die Debatte um die richtige Strategie im Umgang mit der Partei wird der Unionsfraktion und damit auch der schwarz-roten Koalition erhalten bleiben: Die Union ringt intern spürbar um den Kurs.
Politisch verschieden gelagert, aber pragmatisch
Beim Thema AfD hat man sich vorerst geeint. Wie die zwei Fraktionschefs aus sehr unterschiedlichen politischen Lagern insgesamt zusammen können, wird sich zeigen.
Politikprofis sind beide - und beide gelten als pragmatisch. Spahn konnte in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD den damit unerfahrenen Merz beeindrucken, heißt es. Miersch wiederum wird auch von Unionspolitikern als zuverlässig eingeschätzt, mit dem man zu Ergebnissen kommen kann. In der Großen Koalition unter CDU-Kanzlerin Merkel waren Miersch und der heutige CDU-Generalsekretär und Merz-Vertraute Carsten Linnemann als Fraktionsvizes für Energiepolitik zuständig - und kamen immer wieder nach längerem politischem Streit zu Lösungen, etwa beim Mindestabstand für Windräder oder beim Ökostromausbau.
Mit Informationen von Sabine Henkel, Barbara Kostolnik und Julie Kurz, ARD-Hauptstadtstudio
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