Das Märchen nimmt allmählich realistischere Züge an. Als die Spieler von Arminia Bielefeld am Freitag um 18.30 Uhr den Rasen des Olympiastadions betraten, wanderten ihre Blicke durch das weite Rund der gigantischen Arena. „Dass wir hier sind, ist ein absoluter Traum, aber auch die Folge der harten Arbeit einer ganzen Saison“, sagte Mael Corboz, der Kapitän des gerade in die zweite Fußball-Bundesliga aufgestiegenen Klubs. Sein Verein hat es zum ersten Mal in seiner 120-jährigen Geschichte in ein großes Endspiel geschafft.

Doch auch wenn es nachvollziehbar wäre – von allzu großer Ehrfurcht war weder bei Corboz noch bei Trainer Mitch Kniat etwas zu spüren, nachdem die Bielefelder Freitag in der Hauptstadt eingetroffen waren. Sie würden natürlich wahrnehmen, welchen Hype sie ausgelöst haben – doch sie würden sich trotzdem auf ihre Aufgabe konzentrieren, so die Botschaft der Ostwestfalen. Er werde seine Mannschaft auf das DFB-Pokalfinale gegen den VfB Stuttgart (Samstag, 20 Uhr/live ZDF und SKY) genauso wie auf jedes andere Spiel vorbereiten, betonte Kniat.

„Natürlich ist dieses Spiel anders. Allein schon, dass so viele Reporter in unseren Presseraum überhaupt nicht passen würden“, sagte der 39-Jährige. Doch die Abläufe bis zum Anpfiff von Schiedsrichter Christian Dingert werden die gleichen sein wie vor den Spielen in der Drittligasaison, die die Arminen am vergangenen Wochenende als Meister abgeschlossen hatten.

„Wir haben noch nicht so viel mitbekommen, was hier in Berlin los ist. Wir sind ja gerade erst in unserem Hotel angekommen“, so Kniat. Er hatte dafür plädiert, erst am Tag vor dem Spiel anzureisen – und nicht wie die Stuttgarter bereits am Donnerstag. Alles soll so normal wie möglich gehalten werden. So will der Coach Lampenfieber verhindern. Dabei sei auch hilfreich, sich „eine gewisse Lockerheit“ zu bewahren.

In den vergangenen Tagen war es in Bielefeld kaum möglich, sich von der Bedeutung des bevorstehenden Ereignisses freizumachen. Die Stadt rüstet sich für den Höhepunkt in der Historie ihres Klubs. Hinzu kam eine gigantische Reisewelle, die von Ostwestfalen nach Berlin schwappte. Mit bis zu 100.000 Arminen-Fans werden für das Pokalwochenende in Berlin erwartet.

„Berlins heißester Club: Arminia Bielefeld“

Bereits am Freitag sammelten sich viele Anhänger zu einem Fanfest auf dem Alexanderplatz. An den U- und S-Bahnstadion hingen Plakate, mit denen die 330.000-Einwohner-Stadt auf recht witzige Art für sich warb. „Erfolgreich unterschätzt seit 1905“, „Stuttgart? Gibt es doch gar nicht!“ oder „Berlins heißester Club: Arminia Bielefeld“. Am Sonntag wird in Bielefeld so oder so gefeiert: Aufgrund des Aufstiegs in die zweite Liga wird es für die Mannschaft nach der Rückkehr aus Berlin einen großen Empfang geben.

„Für viele unserer Fans sind das die geilsten Tage in ihrem Leben. Ich glaube, in Bielefeld arbeitet seit Tagen keiner mehr. Da wird vollgetankt – und ab nach Berlin“, so Kniat. Corboz berichtete davon, dass die Fans der Mannschaft, bevor sie am Freitag vom Trainingsgelände Richtung Flughafen startete, eine Botschaft hinterlassen hatten. „Wir sollen Gas geben, zusammenbleiben und mutig sein, dann werden wir es schaffen“, so Corboz.

Die Stuttgarter sind vor den Bielefeldern, die in Bestbesetzung jedenfalls gewarnt. „Wir spielen nicht gegen einen Drittligisten – was sie mittlerweile ja auch nicht mehr sind. Wir spielen gegen einen Pokalfinalisten“, sagte VfB-Trainer Sebastian Hoeneß. Die Arminia, die mit dem 1. FC Union Berlin, dem SC Freiburg, Werder Bremen und Bayer Leverkusen gleich vier Erstligaklubs ausgeschaltet hatte, stelle eine „große Herausforderung“ dar.

„Sie können mit Fug und Recht davon sprechen, dass sie eine sensationelle Saison gespielt haben. Sie waren in der Lage Bundesligisten zu schlagen“, so Hoeneß. Die Stuttgarter bangen noch um den Einsatz um Mittelfeldspieler Angelo Stiller, der sich im Bundesligaspiel gegen den FC Augsburg zwei Bänder im Knie gerissen hatte. Hoeneß ist zuversichtlich, dass die medizinische Abteilung den Nationalspieler bis zum Anpfiff hinbekommt.

Der Underdog Bielefeld kann dagegen in Bestbesetzung antreten, wie Kniat verriet. Vor allem aber werden seine Spieler ähnlich wie in den vorausgegangenen Pokalspielen mutig zu Werke gehen, kündigte er an. Die Fans sollen feiern – seine Mannschaft soll gewinnen. „Wir wollen uns hier keinen schönen Tag oder einen Ausflug machen, wir wollen das Ding in der Hand halten“, sagte Kniat.

Dabei blickte er auf die Trophäe, die etwa vier Meter vor ihm stand: den DFB-Pokal.

Oliver Müller ist Sportreporter für WELT. Er berichtet seit vielen Jahren über Arminia Bielefeld und zahlreiche weitere Klubs aus dem deutschen Fußball.

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