Wenn es um die Zukunft von Arktis und Antarktis geht, fällt der Blick hin und wieder auf technische Notlösungen. Denn die Polarregionen erwärmen sich deutlich schneller als der Rest der Erde, mit Folgen, die weit über die Region hinausreichen: Schmelzende Gletscher lassen den Meeresspiegel steigen, veränderte Strömungen beeinflussen das Weltklima, bedrohte Ökosysteme geraten unter Druck.

Manche Ingenieure und Forscher schlagen deshalb vor, mit großangelegten Eingriffen gegenzusteuern, die man unter dem Begriff Geoengineering zusammenfasst. Doch eine aktuelle Auswertung von 40 Fachleuten zeigt: Die fünf bekanntesten Pläne dieser Art sind riskant, kaum praktikabel und könnten sogar Schaden anrichten. "Diese Ideen sind oft gut gemeint, aber sie sind fehlerhaft", sagt Glaziologe und Geowissenschaftler Martin Siegert von der University of Exeter, der die Analyse leitete.

1. Idee: Aerosol-Injektionen in die Stratosphäre

Eine der meistdiskutierten Methoden ist das Einbringen von Partikeln wie Schwefel oder Kalziumkarbonat in die Stratosphäre, um Sonnenstrahlen zu reflektieren und die Erde abzukühlen. Die Idee klingt erst einmal plausibel: Auch nach großen Vulkanausbrüchen kühlte sich die Erde messbar ab.

Doch die Analyse macht deutlich, dass sich dieser Effekt nicht einfach nachahmen lässt. In den Polarregionen fällt im Winter kein Sonnenlicht ein – dort wären Aerosole wirkungslos. Hinzu kommt, dass die Teilchen nur kurze Zeit in der Atmosphäre bleiben, also ständig in enormen Mengen nachgeliefert werden müssten. Außerdem drohen massive Nebenwirkungen: Die Ozonschicht könnte geschädigt werden, saurer Regen würde Ökosysteme belasten, und globale Klimamuster wie Monsune könnten sich verschieben.

Selbst wenn es technisch gelänge, brächte ein abruptes Ende der Maßnahme einen sogenannten "Termination Shock" – einen plötzlichen Temperaturanstieg, der kaum beherrschbar wäre. Und nicht zuletzt fehlen internationale Regeln für solch tiefgreifende Eingriffe, die im schlimmsten Fall von einzelnen Staaten einseitig eingesetzt werden könnten.

2. Idee: Vorhänge oder Wände im Meer

Noch spektakulärer wirkt der Vorschlag, riesige Vorhänge oder Wände am Meeresboden aufzuspannen, damit warmes Wasser nicht mehr an die Antarktis-Gletscher gelangt. Doch schon die Logistik ist kaum zu bewältigen: Bauwerke von Dutzenden Kilometern Länge müssten in eisbedeckten, schwer zugänglichen Regionen installiert werden – mit Schiffen, die es kaum gibt. Die Kosten würden sich auf viele zig Milliarden Dollar belaufen.

Und selbst wenn ein solches Bauwerk hielte, wäre der Effekt unsicher: Warmes Wasser würde sich vermutlich andere Wege suchen und könnte an anderer Stelle Gletscher schädigen. Hinzu kommen gravierende ökologische Risiken: Meeresströmungen würden gestört, Nährstoffkreisläufe verändert, Lebensräume von Fischen, Vögeln und Meeressäugern unterbrochen. Auch die Antarktis-Vertragsstaaten müssten einer so massiven Intervention zustimmen – ein politisches Szenario, das realistischerweise ausgeschlossen ist.

Antarktische Halbinsel: Mächtig, aber fragilBildrechte: imago images/adfoto

3. Idee: Meereis-Management mit Glaskügelchen oder Pumpen

Die Vorstellung, das schwindende Eis in der Arktis mit Technik zu retten, hat schon mehrfach Schlagzeilen gemacht. Glaskügelchen sollen wie eine helle Schicht auf der Oberfläche liegen und mehr Sonnenlicht zurückwerfen. Oder Pumpen sollen im Winter Wasser auf die Eisfläche spritzen, das sofort gefriert und die Schicht verstärkt.

