"Pauschale Warnungen vor 'der Spaltung' helfen nicht weiter."
Wie gespalten ist Deutschland? Und welche Themen trennen uns am stärksten? Das haben Forschende des Mercator Forum Migration und Demokratie (MIDEM) an der TU Dresden untersucht. "Es vergeht kein Tag, an dem nicht mahnend auf eine wachsende Spaltung hingewiesen wird", sagt Studienleiter Hans Vorländer, Professor für Politikwissenschaft an der TU Dresden, in einer Mitteilung. "Das verkürzt aber die Analyse. Wir müssen differenzieren: Wann gefährdet Polarisierung die Demokratie wirklich? Und wann ist sie normaler Bestandteil pluralistischer Politik?"
Spaltung ideologisch und emotional
Für das Polarisierungsbarometer 2025 wurden knapp 34.000 Personen in acht EU-Ländern befragt, darunter fast 4.400 in Deutschland. Dabei wurde unterschieden zwischen ideologischer Polarisierung – also inhaltlichen Meinungsunterschieden – und affektiver Polarisierung, der emotionalen Aufladung inhaltlicher Positionen. Die ideologische Auseinandersetzung sei bis zu einem gewissen Grad wichtig für eine Demokratie, so die Forschenden. Affektive Polarisierung hingegen könne den demokratischen Zusammenhalt schwächen, weil Verständigung blockiert sei und politische Gegner zu Feinden werden.
Polarisierung: Wo sind die Gräben am tiefsten?
Mehr als 81 der in Deutschland befragten sehen die Gesellschaft als gespalten. Größtes Streitthema ist die Migration. Bei der ideologischen Polarisierung sind Klima und Ukrainekrieg die stärksten Themen. Ältere Menschen, Männer und Geringverdienende zeigen laut der Untersuchung die höchsten Polarisierungswerte. Die Studie findet sie auch stärker bei "den Bewohnerinnen und Bewohnern ländlicher Räume sowie unter Ostdeutschen und bei den Sympathisantinnen und Sympathisanten der AfD". Politisch gesehen sind die größten Polarisierungen klar links und rechts verortet, rechts deutlich stärker. Bei der emotionalen Ablehnung Andersdenkender traten die Anhänger der Grünen und der AfD besonders hervor.
Die Orientierung an Parteien ist allerdings nicht primäres Ziel der Untersuchung. "Parteien haben an strukturbildender Kraft verloren", erklärt Vorländer. Die Studie untersucht daher nach Angaben der Forschenden Sachfragen in den Themenfeldern Zuwanderung, Sicherheit, Klimawandel, Wirtschaft und Soziales sowie Wertvorstellungen. Daraus können auch Handlungsempfehlungen abgeleitet werden. Im aktuellen Polarisierungsbarometer 2025 sind das vier Bereiche, sogenannte Diskurszonen, die laut den Forschenden genauer untersucht werden müssen. Denn "Pauschale Warnungen vor ‚der Spaltung' helfen nicht weiter“, erklärt Politikforscher Vorländer.
Wer Lösungen sucht, muss die Probleme verstehen
Die erste Diskurszone ist die Spaltungszone – hier gibt es gegensätzliche Meinungen, hohe gegenseitige emotionale Aufladung (Klima, Unkraine). Lösungsorientiertes Handeln ist nur schwer möglich.
Die Reizzone – hier finden sich klare Mehrheiten (Begrenzung der Zuwanderung). Problemlösungen sind möglich, wenn die emotionale Ebene verlassen wird.
Die Konfliktzone – weniger Emotionen trotz hoher Meinungsunterschiede (Beispiel Intergration). "Hier können Kompromisse gefunden werden – mit hohem Verhandlungsaufwand", so Vorländer.
Die Kompromisszone – Unterschiede werden akzeptiert und Lösungen genießen hohe Akzeptanz. Beispiel internationale Handelsbeziehungen.
Nicht jede Differenz ist eine Spaltung
"Eine lebendige Demokratie braucht Streit – aber sie darf nicht an ihm zerbrechen", sagt Christiane von Websky, Leiterin des Bereichs Teilhabe und Zusammenhalt bei der Stiftung Mercator anlässlich der Veröffentlichung der aktuellen Ergebnisse. "Das Polarisierungsbarometer zeigt eindrücklich, dass wir genauer hinschauen müssen: Nicht jede Differenz ist eine Spaltung, und nicht jeder Konflikt gefährdet den Zusammenhalt. Entscheidend ist, ob wir in der Lage bleiben, miteinander zu sprechen – auch über das, was uns trennt.“
Was ist MIDEM?
Seit 2017 untersucht das Mercator Forum Migration und Demokratie (MIDEM) an der TU Dresden den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland und Europa. Kernthema ist die Migration. Es wird gefördert durch die Stiftung Mercator.
Die Befragung in Zusammenarbeit mit dem Datenanalyseunternehmen YouGov fand zwischen dem 11. Februar und dem 3. März 2025 statt. Das Polarisierungsbarometer 2025 ist der Anfang einer auf drei Jahre angelegten Zusammenarbeit mit YouGov. Dieselben Personen sollen bis 2027 noch zweimal befragt werden. Die aktuellen Ergebnisse können sie hier nachlesen
gp/pm
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