Politisch Inhaftierte, von der Stasi Bespitzelte und Opfer von Zersetzungsmaßnahmen – das sind bei Weitem nicht alle Gruppen, die unter der Tätigkeit der SED gelitten haben. Zur Liste zählen auch: zwangsweise gedopte Leistungssportler, Jugendliche aus den sogenannten "roten Burgen" – so wurden die Jugendwerkhöfe genannt –, ebenso wie schwangere Frauen, die sich durch einen kontaminierten Impfstoff mit Hepatitis C infizierten.

Die Gruppe der Betroffenen ist so groß, dass sie kaum zu beziffern ist. Allein die Zahl der politischen Gefangenen betrug 150.000, erzählt Prof. Dr. Bernhard Strauß, Sprecher des Verbundprojektes "Gesundheitliche Langzeitfolgen von SED-Unrecht" und Direktor des Instituts für Psychosoziale Medizin, Psychotherapie und Psychoonkologie an der Uni Jena im Gespräch mit MDR Kultur.

Die langzeitlichen Folgen

Die Erkenntnisse der Forschenden aus Jena, Leipzig, Magdeburg und Rostock zeigen: die Häufigkeit psychischer Störungen unter ehemaligen Jugendwerkhofbewohnern und politisch Inhaftierten liegt deutlich höher als in der allgemeinen Bevölkerung.

Prof. Dr. Bernhard Strauß, Sprecher des Verbunds (Universität Jena)Bildrechte: FSU, Medienzentrum

Wir haben herausgefunden, dass Zersetzungsopfer sehr viel höhere Entzündungsneigung haben. Dadurch kann man gut erklären, warum körperliche Erkrankungen auch häufiger sind.

Bei vielen Betroffenen geht es nicht um einzelne Beschwerden, sondern um komplexe gesundheitliche Probleme, die sich über Jahrzehnte hinweg aufgebaut haben. Das Spektrum reicht von psychischen Erkrankungen über Suizidgefährdung bis hin zu körperlichen Beschwerden wie Herz-Kreislauf-Problemen und Schmerzsyndromen.

Prof. em. Dr. Jörg Frommer, Projektleiter (Magdeburg)Bildrechte: Melitta Schubert

Das erklärt Jörg Frommer, der Facharzt für Psychiatrie und Projektleiter des Verbundes an der Universitätsklinik Magdeburg. Die Diagnose ist oft schwierig – nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte.

Heutige Diskriminierung von Opfern 

"Opfer berichten überwiegend von schlechten Erfahrungen", so schildert es sagt Prof. Dr. Bernhard Strauß. "Sie erleben, dass sie immer wieder infrage gestellt werden, dass man sie nicht ernst nimmt und ihnen nicht glaubt – egal ob im Beratungskontext, bei juristischen Begutachtungen oder in Verwaltungsbehörden."

Prof. Dr. Georg Schomerus, Projektleiter (Universität Leipzig).Bildrechte: Stefan Straube UKL

Eine Umfrage unter 750 medizinischen Mitarbeitenden zeigt, dass Menschen mit Erfahrungen des SED-Unrechts häufiger Ablehnung erfahren als Personen mit einer konfliktfreien DDR-Biografie. Georg Schomerus leitet den Teil des Projektes in Leipzig, er ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Auch er kennt die Sorgen der Opfer aus seiner Praxis. "Betroffene erfahren dann oft zweites Unrecht durch unsachgemäße Diagnostik, Beratung, Behandlung, Begutachtung und Uninformiertheit auf Seiten mancher Ansprechpartner."

Wie kann man dagegenwirken?

Ein Grund dafür sei, dass viele Medizinerinnen und Mediziner heute nur wenig über die Geschichte der DDR wüssten, meint Prof. Dr. Bernhard Strauß. "Sie sind deutlich jünger und haben das nicht hautnah erlebt." Um mehr Verständnis für die Betroffenen zu schaffen, brauche es gezielte Weiterbildungsangebote – für Juristinnen, Verwaltungspersonal und medizinisches Fachpersonal, das mit diesen Gruppen arbeitet, so Strauß.

Auf politischer Ebene gibt es jedoch positive Entwicklungen: Das SED-Unrechtsbereinigungsgesetz wurde in diesem Jahr novelliert. Die Reform erleichtert die Anerkennung von Verfolgungsopfern und stärkt deren soziale Absicherung.

Links/Studien:

Weitere Infos zu den Gesundheitsfolgen des SED-Unrechts finden Sie auf der Seite des Verbundes: SED-Gesundheitsfolgen.de

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