Doch beide Ansätze sind laut den Fachleuten hochproblematisch. Die Kügelchen lösen sich im Meerwasser, könnten giftig wirken und würden in gigantischen Mengen benötigt – jährlich so viel wie die gesamte weltweite Plastikproduktion. Zudem zeigen Modellrechnungen, dass die Perlen die Eisoberfläche sogar dunkler machen könnten. Auch die Pumpen-Idee scheitert an der Größenordnung: Millionen Geräte müssten in der unwirtlichen Arktis aufgestellt und dauerhaft gewartet werden. Selbst wenn es gelänge, bliebe der Effekt auf das globale Klima gering – das Schmelzen des arktischen Sommereises würde nicht den entscheidenden Hebel zur Abkühlung liefern.

4. Idee: Entwässerung unter Gletschern

Ein weiteres Konzept setzt direkt am "Schmierfilm" der Gletscher an. Unter dem Eis sammelt sich Wasser, das den Fluss beschleunigt – warum also nicht abpumpen? Doch die Analyse betont, dass das praktisch unmöglich ist. Das subglaziale Wassersystem ist komplex, weit verzweigt und kaum kartiert. Um Wirkung zu erzielen, müssten Tausende Bohrungen durch kilometerdickes Eis niedergebracht werden. Schon die wenigen bisherigen Bohrprojekte zeigen, wie schwierig das ist: Bohrlöcher frieren innerhalb von Stunden wieder zu, Pumpen müssten dauerhaft betrieben werden, und jede Störung könnte die empfindliche Balance der Gletscher destabilisieren.

Zudem besteht die Gefahr, dass abgeleitetes Wasser an anderer Stelle wieder ins System gelangt und die Eisbewegung dort sogar beschleunigt. Auch Kontaminationen mit Treibstoffen oder Bohrflüssigkeiten wären kaum zu vermeiden. Unterm Strich hält die Studie diese Idee für wissenschaftlich und technisch völlig unhaltbar.

5. Idee: Ozeandüngung

Seit langem wird diskutiert, Eisen im Meer auszubringen, weil es das Wachstum von Phytoplankton anregt. Diese winzigen Algen binden beim Wachsen Kohlendioxid und transportieren es beim Absterben in die Tiefe. Das klingt elegant – doch die Wirklichkeit ist kompliziert. Frühere Feldversuche zeigten, dass nicht unbedingt die erwünschten Algenarten wachsen. Stattdessen können sich ökologische Gleichgewichte verschieben, mit unvorhersehbaren Folgen für Nahrungsketten und Sauerstoffhaushalt.

Manche Modelle warnen vor schädlichen Algenblüten oder großräumigen Veränderungen im Nährstoffkreislauf. Auch die Bindung von Kohlenstoff ist unsicher: Ein Teil gelangt zwar in die Tiefe, doch wie dauerhaft dieser Prozess ist, bleibt fraglich. Rechtlich gilt das Düngen des Ozeans zudem als Verschmutzung und ist international streng reguliert. Die Wissenschaftler bewerten die Methode deshalb als hochriskant, kaum wirksam und politisch nicht durchsetzbar.

Fazit: Ideen gehen am Kernproblem vorbei

Allen fünf Vorschlägen, so die Forscher, sei gemeinsam: Sie würden Milliarden verschlingen, brächten unüberschaubare Risiken mit sich – und lenkten von der eigentlichen Aufgabe ab, den Ausstoß von Treibhausgasen schnell und drastisch zu senken. "Wenn wir unsere begrenzten Ressourcen stattdessen bündeln, um die Ursache und nicht die Symptome zu behandeln, haben wir eine faire Chance, Netto-Null zu erreichen und die Gesundheit unseres Klimas wiederherzustellen", sagt Mitautorin Heidi Sevestre vom Arktischen Monitoring-Programm.

Die Wissenschaftler warnen, dass Geoengineering den Anschein einer Lösung erwecken könnte, während wertvolle Zeit verlorengeht. Stattdessen sei klar: Nur eine schnelle Dekarbonisierung könne die polaren Ökosysteme schützen und das globale Klima stabilisieren. "Die gute Nachricht ist: Wir haben Ziele, die funktionieren", so Martin Siegert. "Die globale Erwärmung wird sich wahrscheinlich innerhalb von 20 Jahren stabilisieren, wenn wir Netto-Null erreichen. Dann hören die Temperaturen auf zu steigen – ein enormer Gewinn für die Polarregionen, den Planeten und alles Leben."

Links / Studien

M. Siegert et al. (2025): "Safeguarding the polar regions from dangerous geoengineering: a critical assessment of proposed concepts and future prospects", Frontiers in Science

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