Viele glauben, soziale Herkunft schlägt Leistung
- Die Bewertung, ob Herkunft oder Leistung stärker wiegt, ist auch abhängig von der eigenen sozialen Stellung.
- Zwei Drittel bewerten Bildungschancen in Deutschland als ungleich.
- 7 von 10 glauben, der soziale Aufstieg für die nächsten Generationen wird schwerer.
- Starkes Plädoyer für ein längeres gemeinsames Lernen.
Mehr als die Hälfte aller Befragten (53 Prozent) findet: Was man mitbekommt, wie man aufwächst, hat einen stärkeren Einfluss auf die Zukunftschancen, als das, was man selbst leistet. Diese Meinung vertritt auch MDRfragt-Teilnehmerin Sandy (40) aus Leipzig: "Die soziale Herkunft spielt derzeit leider eine enorm große Rolle. Wer aus 'ärmlichen' Verhältnissen kommt, kriegt keine Chancen auf einen sozialen Aufstieg. Bildung kostet leider Geld. Und wird ärmeren Menschen leider nicht kostenlos zur Verfügung gestellt."

Wiederum glauben 41 Prozent, die eigenen Anstrengungen zählen im Hinblick auf Zukunftschancen stärker als die soziale Herkunft. MDRfragt-Teilnehmerin Carmen (59) aus dem Vogtlandkreis teilt ihre Geschichte als Gegenbeispiel: "Trotz armer Verhältnisse, aus denen ich kam, standen mir alle Bildungswege offen. So habe ich einen tollen Beruf erlernt und mir einen guten Lebenskomfort geschaffen."
Herkunft vs. Leistung – abhängig von der eigenen sozialen Stellung?
In der aktuellen Umfrage haben die Befragten ihren eigenen sozialen Status selbst in eine der fünf Kategorien Oberschicht, obere Mittelschicht, Mittelschicht, untere Mittelschicht oder Unterschicht eingeordnet.
Bei der Frage, ob die soziale Herkunft oder die individuelle Leistung entscheidender für die Zukunft ist, zeigen sich Unterschiede, abhängig von der Selbsteinschätzung des eigenen sozialen Status: Je niedriger sich Befragte selbst in sozialen Schichten verorten, desto häufiger bewerten sie die Herkunft als wichtigeren Faktor.

Sechs von zehn Befragten (62 Prozent) die sich selbst in den unteren sozialen Schichten verorten, finden, dass die Herkunft wichtiger ist als die eigene Leistung. Bei Befragten, die sich selbst in der sozialen Oberschicht oder der oberen Mittelschicht kategorisieren, sehen nur knapp Vier von Zehn (39 Prozent) die soziale Herkunft als ausschlaggebender. Doch natürlich gibt es auch Ausnahmen, wie MDRfragt-Mitglied Oliver (42), der sich selbst in der oberen Mittelschicht einordnet und eigene Chancen seiner sozialen Herkunft zuordnet: "Es gab Situationen, in denen Geld oder Beziehung 'einen Weg' ermöglicht hat, der sonst nicht möglich gewesen wäre."
Chancengleichheit im Klassenzimmer? Fehlanzeige.
Bildung gilt als wichtiger Schlüsselfaktor für den sozialen Aufstieg. Doch nur knapp jede und jeder Dritte (30 Prozent) glaubt, Chancengleichheit im deutschen Bildungssystem ist derzeit gegeben.

Knapp sieben von zehn Befragten (68 Prozent) bezweifeln, dass das Schulsystem allen Kindern, unabhängig von sozialer Herkunft, gleiche Chancen auf Bildung bietet. MDRfragt-Mitglied Annette (61) schreibt: "Wenn man aus einer sozial schwachen Familie kommt, fehlt oft die Unterstützung der Familie bereits in der Schule. Der eigene Fleiß und die eigene Leistung müssen meiner Meinung nach deutlich höher sein, als wenn man aus einer sozial starken Familie kommt."
Zukunftsperspektive: Der soziale Aufstieg wird härter
Und auch der Blick in die Zukunft fällt kritisch aus: Die deutliche Mehrheit (72 Prozent) glaubt, die kommenden Generationen werden es schwerer haben, sozial aufzusteigen. Nur 13 Prozent der Befragten prognostizieren bessere Chancen auf einen sozialen Aufstieg und 15 Prozent können oder wollen auf diese Frage keine Antwort geben.

