Ende einer Ära: Letzte Buchdruckerei im Graphischen Viertel in Leipzig schließt
- Der Buchdruck im Graphischen Viertel hat Leipzig Ende des 19. Jahrhunderts berühmt gemacht. Etwa ein Fünftel der 600.000 Einwohner lebte vom Geschäft rund ums Buch.
- Große und kleine Verlage aller Stilrichtungen sorgten für eine einzigartige Vielfalt.
- Im Zweiten Weltkrieg wurde das Graphische Viertel fast vollständig zerbombt, aber der Glanz alter Tage ist immer noch zu spüren.
Knapp 1.000 Verlage und Buchhandlungen, 300 Druckereien, 173 Buchbindereien, 298 graphische Anstalten, 36 Maschinenbauer für die graphische Industrie: So mächtig war die Buchstadt Leipzig zu Beginn der 20. Jahrhunderts, erzählt der Leipziger Verleger Mark Lehmstedt: "Die absolute Blütezeit lag so zwischen 1880 und 1920. Als ganz Europa auf dem absoluten Höhepunkt einer Entwicklung war, die man ja heute noch an den prächtigen Gebäuden, – seien es Schulgebäude, seien es Kirchen, seien es Wohnviertel –, sehen kann, soweit sie den Krieg überstanden haben. Das ist die reichste Epoche, die Europa jemals erlebt hat und auch Leipzig!"
Ein Fünftel der Leipziger lebte vom Buch
In dieser Zeit wuchs Leipzigs Bevölkerung auf mehr als 600.000 Einwohner an. Etwa ein Fünftel davon lebte vom Buch, betont Lehmstedt: "Das war die Zeit, in der im Graphischen Viertel etwa 2.000 Firmen unterschiedlichster Art und unterschiedlichster Größe natürlich auch, tätig waren – von Ein-Mann-Betrieben bis zu Betrieben, die hatten 1.500 Mitarbeiter.“
Große und kleine Verlage aller Stilrichtungen
Klangvolle Namen wie Reclam, Brockhaus, Baedeker, oder Breitkopf & Härtel, hatten ihre Adresse in der Verlagsmetropole Leipzig, mehr als 90 Prozent davon im Graphischen Viertel.
Hinzu kamen die Kleinen, aber Feinen: "Wir hatten zum Beispiel mit dem Kurt Wolff Verlag den Verlag des frühen Expressionismus, der Franz Kafka entdeckt hat. Wir hatten mit Max Spohr den weltweit ersten Verleger, der sich systematisch für die Emanzipation von Homosexuellen, und zwar sowohl Männern, als auch Frauen, eingesetzt hat mit seinem Verlagsprogramm. Wir hatten aber auch in Leipzig das publizistische Zentrum der Antisemiten, mit dem Hammer-Verlag von Theodor Fritsch. Das geht in alle Richtungen."
Graphisches Viertel als weltweit einmalige Konzentration von Verlagen
Und so konnte man sich nicht nur im buchgeprägten Stadtbild mit den palastartigen Verlagshäusern und prächtigen Verlegervillen verlieren: "Man ging quasi von Straße zu Straße und trat von einer geistigen Welt in die nächste hinein, die sich auch untereinander nicht immer grün gewesen sind. Aber die haben insgesamt eine ungeheure Vielfalt an Stimmen dargeboten, wie man sie weltweit nie wieder gehabt hat. An einem Ort."
Zweiter Weltkrieg: Britische Bomben zerstören Viertel fast vollständig
Ein jähes Ende bereitete dieser Einmaligkeit dann der Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs, von dem sich das größtenteils zerstörte Graphische Viertel nie mehr erholte.
Besonders verheerend war derjenige am 4. Dezember 1943, Leipzigs Schicksalstag: "Ich glaube, die Engländer wollten gar nicht gezielt dieses Viertel treffen. Aber sie haben es nun einmal getroffen. Das liegt daran, dass man zu der Zeit gar keine gezielten Bombenabwürfe machen konnte. Man hat die dann irgendwann ausgeklinkt und dann kamen sie irgendwo runter. Und sie kamen nun mal über diesem Graphischen Viertel, also konzentriert, dort herunter. 80 Prozent sind entweder komplett zerstört oder schwer zerstört worden. Man schätzt, dass ungefähr 50 Millionen Bücher verbrannt sind. Der größte Bücherbrand der Weltgeschichte."
Spaziergänge im "Freilichtmuseum" lohnen sich
Mit dem heutigen Schließen der letzten noch verbliebenen Buchdruckerei wird das Graphische Viertel endgültig zum Freilichtmuseum, in dem immerhin noch einige steinerne Zeitzeugen zu finden sind: "Beispielsweise solche gigantischen Industriepaläste wie das Reclam-Gebäude. An der Ecke der Kreuzstraße. Oder an der Dresdner Straße das riesige Gebäude von Brandstetter, wo heute die Handwerkskammer beheimatet ist, wo man also allein anhand der Gebäude noch ahnt, was das mal für eine gigantische Konzentration aller Zweige, die mit Büchern in irgendeiner Weise zu tun hatten, gewesen sein muss."
Verleger Mark Lehmstedt empfiehlt einen Neujahrsspaziergang, um eine Ahnung von alldem zu bekommen: "Es ist immer noch genug da, um sich eine klare Vorstellung davon zu machen, was das mal gewesen ist."
Einen standesgemäß gedruckten Flanier-Begleiter gibt es auch: Beim Lehmstedt Verlag ist in der Reihe "Stadtspaziergänge" – ein Bändchen zur "Buchstadt Leipzig" erschienen – für 10 Euro im Buchhandel erhältlich.
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