Inhalt des Artikels:

  • Der Vorschlag
  • Was die Kontaktgebühr bringen soll
  • Ausnahmen und Regeln
  • Rückenwind und Widerspruch
  • Blick zurück und Einordnung
  • Deutsche gehen häufiger zum Arzt als die Nachbarn
  • Stand der Dinge

Der Vorschlag

Das, was der Gesundheitsökonom Christian Hagist vorschlägt, polarisiert. Und zwar aus gutem Grund, denn seine Pläne würden die Haushaltskasse von 90 Prozent der Bevölkerung belasten. Fast 75 Millionen Mitglieder hat die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) in Deutschland derzeit. Die meisten davon wären von den Plänen Hagists betroffen: Einzahlende Arbeitnehmer, Rentner, Studenten und viele mehr. Sie alle soll jeder Arzttermin, so schlagen es Hagist und andere Ökonomen vor, künftig 15 Euro kosten. Hausarzt, Zahnarzt und Notaufnahme: Die Kontaktgebühr würde für alle ambulanten Termine fällig werden. Im Gegenzug könnten die Zuzahlungen für Krankenhaus-Aufenthalte wegfallen.

Prof. Dr. Christian Hagist, Gesundheitsökonom WHUBildrechte: WHU – Otto Beisheim School of Management

Was die Kontaktgebühr bringen soll

Hagist verspricht sich vor allem ruhigere Wartezimmer. Eine Gebühr dämpfe überflüssige Arztkontakte, entlaste damit Praxen und Notaufnahmen und verkürze Wartezeiten, so der Gesundheitsökonom. Das spare Nerven und verbessere die Akutversorgung. Außerdem könne die Kontaktgebühr die Finanzen der immer mehr in Schieflage befindlichen Krankenkassen stabilisieren. Hagist rechnet für sie mit einer Entlastung von bis zu 17 Milliarden Euro pro Jahr.

Ausnahmen und Regeln

Doch bei aller wohlwollender und notwendiger Entlastung der Kassen: Das vorliegende Kontaktgebühr-Konzept hat auch diejenigen im Blick, die schon jetzt unter hohen Abgaben ächzen: Die Beitragszahler. In deren Sinne ist eine Kontaktgebühr-Obergrenze vorgesehen.

Demnach sollen maximal zwei Prozent der jährlichen Brutto-Einkünfte (für chronisch Kranke ein Prozent) dafür fällig werden dürfen. Heißt: Für einen nicht chronisch kranken Arbeitnehmer, der 3.000 Euro brutto im Monat verdient, läge die Kontaktgebühr-Obergrenze – zumindest rein rechnerisch – bei 720 Euro pro Jahr.

Dass diese Summe aber auch tatsächlich anfallen würde, ist jedoch ein sehr unrealistisches Szenario. Denn dafür müssten Betroffene ganze 48 Mal im Jahr in einer Arztpraxis vorstellig werden. Ein Blick in die Statistik zeigt: Momentan liegt der deutsche Durchschnitt bei zehn Arztkontakten pro Kopf im Jahr – real würden somit im Schnitt 150 Euro pro Jahr für die Kontaktgebühr fällig werden. Für chronisch Kranke sogar nur die Hälfte.

Rückenwind und Widerspruch

Politischer Rückenwind für den Vorschlag zur Kontaktgebühr kommt vor allem von außerhalb der Parlamente. Der Arbeitgeberverband BDA hat den Vorstoß aufgegriffen und prominent gemacht. Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter wirbt mit weniger "Ärzte-Hopping" und besser gesteuerten Patientenströmen. So ließen sich Abläufe im Gesundheitswesen planbarer gestalten.

Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)Bildrechte: picture alliance/dpa | Michael Kappeler

Die Gegenreaktion folgte prompt. Der Hausärzteverband nennt die Kontaktgebühr "unsozial" und "undurchdacht". Sie treffe Menschen mit vielen Terminen besonders hart, also gerade chronisch Kranke. Wer knapp bei Kasse ist, könnte notwendige Termine aus Angst vor Kosten aufschieben. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz spricht von einer "alten Leier". Die frühere Praxisgebühr habe keine verlässliche Steuerungswirkung entfaltet und zugleich Bürokratie geschaffen. Und die Gewerkschaft ver.di warnt vor einer wachsenden sozialen Schieflage. Statt einer pauschalen Gebühr brauche es starke Hausarztstrukturen und tragfähige Konzepte für ländliche Regionen.

Blick zurück und Einordnung

Eine Gebühr beim Arztbesuch: Deutschland hat das schon probiert. Von 2004 bis Ende 2012 kostete der erste Quartalsbesuch 10 Euro. Zu Beginn sank die Zahl der Fälle auch, besonders die Erstkontakte bei Fachärzten. Die finanzielle Hürde schien zu wirken. Doch dann ließ der Effekt nach und die Fallzahlen stiegen wieder. Die Politik strich die Gebühr – unter anderem wegen Bürokratie und fehlender nachhaltiger Wirkung.

Deutsche gehen häufiger zum Arzt als die Nachbarn

Dass jetzt erneut über Maßnahmen nachgedacht wird, die die Fallzahlen senken könnten, liegt auf Hand: Im Vergleich zu anderen Europäern suchen die Deutschen besonders häufig einen Arzt auf – durchschnittliche zehn Mal pro Jahr. Nur wenige europäische Länder haben mehr aufzuweisen, zum Beispiel Ungarn, Tschechien und die Slowakei. Viele west- und südeuropäische Staaten liegen deutlich niedriger. In Skandinavien sind die Werte besonders gering.

Dabei liegt es weniger an deutscher Hypochondrie als am Aufbau des Systems, dass die Menschen hierzulande so häufig bei einem Arzt vorstellig werden. Erstens können Patienten vergleichsweise niedrigschwellig und eigeninitiativ Termine bei Fachärzten ausmachen. Sie müssen dafür vorher nicht zwingend beispielsweise mit ihrem Hausarzt darüber gesprochen haben und überwiesen worden sein.

Und selbst wenn ein erster Arzt entschieden hat, dass ein zweiter Fachkollege zurate gezogen werden muss: bremst das System. Für Ärzte lohnen sich Patientenkontakte pro Quartal. Das kann bedeuten, dass ein Patient lieber mehrfach zu mehreren kurzen Einzelterminen bestellt wird als einmal hintereinanderweg behandelt zu werden.

Dazu kommt: In vielen Nachbarländern wird die erste ambulante Abklärung von besonders geschultem Pflegefachpersonal übernommen. Das heißt: Dort landet manches Anliegen erst gar nicht beim Arzt, weil das Fachpersonal helfen und entlasten konnte.

Fakt ist: Andere Länder steuern Arztkontakte schon jetzt zusätzlich mit klaren Instrumenten. Schweden beispielsweise verlangt pro Praxisbesuch eine Selbstbeteiligung von rund 200 Kronen (etwa 19 Euro). Zudem wird vieles im medizinischen Bereich digital abgehandelt. Stichwort E-Health: Also Sprechstunde via Chat, Video oder Telefon. Das dämpft die Frequenz von persönlichen Kontakten und hält Patienten mit Bagatell-Erkrankungen aus den Praxen fern.

Stand der Dinge

Die Debatte läuft – vor allem in Medien, Verbänden und Fachkreisen. Die Politik wartet ab. Ob die Kontaktgebühr Fahrt aufnimmt, hängt daran, ob aus dem Vorstoß ein praxistaugliches Gesamtkonzept wird: mit klaren Ausnahmen, Regeln für Telefon- und Video-Sprechstunde und einer wirklich schlanken, digitalen Abwicklung. Bis dahin bleibt offen, ob eine modernisierte Kontaktgebühr Wartezimmer wirklich entlastet – oder nur alten Streit neu entfacht.

Sollen Patienten zukünftig Gebühren für jeden Arztbesuch zahlen? Würde eine solche Kontaktgebühr das Gesundheitssystem entlasten oder am Ende nur zusätzliche Bürokratie verursachen? Das ist auch unser Thema bei Fakt ist! aus Erfurt. Zu sehen ist die Sendung am Mittwochabend ab 20:15 Uhr im Livestream auf MDR.DE oder im MDR FERNSEHEN.

Bereits ab 18 Uhr haben Sie die Möglichkeit, im Chat mitzudiskutieren:

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