Korkenknallen oder Katzenjammer?
Vor 40 Jahren unterzeichneten Deutschland, Frankreich und die Benelux-Staaten das Schengener Abkommen. Die Jubiläumsfeier steht im Schatten neuer Grenzkontrollen. Wie ist die Stimmung im Grenzgebiet?
Direkt an der deutsch-französischen Grenze, in der Südpfalz, liegt das Dorf Scheibenhardt mit seinen 700 Einwohnern. Das Flüsschen Lauter trennt Scheibenhardt, Deutschland, von Scheibenhard, Frankreich auf der anderen Seite.
Eine Brücke führt darüber, auf deutscher Seite stehen noch zwei Schlagbäume und das alte Zollamt, das Grenzhäuschen jenseits der Lauter wurde zu einem offenen Bücherhaus umfunktioniert. Scheibenhard(t) - hier wird Schengen gelebt.
Brücken bauen, Brückenfeste feiern
Der deutsche Bürgermeister Thomas Ehl lacht auf die Frage, wie oft er die Grenze passiert. "Mehrmals täglich. Wir wohnen in der Mühlstraße, unser Sohn auf französischer Seite in der Rue du moulin. Da ist jetzt Nachwuchs angekommen, das ist ein alltäglicher Weg, mit Kinderwagen oder ohne."
Und der Grenzfluss? "Das ist unsere schöne Lauter. Und die Brücke ist eigentlich dazu da, uns zu verbinden. Und das machen wir auch immer wieder klar. Wir feiern ein Brückenfest, wir feiern ein grenzüberschreitendes Wandelkonzert, spielen hier auf der Brücke die europäische Melodie. Also von daher ist das für uns ein Zusammenkommen und keine Grenze - ein Grund zum Feiern!"

Eine Brücke und ein Buchstabe trennen die beiden Orte voneinander.
Kontrollen - wozu?
Nur einen Steinwurf vom Ufer entfernt liegt die Bäckerei Konditorei Schneider. Sie wird von Franzosen betrieben, die Gäste kommen von beiden Seiten der Grenze zum Frühstücken und Kaffeetrinken. Peter Kary wohnt seit 50 Jahren hier. Der Scheibenhardter kann sich noch gut an Kontrollen und, wie er sagt, Schikanen durch die Zöllner erinnern. Dass jetzt ein paar Kilometer entfernt an der Autobahn die Bundespolizei wieder Grenzkontrollen durchführt - und stichprobenartig auch auf der kleinen Brücke über die Lauter - findet er "idiotisch, völlig idiotisch. Für was stehen die da?!"
Bürgermeister Ehl sieht das etwas differenzierter. "Ich halte es für sinnvoll, dass es Grenzkontrollen gibt bei dem, was in letzter Zeit passiert ist. Nicht nur unerlaubte Migration, sondern auch natürlich Kriminalität. Und beides scheint doch sehr erfolgreich damit bekämpft zu werden."
Die Pendler, das räumt er ein, seien von den Kontrollen zu den Stoßzeiten stärker betroffen als Grenzgänger, die zum Einkaufen oder für einen Ausflug von hüben nach drüben fahren.
Unverständnis bei Pendlern
Ingrid Scheffler sitzt in der Konditorei Schneider, ein Platz mit Blick auf die Brücke, und rührt in ihrem Milchkaffee. Die Grenzkontrollen sind für die Pendlerin ein Reizthema. "All die Jahre waren wir ja eigentlich etwas anderes gewohnt. Normalerweise kann man rechnen, so eine Dreiviertelstunde eine Strecke. Aber jetzt ist es für mich überhaupt nicht absehbar, wie ich vor allem abends nach Hause komme. Da kann ich mich darauf einrichten, dass ich mindestens eine halbe, dreiviertel Stunde länger brauche. An den Tagen, an denen ich arbeite, brauche ich mir überhaupt keine Termine abends zu legen."
Was sie ärgert: "Wenn man außerhalb kontrollieren würde, nicht innerhalb des Schengen-Raums, würde ich das noch verstehen, würde ich sagen, okay. Aber an so kleinen Grenzübergängen wie jetzt Scheibenhardt, wieso macht man da so einen Aufstand?"
