Nach einem wochenlangen Poker ist klar: Nick Woltemade wechselt nun doch nicht zum FC Bayern. Und das, obwohl der deutsche Fußball-Rekordmeister eine schwindelerregend hohe Summe geboten hat. Warum der VfB Stuttgart den Spieler vor einem Fehler bewahrt.

Die Archiv-Abteilung des FC Bayern muss in jüngster Zeit verdammt viel beschäftigt gewesen sein. Man kann nur hoffen, dass sie in München schon papierlos unterwegs sind, um nicht in einer endlosen Zettelsammlung unterzugehen. Denn zu all den Trainer-Abfuhren der vergangenen Saison sowie den Absagen von Wunderdribbler Florian Wirtz und Flügelwirbler Nico Williams gesellt sich nun eine weitere (erst einmal) geschlossene Akte dazu: die von Nick Woltemade.

Wochenlang buhlte der FC Bayern um den 23-Jährigen. Die Personalie sorgte dafür, dass sich die Transferexperten des Landes nicht vor der Arbeitslosigkeit fürchten müssen. Schließlich hatte die Wechselsaga alles, was es braucht, um ein (nur sehr kurzes) Sommerloch zu füllen: Es gab mündliche Einigungen, einen Spieler, der unbedingt wechseln möchte, einen empörten Berater, mehrere Angebote, ein Ultimatum - und kein Happy End. VfB-Vorstandschef Alexander Wehrle hatte vor dem Franz-Beckenbauer-Supercup die vorerst abschließende Neuigkeit zu verkünden: "Nick Woltemade spielt nächste Saison beim VfB Stuttgart, die Akte ist geschlossen."

Für den Spieler ist das die richtige Entscheidung, obwohl er das wohl anders sieht (mehr dazu später). Die Frage ist, ob der VfB Stuttgart die richtige Entscheidung trifft. Denn die Cannstätter hatten über Wochen eine Verhandlungstaktik an den Tag gelegt, die an der Perfektion kratzt. Sie scheuchten den FC Bayern vorbildlich vor sich her. Eine irrationale Maßgabe treibt die Münchner: Wenn große DFB-Stars in Deutschland spielen, dann sollen sie irgendwann - eher früher als später - auch beim FC Bayern unterkommen. Und nachdem sie Wirtz davon nicht überzeugen konnten, war nun einmal Woltemade, der Shootingsstar der vergangenen Rückrunde und der U21-EM im Sommer, als Nächster an der Reihe.

Beinahe der drittteuerste deutsche Fußballer

Am Ende ließ sich der FC Bayern zu einem Angebot provozieren, das je nach Medium und Klauseln bei bis zu 65 Millionen Euro (!) gelegen hätte. Selbst im völlig überhitzten Transfermarkt ist das noch eine enorme Summe. Woltemade wäre damit zum drittteuersten deutschen Fußballer in der Geschichte geworden (hinter Wirtz und Kai Havertz, aber vor Timo Werner). Und das für einen Spieler, der im vergangenen Sommer noch ablösefrei zum VfB Stuttgart kam.

Doch der Klub bleibt standhaft, obwohl er den Verlust sportlich hätte kompensieren können: Auf Woltemades Position spielen ja auch noch Deniz Undav, Ermedin Demirovic oder der frisch zurückgeholte Tiago Tomas. Und klar: Woltemade legte einen kometenhaften Aufstieg im Jahr 2025 hin, aber noch konnte er nicht beweisen, über lange Zeit stabil gute Leistungen zu zeigen. Zwölf Treffer in der vergangenen Bundesligasaison sind jedenfalls keine Überquote. Die Frage ist ohnehin, welche sportlichen Ambitionen der VfB verfolgt.

Gleichwohl: Es ist nicht so, dass die hohe Summe nicht gerechtfertigt wäre. Woltemades Vertrag läuft noch drei Jahre und enthält keine Ausstiegsklausel. Das treibt den Preis. Und doch ist es was anderes: Denn Woltemade hat etwas Besonderes, in ihm schlummert etwas, das man nicht lernen kann. Trotz seiner Körpergröße von fast zwei Metern hat der schlaksige Angreifer seine Stärken nicht etwa im Kopfballspiel (das ist sogar eine große Schwäche), sondern im Dribbling. Eben dort, wo vor allem diejenigen brillant sind, deren Beine weniger Gefahr laufen, sich zu verknoten.

Nagelsmann will nur, dass Woltemade spielt

Eine Szene im Supercup gegen die Bayern fasst den Fußballer Woltemade perfekt zusammen - und zeigt, weshalb der Schritt zum Rekordmeister noch zu früh gekommen wäre. In der 26. Minute löst er sich aus dem Rücken seines Bewachers Dayot Upamecano, DFB-Kollege Undav sieht das und spitzelt ihm den Ball an der Strafraumkante zu. Und dann macht Woltemade das, was nicht viele können: Er sichert den Ball und bekommt die Drehung zum Tor hin - obwohl ihm Joshua Kimmich im Kreuz hängt. Nur, und das ist eben auch (noch) typisch für Woltemade: Er verstolpert freistehend vor Manuel Neuer den Abschluss. Sein Ball landet direkt beim Torhüter.

In der Halbzeit des Supercups (Highlights bei RTL+) wurde Bundestrainer Julian Nagelsmann gefragt, was er von dieser ganzen Causa hält. Er sagt, dass es ihm am Ende herzlich egal sei, für welchen Klub seine DFB-Akteure auflaufen - Hauptsache, sie spielen. Und für Woltemade ist die Chance, auf dem Platz zu stehen, beim VfB deutlich größer als im Münchner Starensemble um Platzhirsch Harry Kane. Mit Blick auf die Weltmeisterschaft im nächsten Sommer kann er sich es ohnehin nicht leisten, in den Leistungsstreik zu treten, weil der Wechsel nicht geklappt hat. So bewahrt die Sturheit des VfB Stuttgart den Spieler vor dem falschen Karriereschritt - vorerst. Schließlich ist nicht ausgeschlossen, dass das FC-Bayern-Archiv seine Akte irgendwann wieder hervorkramt.

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