Nicole (21), Teilnehmerin aus der MDRfragt-Gemeinschaft, erklärt ihre negative Prognose so: "Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Kinder aus reichen Elternhäusern gehen in private Schulen. Zudem unterstützt das Netzwerk der Familien bei einem völlig anderen Einstieg ins Berufsleben“. MDRfragt-Mitglied Emily (29) aus Leipzig geht mit ihrer Meinung sogar einen Schritt weiter und sieht künftig auch die Erhaltung des sozialen Status in Gefahr: "Unsere Gesellschaft wird immer ungleicher, deswegen wird es schwerer aufzusteigen oder den Standard zu halten". Die Sorge um eine zunehmende soziale Spaltung ist nicht unbegründet: Studien zeigen, dass der Bildungserfolg in Deutschland stärker durch die soziale Herkunft beeinflusst wird, als in anderen westlichen Ländern. Im Umkehrschluss wird dadurch also auch ein sozialer Aufstieg erschwert.
Eine klare Mehrheit glaubt, dass der Weg nach oben für künftige Generationen schwieriger wird. Stellt sich also die Frage: Wie kann der soziale Fahrstuhl wieder in Gang gebracht werden?
Lösungsansätze für mehr Chancengleichheit
"Mit höheren Steuern für Vermögende könnte man viele der anderen Ideen finanzieren. Ansonsten ist besonders das längere, gemeinsame Lernen in durchmischten Gruppen sinnvoll. Wenn früh eine Differenzierung vorgenommen wird, ist es nur noch sehr schwer möglich wieder aufzusteigen im Bildungssystem, wodurch wiederum Abschlüsse und Berufschancen verbaut werden." Mit dieser Meinung ist Sophie (29) aus Halle auf einer Linie mit vielen weiteren MDRfragt-Mitgliedern. Viele sind der Meinung: Für mehr Chancengleichheit braucht es mehrere Maßnahmen – beispielsweise länger gemeinsam lernen, fairer verteilen und gezielt fördern.

Üblicherweise werden Kinder ab der 4. Klasse getrennt und auf weiterführende Schulen geschickt. Diese frühe Trennung kann bei Kindern und Eltern Stress erzeugen und trifft vor allem leistungsschwächere und sozial benachteiligte Kinder. Zwei Drittel der Befragten (66 Prozent) befürworten, dass alle Kinder länger gemeinsam lernen, bevor sie getrennt voneinander gefördert werden. MDRfragt-Mitglied Bernd (79) untermauert seine Unterstützung für ein längeres gemeinsames Lernen mit seiner eigenen Erfahrung: "Das habe ich in der DDR so erlebt und ich fände es gut, wenn das heute ebenso gehandhabt würde."
Mehr als die Hälfte (52 Prozent) der Befragten sprechen sich für höhere Steuern für Vermögende aus. Und 45 Prozent befürworten gezielte Förderungen in Form von individuellen (Bildungs-)Stipendien.
Wer steht hinter Stipendien – und warum?
"Wenn das Elternhaus nicht an Bildung interessiert ist, werden Kinder kaum mit Quoten oder staatlichen Maßnahmen zur Bildung finden." Dieser Hinweis von MDRfragt-Mitglied Bernd (69) aus dem Landkreis Görlitz legt den Finger in eine offene Wunde. Auch staatlichen Maßnahmen, die einer erhöhten Chancengleichheit dienen sollen, können in Abhängigkeit zur sozialen Herkunft stehen. So zeigt sich auch in den Befragungsdaten ein Zusammenhang: Die Zustimmung zu individuellen Förderprogrammen steigt mit der Selbsteinschätzung des eigenen sozialen Status.
Wer sich selbst in einer oberen Schicht einordnet, steht Stipendien am häufigsten positiv gegenüber.

Stipendien werden am häufigsten aus der Oberschicht oder der oberen Mittelschicht (57 Prozent) als Instrument zur Verringerung sozialer Ungleichheit befürwortet. Die größte Zustimmung zu individuellen (Bildungs-)Stipendien kommt also von Befragten, die sie monetär wahrscheinlich am seltensten brauchen würden. Befragte, die sich der Mittel- oder Unterschicht zuordnen, befürworten Stipendien mit jeweils über 40 Prozent.
Über diese Befragung
Die Befragung vom 16. bis 19. Mai 2025 stand unter der Überschrift: "Chance oder Hürde: Wie sehr prägt uns unsere Herkunft?".
Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen. Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ.
Bei dieser Befragung haben sich 19.376 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen online mit ihrer Meinung eingebracht.
Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein valides und einordnendes Stimmungsbild aus Mitteldeutschland. MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests.
Mehr zur Methodik von MDRfragt finden Sie am Ende des Artikels.
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