"Wir waren richtig sauer, haben es überhaupt nicht verstanden"
28 Jahre ist der letzte Pokalsieg des VfB Stuttgart her - damals mit dabei: Fredi Bobic. Bevor sein Heimatklub, für den er später als Manager arbeitete, die Saison retten könnte, spricht Bobic im Interview über die Party damals, seine Empörung nur ein Jahr später und über seinen neuen Job bei Legia Warschau.
ntv.de: Herr Bobic, wenn Sie an das Pokalfinale 1997 denken, was fällt Ihnen als Erstes ein?
Fredi Bobic: Sehr positive Erinnerungen. Es war das letzte Spiel zusammen mit meinen zwei "Brüdern" Krassimir Balakov und Giovane Elber. Aber auch die Atmosphäre und natürlich der Sieg, der nie gefährdet war.
Es war ein emotionales Spiel, auch weil Giovane Elber das letzte Mal für den VfB auflief und anschließend zu den Bayern wechselte. Dann traf er auch noch zweimal. Wie haben Sie das damals erlebt? Haben Sie ihn hinterher getröstet?
Es war auf der einen Seite verständlich, dass er den nächsten Schritt macht. Auf der anderen war er auch traurig, weil wir einfach eine Truppe hatten, die bis heute noch immer unheimlich viel Kontakt untereinander hat, auch im zwischenmenschlichen Bereich. Es war so, dass wir nach dem Spiel im Hotel waren und plötzlich fragten: Wo ist eigentlich Giovane? Er hatte sich oben auf dem Zimmer eingeschlossen, wollte eigentlich gar nicht zur Party runterkommen. Und dann bin ich hoch gestiefelt zu ihm und hab gesagt: 'So Junge, das ist hier deine Party heute. Wir gehen da runter und werden schön feiern.' Er hat sich überreden lassen und dann haben wir noch eine richtig schöne Feier gehabt.
Danach gab es legendäre Feierbilder in Stuttgart mit rot gefärbten Haaren und Joachim Löw, dem die Haare abrasiert wurden. Wie wild war das damals?
Das war wild. Wir waren eben eine wilde und tolle Truppe. Nach dem Halbfinale haben wir gesagt: Wenn wir das Finale erreichen, machen wir das. Und auch Jogi hat gesagt, er macht's, wenn wir das Finale gewinnen. Und da sieht man einfach, was es für ein zwischenmenschliches Miteinander war. Auf dem Rathausplatz in Stuttgart haben wir dann mit dem Rasierer angesetzt (lacht).
In dieser Zeit befand sich das "magische Dreieck" in seiner Hochphase. Wie genau hat Löw Ihre Offensivpower entfesselt?
Er hat uns auf dem Platz einfach machen lassen. Er hat uns sicher ein paar Sachen vorgegeben, wenn es gegen den Ball ging. Wir haben zu der Zeit schon Pressing gespielt, wo viele andere Vereine das noch gar nicht kannten in der Form, oder nicht spielen wollten, weil es irgendwie zu riskant war. Insgesamt hatten wir eine Mannschaft, die auch in der Defensive sehr tolle Spieler hatte: Zvonimir Soldo, Thomas Berthold, Thomas Schneider und Franz Wohlfahrt im Tor. Jogi hat uns ein Grundsystem gegeben. Er liebt den Offensivfußball. Uns kam das gelegen, weil wir auf dem Platz Freiheiten hatten.
Wie sauer waren Sie eigentlich, als er 1998 trotz der Erfolge gefeuert und durch Winfried Schäfer ersetzt wurde?
Wir waren richtig sauer. Wir haben es überhaupt nicht verstanden. Es hat sich auch gezeigt, dass es danach einen größeren Umbruch gab; ein Jahr danach bin ich nach Dortmund. Löw hat uns gut eingestellt und hatte uns im Griff. Es war keine schöne Situation in dem Jahr nach dem Europapokalfinale einen neuen Trainer zu bekommen, wenn der alte eigentlich Erfolg hatte.
Welche Bedeutung hat der Pokaltitel in Ihrer Karriere?
Eine sehr große. Wenn man sieht, dass der VfB bis zum heutigen Tag keinen Pokal mehr gewonnen hat. Jetzt steht man kurz davor. Ich komme aus Stuttgart. Mit dem eigenen Verein einen Titel zu gewinnen, ist immer etwas ganz Besonderes.
Am Wochenende könnte es wieder so weit sein. Inwiefern ist das Spiel gegen Bielefeld vergleichbar mit dem Spiel gegen Cottbus 1997? Ein starker Drittligameister mit viel Euphorie.
