• Ein verurteilter Neonazi arbeitet in einer Führungsposition bei einem Sicherheitsdienst, der im Auftrag des Staates Polizeistationen und Flüchtlingsunterkünfte bewacht.
  • Trotz öffentlicher Hinweise erhält die Firma Distelkam millionenschwere Aufträge.
  • Behörden wissen von der rechtsextremen Vergangenheit – doch wirtschaftliche und juristische Kriterien wiegen offenbar schwerer.

David H. ist kein Unbekannter. Seit Jahren bewegt sich der Chemnitzer in der rechtsextremen Szene, nahm an Neonazi-Aufmärschen teil, wurde wegen Körperverletzung verurteilt – und arbeitet dennoch in leitender Funktion bei einer Sicherheitsfirma, die unter anderem Polizeistationen und Flüchtlingsunterkünfte bewacht.

David H. am 11. Februar 2023. An diesem Tag trafen sich Neonazis zu einer verklärenden Heldenverehrung der deutschen Wehrmacht in Budapest.Bildrechte: MDR investigativ

Die Firma heißt Distelkam, sitzt in Chemnitz und hat in den letzten zehn Jahren öffentliche Aufträge im Wert von über 60 Millionen Euro erhalten. Sie bewacht Gebäude in sechs Bundesländern – darunter auch besonders sensible Einrichtungen wie Polizeiwachen, teils mit scharfen Waffen.

Ein Neonazi als Objektleiter

Recherchen von MDR INVESTIGATIV und der Rechercheplattform FragDenStaat zeigen: David H. ist nicht nur einfacher Mitarbeiter, sondern tritt gegenüber Bewerbern als Objektleiter auf. In einem verdeckten Bewerbungsgespräch im Frühjahr dieses Jahres gibt er an, seit acht Jahren in Führungsverantwortung zu sein – obwohl er in dieser Zeit wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt wurde und einige Monate im Gefängnis saß.

Laut Gesetz müsste er im sogenannten Bewacherregister geführt und überprüft werden. Doch das Bundesunternehmen Wismut GmbH, das Distelkam mit der Bewachung eines ehemaligen Bergbaugeländes in Thüringen beauftragte, sieht darin kein Problem. David H. sei nur Schichtführer und müsse deshalb nicht in das Bewacherregister eingetragen werden, heißt es – eine Einschätzung, die unter Fachleuten durchaus umstritten ist.

Enge Verbindungen zum Chef

David H. und Firmenchef Kai Distelkam kennen sich offenbar seit Jugendtagen. In Ermittlungsunterlagen bezeichnet H. ihn als „guten Freund“. Nach einer Straftat im rechtsextremen Milieu bat er ihn um Hilfe – Distelkam organisierte einen Anwalt. Öffentlich betont der Geschäftsführer noch im Jahr 2023, sein Unternehmen sei weltoffen und distanziere sich von Extremismus.

Behörden wissen Bescheid – und handeln nicht

Die Polizei in Thüringen, von der Distelkam insgesamt sechs Objekte bewacht, vier davon mit Schusswaffen, weiß laut eigenen Angaben von der Tätigkeit David H.s. Doch zuständig für die Auftragsvergabe ist das Landesamt für Bau und Verkehr. Dort verweist man auf das Ausschreibungsverfahren – wer das wirtschaftlichste Angebot macht, bekommt den Zuschlag.

Das zuständige Ministerium für Infrastruktur lag bis im vergangenen Jahr bei der Partei Die Linke, von 2021 bis 2024 war Susanna Karawanskij verantwortlich. Auch in Ihrer Zeit wurden neue Verträge an Distelkam vergeben.

Steffen Schütz (BSW), seit Dezember 2024 Thüringer Minister für Digitales und InfrastrukturBildrechte: MDR Investigativ

Der jetzige Minister Steffen Schütz (BSW) kündigt gegenüber MDR INVESTIGATIV an, den Fall zu prüfen.

Schon eine Woche später teilt das Ministerium dann mit, dass beim Verfassungsschutz in Thüringen und Sachsen keine Informationen über die Distelkam Dienstleistungsgruppe vorliegen würden. Und weiter heißt es “Zweifel an der Verfassungstreue, die sich allein aus journalistischen oder zivilgesellschaftlichen Recherchen ergeben, sind rechtlich in der Regel kein unmittelbarer Ausschlussgrund im Vergabeverfahren oder für eine Vertragskündigung.”

Unsichere Security

Distelkam ist kein Einzelfall. In mehreren Bundesländern gab es in den letzten Jahren Vorfälle mit rechtsextremen Sicherheitsleuten – etwa in Flüchtlingsunterkünften oder bei Veranstaltungen.

Romy Arnold von der Thüringer Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus warnt vor solchen Strukturen: „Wenn man eine Firma hat, wo man das weiß, dann fällt es doch völlig aus, dass das weiterhin eine Firma ist, die man damit beauftragen kann, solche hochsensiblen Einrichtungen wie die Polizei zu bewachen.“

Staatliche Verantwortung

Die Sicherheitsbranche boomt. Über 280.000 Menschen arbeiten in Deutschland in diesem Bereich – fast so viele wie bei der Polizei. Doch mit dem Wachstum steigt auch das Risiko, dass Extremisten Zugang zu sensiblen Bereichen erhalten. Die Polizei ist dabei ein großer Auftraggeber.

Gemeinsam mit der Transparenzplattform FragDenStaat hat MDR INVESTIGATIV die zuständigen Ministerien in allen 16 Bundesländern gefragt. Das Ergebnis: Neun Bundesländer bewachen Gerichte, Behörden oder Polizeistationen selbst. In nur fünf Bundesländern kommen Security-Mitarbeiter mit Schusswaffen zum Einsatz - allesamt vor Polizeistationen: In Hessen, Sachsen, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg.

Patrick Martin, Pressesprecher der Thüringer PolizeiBildrechte: MDR Investigativ

"Wenn ich dort einen reinen Polizeivollzugsbeamten hinsetze, der lediglich die Aufgabe hat, das Objekt zu bewachen, dann ist das natürlich kostenmäßig heutzutage nicht mehr darstellbar", sagt der Thüringer Polizeisprecher Patrick Martin.

Auch die Firma Distelkam hat Aufträge von der Polizei bekommen, sie bewacht Polizeistationen in Sachsen und Thüringen, etwa in Chemnitz und Gera.

Zu den aktuellen Recherchen will sich weder David H. noch die Sicherheitsfirma äußern.

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