Merz hält an Zurückweisung Asylsuchender fest
Kanzler Merz und Innenminister Dobrindt setzen trotz eines Urteils weiter auf einen harten Kurs an den Grenzen. Grüne und Linke kritisieren das scharf - und auch aus der SPD kommt Kritik. Experten sehen rechtliche Hürden.
Die Bundesregierung wird laut Kanzler Friedrich Merz trotz des Rückschlags vor Gericht ihren Kurs verstärkter Kontrollen und Zurückweisungen an den deutschen Grenzen fortsetzen. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin hat "Spielräume hier möglicherweise noch einmal etwas eingeengt", sagte Merz auf dem Kommunalkongress des Deutschen Städte- und Gemeindebundes in Berlin. "Aber die Spielräume sind nach wie vor da. Wir wissen, dass wir nach wie vor Zurückweisungen vornehmen können", fügte der CDU-Chef hinzu.
Man werde dies "selbstverständlich im Rahmen des bestehenden europäischen Rechts" tun. Aber man werde die öffentliche Sicherheit schützen und das Land vor einer "Überlastung" bewahren. "Dies ist eine Aufgabe, der wir uns unverändert stellen wollen", betonte der Kanzler. Bis die europäischen Außengrenzen wirklich geschützt seien, müssten die Kontrollen an den Binnengrenzen aufrechterhalten werden.
Das Berliner Verwaltungsgericht hatte gestern im Eilverfahren drei Menschen aus Somalia Recht gegeben, die sich gegen ihre Zurückweisung ohne Dublin-Verfahren wehrten. Das Gericht erklärte ihre Zurückweisung für rechtswidrig. Ohne eine Klärung, welcher EU-Staat für ihren Asylantrag zuständig sei, dürften sie nicht abgewiesen werden, hieß es zur Begründung. Die Eilentscheidungen gelten nur für die drei Somalier - das Gericht machte aber deutlich, dass es die Zurückweisungen bei Grenzkontrollen in solchen Fällen allgemein für rechtswidrig hält.
Dobrindt: "Im Einklang mit EU-Recht"
Auch Bundesinnenminister Alexander Dobrindt betonte erneut, nach dem Urteil des Gerichts an seinem Kurs in der Asylpolitik festhalten zu wollen. An der Praxis, Schutzsuchende an den Grenzen abzuweisen, werde sich "aktuell" nichts ändern. Er sei überzeugt, "dass die Zurückweisungen in Einklang mit dem Recht sind", sagte der CSU-Politiker. Dabei berief er sich erneut auf Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Diese sogenannte Notlagenklausel erlaubt Ausnahmen, wenn es um die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit geht.
Dobrindt erklärte, es gebe durch irreguläre Migration eine Überforderung bei der Integrationsfähigkeit in den Kitas, den Schulen bis zum Gesundheitswesen. Dies könne man vor Gericht gegebenenfalls ausführlich nachweisen und damit auch die Zurückweisungen von Asylsuchenden juristisch besser begründen. Dobrindt hatte am 7. Mai eine Intensivierung der Grenzkontrollen verfügt und angeordnet, künftig auch Asylsuchende an der Grenze zurückzuweisen.
Experte: Notlagenklausel fraglich
Ob die Bundesregierung die Zurückweisungen von Asylsuchenden dauerhaft aufrechterhalten kann, ist nach Einschätzung von Migrationsrechtsexperten jedoch offen. Der Vorsitzende des Sachverständigenrats für Integration und Migration, Winfried Kluth, sagte der Nachrichtenagentur dpa, die Entscheidung des Berliner Gerichts liege "ganz auf der Linie der herrschenden Meinung im Migrationsrecht und der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs" (EuGH).
"Die neue Bundesregierung will die Rechtsprechung dazu bringen, ihren Standpunkt zu ändern," so der Migrationsrechtsexperte. Angestrebt würden Entscheidungen des EuGH, die mehr Spielräume böten.
Zudem werde versucht, unter Verweis auf die Überlastung der Kommunen eine neue Argumentation für die Interpretation der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit nach Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zu etablieren. "Ob man von der Lage in einzelnen Kommunen auf ganz Deutschland schließen kann, ist aber sehr fraglich", gab der Jurist zu bedenken.
Der aktuelle Fall werfe auch die Frage auf, wer die Feststellung treffen könne, dass eine Notlage im Sinne von Artikel 72 vorliegt. "Das ist eine Entscheidung von großer Tragweite", so der Jurist. Aus seiner Sicht müsste eine solche Entscheidung die gesamte Bundesregierung oder sogar der Bundestag treffen - ähnlich wie die Entscheidung über die epidemische Lage von nationaler Tragweite in der Corona-Pandemie.
