Wird Europa eingefrorene Gelder Russlands für die Aufrüstung der Ukraine nutzen? Bundeskanzler Merz spricht sich in Kopenhagen klar dafür aus. Andere EU-Länder haben dagegen Bedenken - vor allem Schlüsselakteur Belgien.

Die Staats- und Regierungschefs der EU haben beim Gipfel in Kopenhagen intensiv über die russischen Vermögenswerte diskutiert. Obwohl rechtlich noch nicht alle Fragen geklärt sind und es massiven Widerstand zentraler Akteure gibt, erwartet Bundeskanzler Friedrich Merz noch in diesem Monat eine Entscheidung über die Verwendung der in Europa eingefrorenen Gelder für weitere Ukraine-Hilfen.

"Putin sollte unsere Entschlossenheit nicht unterschätzen", sagte der CDU-Vorsitzende nach dem Gipfel. "Wir werden das jetzt sorgfältig prüfen und es wird in drei Wochen auf dem nächsten Europäischen Rat, aller Voraussicht nach, dazu eine konkrete Entscheidung geben."

Der nächste EU-Gipfel findet am 23. und 24. Oktober in Brüssel statt.

Merz warb vor den mehr als 40 Staats- und Regierungschefs für seinen Plan, der Kredite über 140 Milliarden Euro für die Aufrüstung des ukrainischen Militärs bringen soll. Dagegen gibt es aber massive Bedenken, vor allem in Belgien, wo der größte Teil des Gelds lagert.

Merz hofft auf schnelle Einigung

Merz sagte, er verlasse den Gipfel "mit dem sicheren Gefühl, dass es eine sehr große Übereinstimmung in der Europäischen Union und auch in der Europäischen Politischen Gemeinschaft gibt", die russischen Gelder für die Ukraine-Hilfe zu nutzen. "Ich werde jeden Weg unterstützen, der es ermöglicht, russische Vermögenswerte zu nutzen, um der Ukraine weiterzuhelfen und dafür zu sorgen, dass dieser Krieg möglichst bald zu einem Ende kommt."

Jedoch machten mehrere EU-Beamte nach der Abreise des Kanzlers vom Gipfel deutlich, dass bei dem Treffen in drei Wochen wohl höchstens vereinbart werden könne, den Vorschlag weiterzuverfolgen. Die EU-Kommission könnte demnach im Anschluss einen konkreten Vorschlag vorlegen, der dann wiederum von den Regierungen der Mitgliedstaaten diskutiert werden müsste. 

"Sehr, sehr riskant"

Der belgische Premierminister Bart De Wever brachte sich beim Gipfel als direkter Gegenspieler des Kanzlers in Stellung. Er warf den Unterstützern des Plans vor, die Gefahren sträflich zu vernachlässigen und keine Antworten auf offene Fragen zu haben. "Das ist sehr, sehr riskant", sagte er.

Neben der Gefahr einer Enteignung von Vermögenswerten europäischer Unternehmen in Russland nannte De Wever dabei auch die Möglichkeit, dass es Anschlagsversuche gegen den Chef des belgischen Finanzinstituts Euroclear geben könnte. Der Direktor von Euroclear stehe bereits unter engem Personenschutz.

De Wever ist bei den von Merz und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen vorangetriebenen Plänen eine Schlüsselfigur, weil das Vorhaben ohne die Zustimmung Belgiens nicht umsetzbar ist.

Bisher werden nur Erträge verwendet

In der EU liegen Hunderte Milliarden Euro russischen Staatsvermögens, vor allem in Belgien bei Euroclear. Das Geld wurde nach dem russischen Überfall auf die Ukraine 2022 eingefroren. In der Debatte schwankt die genannte Höhe dieses Geldes zwischen 200 und 250 Milliarden Euro.

Einig scheint man sich zu sein, dass mittlerweile etwa 185 Milliarden Euro in bar bei Euroclear liegen, weil die Laufzeit ihrer Anlageformen abgelaufen ist - der Betrag soll in den kommenden Monaten sogar steigen, weil dann weitere Geldanlagen auslaufen.

Bisher werden nur die Erträge - etwa Zinszahlungen - aus den russischen Geldanlagen dafür verwendet, einen 50 Milliarden Euro-Kredit an die Ukraine zu finanzieren, aber nicht das Geld selbst. Von den 185 Milliarden Euro sollen deshalb 45 Milliarden dafür reserviert bleiben, diesen Kredit abzulösen - bleiben also 140 Milliarden Euro.

Warnung vor Risiken für den Euro

De Wever warnte jedoch auch vor Risiken für den Euro - wenn etwa die Entscheidung dazu führen würde, dass andere Länder ihre in Europa angelegten Staatsgelder abziehen. Wenn das russische Zentralbankgeld genutzt werde, werde das anderen Nationen in der Welt auffallen, sagte er.

China habe beispielsweise bedeutende Summen in der Eurozone. "Sie könnten ihre Reserven in Europa abziehen, weil sie sich vielleicht denken: Okay, wir sind mehr oder weniger ein Verbündeter Russlands. Vielleicht haben wir einige Pläne in Bezug auf Taiwan", so der Belgier.

Orban: "Sind keine Diebe"

An seiner Seite hat De Wever aus dem Kreis der EU-Staaten unter anderem den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban. Die derzeit auf dem Tisch liegenden Vorschläge würden zeigen, dass die EU in den Krieg ziehen wolle, wetterte er am Rande des Gipfeltreffens. "Ungarn wird kein Geld anrühren, das jemand anderem gehört", sagte er. "Wir sind keine Diebe."

Auch die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni äußerte in einem Gespräch mit Merz Bedenken. Sie habe die geplanten finanziellen Garantien der EU-Mitgliedstaaten als zu "debattierendes Thema" hervorgehoben, hieß es in deutschen Regierungskreisen. 

Macron vermeidet Position

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hingegen vermied es, sich klar zu positionieren. Der belgische Premierminister habe "völlig recht" stets auf die Regeln hinzuweisen, sagte er einerseits. "Andererseits werden diese eingefrorenen Vermögenswerte am Ende dieses Krieges Teil der Lösung sein, denn Russland hat großen Schaden angerichtet und vielen Menschen harte Einschnitte beschert." Der aktuelle Vorschlag sei eine Innovation.

Die Debatte um die Verwendung russischer Gelder war zuletzt aus der Not heraus in Gang gekommen. Zum einen haben die USA unter Präsident Donald Trump ihre Hilfe für die Ukraine gestoppt. Zum anderen haben die meisten großen überschuldeten EU-Staaten keine Möglichkeit, höhere Militärhilfe für die Ukraine aus ihren nationalen Haushalten zu zahlen. Russland soll zugleich gezeigt werden, dass die Europäer die Ukraine auch in den nächsten Jahren finanziell stützen.

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