Bahn-Chaos: Eingezwängt in der Regionalbahn von der Ostsee bis nach Erfurt
Die erste Regionalbahn unserer Reise kommt pünktlich. Mit zwei großen Trekking-Rucksäcken wollen wir an einem Tag von Ückeritz auf Usedom bis ins heimische Erfurt fahren. Schon jetzt ist klar: Das kann nicht gutgehen - es ist der letzte Tag eines langen Wochenendes.
Um 9:50 Uhr sind die Waggons bereits voll. Mit etwas Glück ergattern wir zwei Sitzplätze - es werden für Stunden die letzten sein.
Jeder ist für sich verantwortlich
Am ersten Umsteigebahnhof in Züssow auf der Strecke Stralsund-Berlin endet der Zug. Der Bahnsteig ist überfüllt: Gepäck, Fahrräder, dazwischen eine Rollstuhlfahrerin. "Ich habe mich nicht bei der Bahn angemeldet", raunt sie ihrer Begleitung ängstlich zu. Dann verliere ich sie aus den Augen.
Der Anschlusszug nach Berlin Gesundbrunnen fährt ein. Hunderte drängen sich hinein. Ich lande im Aufgang eines Doppelstockwagens - eingeklemmt auf den Stufen zur Zwischenetage.
Mein Rucksack steckt zwischen den Beinen. Immerhin habe ich eine Wand zum Anlehnen und einen halben Blick nach draußen. Meine Begleiterin verliere ich aus den Augen. Jeder ist für sich verantwortlich - das haben wir vorher so abgemacht.

Wussten die Fahrradbesitzer nicht, was sie erwartet?
Koffer stapeln sich in den Gängen, Fahrräder blockieren die Bereiche vor den Toiletten. Gut, dass ich im vorherigen Zug noch auf dem Klo war - die Fahrt bis Berlin dauert über drei Stunden.
Ich wundere mich, dass so viele mit dem Rad unterwegs sind. Wussten die nicht, wie voll es werden würde? Die Fahrräder lehnen aneinander, blockieren Türen und Durchgänge. Wehe dem, der jetzt mit Kinderwagen oder Rollstuhl ein- oder aussteigen will.
Einheitliche Regeln zur Fahrradmitnahme? Fehlanzeige. Während in Thüringen und Sachsen-Anhalt sowie in weiten Teilen Sachsens die Mitnahme meist kostenlos ist, verlangen andere Verkehrs-Verbünde ein Fahrradticket. Der Flickenteppich ist verwirrend. Wie hilfreich wären verpflichtende Reservierungen. So ließe sich die Lage vorher besser planen.

Bei Flixtrain geht’s doch auch
Bei Flixtrain, dem Bahn-Konkurrenten im Fernverkehr, sind solche Szenen selten. Jeder Fahrgast hat einen festen Sitzplatz, Fahrräder gibt es nur mit Reservierung - gegen Aufpreis.
Natürlich ist der Vergleich nicht ganz fair: Der Regionalverkehr bedient auch kurze Etappen. Und wer will schon für eine Station reservieren? Aber vielleicht wäre eine clevere App hier die Lösung.
Gepäckstücke verstopfen die Gänge
Die Fahrt geht weiter. An jedem Haltepunkt steigen neue Fahrgäste ein - alle wollen noch nach Hause. Am nächsten Tag ist wieder Arbeit.
Der Zugführer mahnt per Lautsprecher: "Türen freihalten" und "Keine Fahrräder mehr". Die Fahrgäste nehmen es mit Humor - was bleibt ihnen anderes übrig?
Doch nicht nur Fahrräder sind ein Problem. Riesenkoffer, Wanderrucksäcke - auch wir haben große Trekking-Rucksäcke dabei. Bezahlt haben wir nichts dafür. Trotzdem nehmen sie Platz weg, blockieren Gänge und Fluchtwege. Die Gepäckablagen der meisten Regionalzüge sind dafür schlicht nicht gemacht.
Wenn der Toilettengang zum Spießrutenlauf wird.Bildrechte: MDR/Nicky ScholzOben frei, unten voll: Kommunikation fehlt
Mit Mühe kämpft sich eine junge Frau vom oberen Bereich des Doppelstockzugs nach unten. Sie hat ihren Zielbahnhof erreicht. Ich frage laut in die Richtung aus der sie gekommen ist: "Ist oben ein Platz frei?" - Apathische Blicke.
Ich quetsche mich über zwei Treppen nach oben - und finde das Paradies: freie Gänge, sogar ein Sitzplatz. Wie kann das sein?
Das Problem: Die einen wissen nichts von der Enge unten, die anderen nichts vom Platz oben. Einfach mal durchrücken, miteinander reden - schon wäre viel geholfen.

Neulich habe ich erlebt, wie sich eine engagierte Zugbegleiterin durch einen überfüllten Zug kämpfte. Freundlich, aber bestimmt bat sie die Menschen, sich zu verteilen - und wies auf freie Plätze hin. Diese Frau wird abends erschöpft ins Bett gefallen sein. Aber: Dank ihr hatte jeder einen halbwegs erträglichen Platz.
Für mich geht die Reise nun entspannt weiter - aber nur für eine Station. Dann lässt der entnervte Zugführer den gesamten Zug durch die Bundespolizei räumen. Erst Stunden später können wir unsere Fahrt in überfüllten Zügen fortsetzen.

So kann es nicht bleiben
Was bleibt, ist die Erkenntnis: Der Regionalverkehr braucht dringend Entlastung. Mehr Wagen. Mehr Personal. Mehr Rücksicht. Und bis dahin: klare Regeln - für Fahrräder und Gepäck.
Denn so wie jetzt kann es nicht bleiben.
MDR (dst)
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