Schengen in a nutshell
Ortswechsel: Wieder zwei benachbarte Dörfer, wieder ein Grenzfluss. Die Mosel trennt Oberbillig, Deutschland, von Wasserbillig, Luxemburg. Eine Fähre pendelt zwischen den Dörfern, auch hier der ganz kleine Grenzverkehr übers Wasser. Drei Minuten braucht das Schiff von Ufer zu Ufer.
Schengen, der Ort, der für grenzenlose Freiheit in Europa steht, liegt gerade 35 Kilometer flussaufwärts. Der Geist, den das Abkommen von 1985 mit sich brachte, scheint sehr viel weiter entfernt.
"Wir werden angehalten für nichts"
Waltraud Wirthmann nutzt das schöne Wetter für einen Ausflug. Die Entwicklung der jüngsten Zeit, sagt sie, komme vor allem bei Pendlern nicht gut an. "Weil es viel mehr Zeit in Anspruch nimmt und weil es ja eigentlich auch nicht Sinn der Sache ist, dass wieder Grenzkontrollen zwischen den beiden Ländern sind. Und da viele grüne Grenzen ja offen sind, macht es in meinen Augen auch gar keinen Sinn, wieder Grenzkontrollen durchzuführen, weil die, die schmuggeln wollen oder Menschen rüberbringen wollen, die wissen ja auch, wo die Grenzen sind, die nicht kontrolliert werden."
Saskia Vallinas-Sanchez fährt die Strecke jeden Tag drei-, viermal, weil sie ihre Kinder in der Kita in Luxemburg hat. Ihr Mann arbeitet in Luxemburg. Außenrum wären das 70 Kilometer, mit der Fähre vielleicht zehn. "Hier ist es viel einfacher für mich, hier ist keine Kontrolle, nichts, alles super easy." Auf der Autobahnstrecke gerate sie ständig in Kontrollen. "Das ist eigentlich sehr, sehr unangenehm, muss ich sagen. Vor allem, wenn die Leute Feierabend machen und um 17 Uhr ist richtig viel Stau und wir werden alle noch angehalten, manchmal für nichts, manchmal fragen die einfach nur."
Auch Fährgast Rainer Frick schätzt die Vorzüge von Schengen. "Früher sind wir gefahren von Trier nach Luxemburg mit Kontrollen hier, Kontrollen drüben, bei Wind und Wetter. Wenn man ins Ausland gefahren ist, sogar nach Luxemburg, mussten wir Francs umtauschen, auch nach Frankreich, egal, man musste immer Wege aufbringen. Dieser ganze Quatsch, den brauchen wir ja nicht mehr."
"Schengen war eigentlich die große Freiheit"
An "den ganzen Quatsch" kann sich auch Hermann Scherer erinnern, der zusammen mit seiner Frau Ingrid in Scheibenhardt in der Konditorei sitzt. Sein Vater war Zöllner, er ist mit Schlagbäumen aufgewachsen. "An der Grenze waren Kontrollen fällig. Das war vor 1985. Und Schengen war dann ja eigentlich die große Freiheit. Die Grenzbäume da, die Grenzübergänge, die waren weg, die wurden weggemacht." Die neuerlichen Kontrollen? "Nicht schön. Das ist wieder ein Einschnitt, ein Rückschritt in die Vergangenheit. Für die Jungen, die erleben das zum ersten Mal, für die ist es auch was ganz Neues. Aber für uns Alten ist es eine Erinnerung an eine schlechtere Zeit."
Was er und seine Frau sich zum 40. Geburtstag des Schengen-Abkommens wünschen, für sich und für Europa? Ingrid Scherrer ist deutlich: "Grenzen weg, wieder aufmachen, das ist einfach ein Unding. Aber im Moment habe ich eigentlich keine große Hoffnung, dass da was gemacht wird."
Und was bilanziert Bürgermeister Thomas Ehl? "Es gibt Grenzkontrollen, die wir nicht bräuchten. Ich hoffe auch, dass sie wieder abgeschafft werden, auch personell und kostenmäßig. Da sollte man dran arbeiten. Und deshalb vielleicht nicht die Korken zu laut knallen lassen, aber auch nicht in Katzenjammern verfallen."
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