Es ist schon vergleichbar. Auch Bielefeld besticht durch mannschaftliche Geschlossenheit. Durch hartes Arbeiten auf dem Platz. Nicht umsonst haben sie mehrere Bundesligisten rausgekegelt. Sie haben es selbst bei Bayer Leverkusen geschafft, den Gegner auf ihr Niveau runterzuholen und dieses Spiel zu gewinnen. Da muss man schon Respekt davor haben. Für den VfB wird es wie für uns damals das Wichtigste sein, zu jeder Minute voll konzentriert zu sein. Und dann zum richtigen Zeitpunkt, die Tore zu machen, die Qualität einzusetzen. Aber du musst es erstmal körperlich und von den Zweikämpfen angehen, wie wenn dir ein Bundesligist gegenübersteht.
Verraten Sie uns Ihren Tipp fürs Endspiel?
Für mich ist es klar: Ich denke, dass es ein enges Spiel wird und tippe auf ein 2:0, also einen souveränen Sieg des VfB.
Für den Klub wäre der Erfolg äußerst wichtig. Vor allem, weil es in der Liga nicht nur rund lief. Wie bewerten Sie die VfB-Saison?
Das Pokalfinale ist nun eminent wichtig. Mit einem Sieg ziehst du in die Europa League ein. Über die Liga haben sie es nicht geschafft, weil sie Körner gelassen und auch Fehler gemacht haben durch die Belastung, die für die Spieler neu war. Deswegen ist dieses Spiel unter dem Aspekt der wirtschaftlichen Situation eminent wichtig. Solltest du nicht gewinnen, wird es einen negativen Einfluss auf den Fortlauf haben.
Sie kennen die Europa League gut, haben dort mit Frankfurt für Furore gesorgt.
Die Europa League ist genauso ernst zu nehmen wie die Champions League. Sie ist ein aufgewerteter Wettbewerb durch die Eintracht. Jeder Bundesligist nimmt diese europäischen Wettbewerbe sehr ernst.
Im Fokus war auch eines Ihrer Ex-Teams: Borussia Dortmund. Deren Trainer Niko Kovac kennen Sie gut. Hat Sie dieses Liga-Comeback überrascht?
Dass sie es auf Platz vier geschafft haben, davon waren alle überrascht. Selbst beim BVB und auch Niko. Es hatte auch mit der Ligakonstellation zu tun, aber sie haben trotzdem mit fünf Siegen in Folge natürlich da etwas geschafft, was sensationell ist. Es freut mich total für Niko, weil er die Mannschaft in die Spur bekommen hat und den Leistungsgedanken wieder an erste Stelle gestellt hat, nicht den Namen und nicht irgendwelche Systeme, sondern sie einfach fit gemacht und heiß gemacht hat. Es war von Anfang an nicht einfach für ihn, aber er war genau der richtige Mann für genau die Situation beim BVB.
Seit April haben Sie eine neue Aufgabe bei Legia als Fußballchef. Was sind Ihre Ziele mit dem Klub?
Wir haben einen aufregenden Sommer vor uns. Wir müssen die Mannschaft wieder frisch kriegen. Sie hat 54 Spiele gemacht, den Pokal gewonnen, aber in der Liga sind wir Fünfter geworden und mussten da ein bisschen Tribut zollen aufgrund der Riesenanzahl an Spielen und weil der Kader doch nicht so tief ist. Daran werden wir arbeiten. Ich schaue auf alles drauf in meiner Position. In der Zusammenarbeit mit unserem Sportdirektor suchen wir hier, die Strukturen so sauber zu ziehen, dass der Verein nachhaltig gestaltet werden kann und wettbewerbsfähig ist für mehrere Wettbewerbe.
Haben Sie sich vorgenommen, etwas konkret anders zu machen als bei Ihren letzten Stationen Hertha, SGE und dem VfB?
Jeder Verein hat seine eigene DNA. Deswegen habe ich auch früher angefangen, um den Verein besser kennenzulernen. So nach zwei Monaten ist ein Gefühl da: Jetzt verstehe ich den Verein besser. Ich habe Interviews geführt mit allen möglichen Leuten, mit allen möglichen Abteilungen und so langsam vervollständigt sich für mich das Bild. Und damit auch: Was wir vielleicht verändern und verbessern müssen.
Die Fans von Legia sind berühmt-berüchtigt. Inwiefern ist das ein Thema für Sie oder ein Problem?
Das sehe ich nicht so. Die Fans sind sehr leidenschaftlich. Der Verein ist privat geführt von einem Eigentümer. Die Fans haben was zu sagen, so soll es auch sein. Das Stadion ist immer voll, sie folgen uns überallhin. Jedes Auswärtsspiel ist ausverkauft. Sie sind lautstark, sehr gut organisiert. Auch kritisch, wenn es nicht läuft. Es ist wie bei den Bayern in Deutschland. Es ist die größte Marke. Jeder redet über Legia. Social Media ist voll davon in Polen. Über den Verein wird drumherum meistens geredet. Das darf uns im Operativen aber nicht stören. Das macht uns stolz, dass wir so einen Support haben.
Mit Fredi Bobic sprach Emmanuel Schneider
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