Der erste Veteranentag soll heute alle aktiven und ehemaligen Soldatinnen und Soldaten ehren. Doch kann dieser Tag auch dazu beitragen, die massiven Personalnöte der Bundeswehr zu lindern?

Es waren seine Laufschuhe, die Robert Müller ein ums andere Mal das Leben retteten. Der frühere Fallschirmjäger war einer der ersten Verwundeten der Bundeswehr im Afghanistaneinsatz überhaupt. Seine körperlichen Wunden sind längst verheilt, die seelischen nicht.

2002 war Robert Müller mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) nach Hause zurückgekehrt. Wenn ihn der Horrorfilm in seinem Kopf quälte, wenn er nicht schlafen konnte, er sich mit Suizidgedanken trug, dann schnürte er oft seine Laufschuhe und rannte, bis es ihm besser ging.

In den vergangenen Tagen ist Robert Müller so viel gelaufen wie wohl noch nie in seinem Leben. Aber ausnahmsweise nicht, weil es ihm schlecht ging, sondern weil er ein klares Ziel vor Augen hatte: den Veteranentag in Berlin. Von Hamburg aus hat er sich auf den Weg gemacht. Er lief fast 100 Kilometer täglich, um es zur zentralen Veranstaltung des ersten deutschen Veteranentags heute in die Hauptstadt zu schaffen.

Kampf um die Anerkennung seiner Krankheit

"Es wird ein bisschen wehtun. Aber das soll ja auch so ein bisschen die Botschaft sein, dass wir Einsatzgeschädigte einen Weg haben, der nicht immer einfach war oder ist", so drückte es der muskelbepackte 48-Jährige aus, bevor er im Tarnfleck-T-Shirt loslief.

Heute zieht Robert Müller häufig seine Laufschuhe an.

Genau so lautet eines der Versprechen dieses Veteranentags: Dass an diesem Tag das Licht der Öffentlichkeit auf das Schicksal all jener fällt, deren Leben so viel Schatten enthält.

"Es geht um die Anerkennung derjenigen, die in letzter Konsequenz bereit sind, das Äußerste für andere zu geben, und die ihr Leib und Leben für unser Land einsetzen", formulierte Verteidigungsminister Boris Pistorius das Versprechen, als der Bundestag den Veteranentag im vergangenen Jahr beschloss.

Und das fordern Veteranen wie Robert Müller nun ein. "Würde man sich anständig und ehrlich und schnell um seine Einsatzgeschädigten kümmern, wäre doch das die beste Message an die jungen Menschen, die zur Bundeswehr gehen sollen", findet der PTBS-Kranke. Inzwischen ist er gut versorgt. Er musste sich aber zwölf Jahre lang mit der Bundeswehr streiten und um die Anerkennung seiner Krankheit aus dem Einsatz kämpfen - wie so viele.

Eine gewaltige Zahl an neuen Soldaten gesucht

Mit der Einführung des Veteranentags versuchen Politik und Bundeswehr daher auch den Beweis zu erbringen, dass sie lernfähig sind. Denn in Zeiten einer wachsenden russischen Bedrohung, einer US-Regierung, die Europa eher als Gegner sieht, und in Zeiten dringlicher Personalprobleme bei der Truppe ist die Botschaft eben besonders wichtig, dass man ein fürsorglicher Arbeitgeber ist.

Verteidigungsminister Pistorius hatte unlängst für Aufsehen mit der Aussage gesorgt, die Bundeswehr müsse um bis zu 60.000 Soldatinnen und Soldaten aufwachsen. Eine gewaltige Zahl, führt man sich vor Augen, dass die Truppe sich seit Jahren schwertut, die Schwelle von 180.000 aktiven Soldatinnen und Soldaten hinter sich zu lassen.

"Ich habe meine Zweifel, ob die Zahl, die Boris Pistorius genannt hat, ausreicht", erklärte nun der stellvertretende Vorsitzende des Bundeswehrverbands, Marcel Bohnert. Er geht davon aus, dass die Bundeswehr sogar bis zu 80.000 zusätzliche Soldatinnen und Soldaten braucht, um die NATO-Ziele zu erfüllen.

Bohnert meldete im Interview mit dem NDR-Info-Podcast "Streitkräfte und Strategien" auch Zweifel an, ob dies mit dem zunächst rein auf Freiwilligkeit beruhenden Wehrdienstmodell der Bundesregierung funktionieren kann. Kaum jemand leugnet, dass die deutschen Streitkräfte 70 Jahre nach ihrem Eintritt in die NATO vor der vielleicht größten Herausforderung ihrer Geschichte stehen.

Wenig persönliche Berührungspunkte mit Streitkräften

Das zweite große Ziel, das die Politik mit dem Veteranentag verfolgt, lautet: Er soll die noch immer zwischen Gesellschaft und Bundeswehr klaffende Lücke schließen. Die hat sich zweifelsohne verkleinert: Als sich die Bundeswehr im extrem unbeliebten Afghanistan-Einsatz befand, wurde das Verhältnis zwischen Zivilist und Soldat im günstigsten Fall mit "freundlichem Desinteresse" umschrieben.

Jetzt hat Russlands Machthaber Putin für ein erheblich höheres Gefühl der Bedrohung gesorgt - und damit ist auch die Wertschätzung der Bundeswehr gestiegen. Mittlerweile haben laut Umfragen 80 Prozent der Deutschen eine positive Einstellung zur Truppe.

Die "Sinnhaftigkeit" des Militärs sei den Menschen wieder klar, meint auch Marcel Bohnert vom Bundeswehrverband. Gleichzeitig würden viele - trotz kostenfreier Bahnfahrten für Soldaten - immer noch angeben, dass sie keinerlei persönliche Berührungspunkte mit Angehörigen der Streitkräfte hätten.

Das soll die zentrale Veranstaltung des Veteranentags mit Würstchenbuden, Kinderspielplätzen und Musik in der Herzkammer der Demokratie, am Fuß des Bundestags, ändern.

Auch Ex-Soldat Robert Müller spürt, wie er erzählt, dass es heute in der Gesellschaft ein wachsendes Interesse am Schicksal von Soldaten und Veteranen gibt. Er sieht darin eine Chance, noch etwas mehr Aufmerksamkeit zu wecken: Für seelisch Verwundete wie ihn selbst - und für die Bundeswehr insgesamt. Dafür nimmt er ein paar wunde Füße gern in Kauf.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke