• Musikjournalist Wolf Kampmann beschreibt in seinem aktuellen Buch, wie sich gesellschaftliche Bewegungen in Schlagermusik wiederfinden.
  • Kampmann erklärt außerdem, warum der Schlager ein konservatives Image bekommen hat.
  • Der Autor betrachtet zudem Schlager in der DDR, der sich freizügiger zeigte als der Schlager im Westen.

Der Schlager gehört zu Deutschland wie Bratwurst und Sauerkraut. Daran gibt es keinen Zweifel. Schwieriger wird es, wenn man erklären muss, was einen Schlager ausmacht.

Da lohnt ein Blick in die Anfänge des Schlagers, in die 1920er-Jahre, als das Genre eine erste Blütezeit erlebte. "Ausgerechnet Bananen" lautete einer der jazzigen Foxtrott-Titel, bei dem die Menschen damals, 1923, wie wild auf die Tanzfläche strömten – trotz Hyperinflation und Aufruhr im Land.

Schlagermusik zwischen Jazz und Rock

Bis in die 1930er-Jahre passten Schlager und Jazz sehr gut zusammen, sagt der Musikjournalist Wolf Kampmann im Gespräch mit MDR KULTUR. Die Übergänge vom Schlager zu anderen Genres etwa auch zum Rock seien fließend gewesen.

"Marmor, Stein und Eisen bricht" von Drafi Deutscher gehört zu den rockigeren Schlagern.Bildrechte: IMAGO / United Archives

Man denke nur an den rockigen Titel "Marmor, Stein und Eisen bricht" von Drafi Deutscher aus dem Jahre 1966. Komponist und Produzent war Christan Bruhn – einer der großen und erfolgreichsten Musiker der Branche, der die E-Gitarre in die Schlager einführte und überhaupt den Schlager der Sechziger und Siebziger Jahre dem frecher und lauter gewordenen Zeitgeist der damaligen Jugend anpasste.

Schlager als Indikator für gesellschaftliche Bewegungen

Der Schlager war immer ein Seismograph für gesellschaftliche Veränderungen, die in Sound und Texten ihren Ausdruck gefunden haben. Das ist die These, für die Wolf Kampmann in seinem Buch "Zeig mir den Platz an der Sonne. Eine deutsche Chronik in Schlagern" viele Beispiele bringt.

Der deutsche Schlager war von einer beeindruckenden Weltoffenheit gewesen.

Autor Wolf Kampmann

Die Schauspielerin und Sängerin Trude Herr war eine der ersten Schlagersängerinnen, die emanzipatorische Texte sang.Bildrechte: IMAGO / United Archives

So war der Schlager auch ein Indikator, wenn nicht gar ein Vorreiter für die Emanzipationsbewegung. Den Startschuss gab 1959 die Kölner Schauspielerin und Sängerin Trude Herr mit der deutlichen Ansage: "Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen Mann". Vier Jahre später wollte sich die dänische Interpretin Gitte nicht mehr nur mit einem "stino"-Mann zufriedengeben. Für sie musste es ein "Cowboy" sein.

Im Jahrzehnt darauf erteilte Juliane Werding dann jeder Form der "blöden Anmache" eine klare Absage: "Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst. Du hast ein leichtes Spiel. Doch ich weiß, was ich will. Drum lach nur über mich. Denn am Ende lache ich über dich!" Juliane Werdings Statement gab schon die Richtung vor, die Ina Deter 1983 schließlich auf die Formel brachte: "Neue Männer braucht das Land".

Juliane Werding gehört für Autor Wolf Kampmann ebenfalls zu jenen Sängerinnen, die feministische Lieder sangen.Bildrechte: IMAGO / United Archives

Dieter Thomas Heck machte den Schlager konservativ

Dass Schlager dennoch ein konservatives Image hat, liege nicht zuletzt an Dieter Thomas Heck, dem Moderator der ZDF-Hitparade, der mit seiner Sendung den deutschen Schlager von 1969 an für zwei Jahrzehnte prägte. Heck engagierte sich politisch sehr stark für die CDU. So etwa Anfang der 1970er-Jahre im Wahlkampf für Rainer Barzel, den Herausforderer Willy Brandts.

Das ist eines der größten Missverständnisse im Rückblick auf den deutschen Schlager, dass man ihn für piefig und gemütlich (hält).

Autor Wolf Kampmann

Dieter Thomas Heck moderierte jahrzehntelang die ZDF-Hitparade und prägte mit seinen eigenen konservativen Werten auch das Image des deutschen Schlagers.Bildrechte: IMAGO / United Archives

Dies habe, meint Wolf Kampmann, auf das Ansehen des Schlagers insgesamt abgefärbt. Tatsächlich sei die ZDF-Hitparade aber ein innovatives Format gewesen, das den Zeitgeist der Siebziger in vielerlei Hinsicht in sich aufnahm: "Das ist eines der größten Missverständnisse im Rückblick auf den deutschen Schlager, dass man ihn für piefig und gemütlich und etwas, das nur in die deutschen Wohnzimmer passte, hält. Der deutsche Schlager war von einer beeindruckenden Weltoffenheit gewesen."

In seinem Buch listet Kampmann seitenweise die ausländischen Stars auf, die im bundesdeutschen Fernsehen ihre Auftritte hatten. Von Vico Torriani, über Vicky Leandros bis hin zu Roberto Blanko. Der Schlager leistete so einen wichtigen Teil zur Integration.

Die deutsch-griechische Sängerin Vicky Leandros feierte als Schlagersängerin große Erfolge.Bildrechte: IMAGO / United Archives

Mehr Sex im Schlager der DDR

Wolf Kampmann, geboren in Sachsen und aufgewachsen im Ostteil Berlins, bricht auch eine Lanze für den DDR-Schlager, der in Sachen "Sex" viel freizügiger war als sein Pendant im Westen. Wenn es etwa im Jahre 1971 bei den Puhdys hieß: "Geh zu ihr und lass deinen Drachen steigen", dann dürfte relativ klar gewesen sein, was gemeint war.

Manches, wie in den Texten der Puhdys zu erkennen, war im DDR-Schlager freier, anderes aber auch stark reglementiert.Bildrechte: IMAGO / United Archives

Zugleich moniert Kampmann, dass viele Schlagertexte in der DDR – wie etwa auch der bekannte Hit "Heißer Sommer" von Frank Schöbel und Chris Doerk – völlig belanglos gewesen seien. Dies sei von der SED bewusst so gesteuert worden. Insofern war das Unpolitische enorm politisch. Schlager als "Opium fürs Volk"? Diese Rechnung ging – wie wir wissen – nicht auf.

Mehr Infos zum Buch

Wolf Kampmann:
"Zeig mir den Platz an der Sonne. Eine deutsche Chronik in Schlagern"
Sachbuch, erschienen im Osburg Verlag
Ca. 320 Seiten, mit Abbildungen
ISBN 978-3-95510-365-1
24 Euro
Erschienen am 24. Februar 2025

Bildrechte: Quelle und Rechte: Osburg Verlag

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