"Bundesregierung wird alle Fälle verlieren"
Auch Migrationsforscher Gerald Knaus sieht das Konzept der Zurückweisungen an den deutschen Grenzen kritisch. "Alle Fälle, die vor Gericht kommen werden, wird die Bundesregierung verlieren bis hinauf zum Europäischen Gerichtshof. Die Frage ist nur, wie lange sie das noch durchziehen will", sagte Knaus im Podcast "5-Minuten-Talk" des Magazins Stern.
Knaus zeigte sich irritiert über Dobrindts Ankündigung, an dem umstrittenen Konzept festzuhalten: "Irgendwann muss ja auch die SPD - sie stellt ja die Justizministerin - die Frage stellen, wie kann man eigentlich die Bundespolizei losschicken, was zu tun, was offensichtlich rechtswidrig ist."
Was sind irreguläre Einreisen? Der Begriff des irregulären beziehungsweise unrechtmäßigen Aufenthalts wird laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Hinblick auf Personen verwendet, die sich ohne Aufenthaltsrecht oder Duldung und ohne Kenntnis der Ausländerbehörden in Deutschland aufhalten.Die Bundespolizei bezeichnet die irregulären Einreisen als "unerlaubte Einreisen". Manchmal werden irreguläre Einreisen auch als "illegale Einreisen" bezeichnet. Auch von "irregulärer Migration" ist in der politischen Debatte oft die Rede. Gemeint sind damit immer undokumentierte Grenzübertritte und der unrechtmäßige Aufenthalt in Deutschland. Bei Personen, die unmittelbar nach der unerlaubten Einreise um Asyl ersuchen, wird das Verfahren jedoch so lange ausgesetzt, bis das Asylverfahren abgeschlossen ist.
Flüchtlingsorganisationen und Migrationsforscher weisen daraufhin, dass Migration an sich gegen kein Gesetz verstößt, also nicht "illegal" ist.
Experte: Bessere rechtliche Begründung nötig
Migrationsrechtsexperte Daniel Thym schätzt das anders ein: Trotz der Berliner Verwaltungsgerichtsentscheidung hält er es noch für möglich, dass Zurückweisungen Asylsuchender an der Grenze rechtlich Bestand haben könnten.
Die Bundesregierung habe in dem konkreten Fall keine ausreichende Begründung vorgelegt, warum sie sich auf eine Ausnahmeregelung des EU-Rechts stützt, und darum habe sich das Gericht mit diesem Aspekt auch nicht befasst, erklärte der Professor der Universität Konstanz im Deutschlandfunk. "Wenn sie eine solide Begründung vorlegen, könnte ich mir vorstellen, dass der Eilrechtsschutz auch anders ausfällt."
Die großen Herausforderungen bei der Integration Geflüchteter könnten etwa eine geeignete Begründung sein, warum Deutschland von den EU-Regelungen abweiche. Deutschland habe beispielsweise einschließlich der Ukrainer achtmal so viele Migranten aufgenommen wie Italien, obwohl es nur eineinhalb Mal so viele Einwohner habe.
Britta Haßelmann, Die Grünen, zu rechtswidrigen Abweisungen von Asylsuchenden an der Grenze
Morgenmagazin, 03.06.2025 08:00 UhrGrüne: "Schallende Ohrfeige für Merz"
Grüne und Linke übten indes scharfe Kritik an der Flüchtlingspolitik der Unionsparteien. Grünen-Fraktionschefin Haßelmann wertete das Gerichtsurteil im als "schallende Ohrfeige für Friedrich Merz und seinen nationalen Alleingang". "Mit den Zurückweisungen sei "Recht gebrochen worden, und das kann auf keinen Fall so fortgesetzt werden". Haßelmann rief die SPD auf, Dobrindt zu bremsen.
Linken-Chef Jan van Aken warf der Bundesregierung in der Rheinischen Post vor, sie verstoße gegen geltendes Recht, "nur weil sie Sündenböcke braucht". Die Bundesregierung betreibe "Hetze" gegen Migrantinnen und Migranten, um davon abzulenken, dass sie eine "Politik gegen die Mehrheit der Menschen hier im Land" mache.
Kritik aus der SPD
Auch vom Koalitionspartner SPD kam Kritik. Im Wahlkampf habe die Union auf eine "flotte Zurückweisungsrhetorik" gesetzt, die nun den Praxistest bestehen müsse, sagte der SPD-Abgeordnete Ralf Stegner dem Magazin Spiegel. "Das wird für Herrn Dobrindt möglicherweise nicht ohne ein paar politische Schrammen abgehen - so was kommt von so was", sagte er. Die SPD setze in der Asylpolitik auf Humanität und die Einhaltung des Rechts.
Aktenzeichen VG 6 L 191/25
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